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M A H L Z E I T
Nguyê˜ n Va˘n Theo
Der Reisbauer
FRÜHSTÜCK
Reisnudeln, 75 g (Trockengewicht), in Wasser gekocht, dazu Fischsauce, 1,5 EL
MITTAGESSEN
Schweinelende, gebraten mit Bohnensprossen und Lauchzwiebeln, 100 g
s
Schweinelende, gebraten mit eingelegten Senfblättern, 85 g
s
weißer Reis, 640 g
ABENDESSEN
Schweinerücken, gewürzt mit Fischsauce und Karamell, 45 g
s
gebratenes Ei mit
Lauchzwiebeln, 70 g
s
Spinat mit Spinatbrühe, 145 g
s
weißer Reis, 640 g
s
hausgemachter Ruou
Thuoc (starker Reiswein mit Kräutern), 57 ml
ZWISCHENDURCH
Grüner Tee, 230 ml
s
Tabak, 15 g
s
gekochtes Regenwasser, 1,5 l
KALORIEN
2500
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THO QUANG BEI HANOI
ä sä Nguyê˜n Va˘n Theo
raucht auf der Terrasse vor seinem Schlafzim-
mer eine Bambuspfeife und schaukelt dabei
seine kleine Enkelin auf dem Knie, während die
21-jährige Schwiegertochter Nguyê˜n Thi Huong
in der Küche im Innenhof das Mittagessen zu-
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zum Innenhof, wo schon Generationen von
kleinen Nguyê˜ns auf den Knien zahlloser
Großeltern geschaukelt wurden.
Huong, verheiratet mit Theos ältestem Sohn
Doi, nimmt selbst geernteten Reis aus einem
Sack und gibt ihn zusammen mit Regenwasser
in einen elektrischen Kocher. Dann brät sie auf
dem Propangasherd kleine Stücke von Schwei-
nelende in Schweineschmalz, gibt eine große
Handvoll Bohnensprossen und gehackte Lauch-
zwiebeln dazu. Anschließend gart sie in einem
kleinen Topf noch Schweinerücken mit einge-
legten Senfblättern. Bei dieser Mahlzeit dreht
sich alles um den Reis, die Fleischgerichte sind
würzende Beilagen, zusammen mit Fischsauce
und Chrysanthemenblättern in Brühe.
Doi, der im Dorf als Mechaniker arbeitet,
kommt mittags zum Essen nach Hause. Zurzeit
bringt es die Familie im Innenhof nur auf vier
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In Kriegs- und Friedenszeiten war das Dorf
Tho Quang, ungefähr eine Autostunde südlich
von Hanoi, der Lebensmittelpunkt der Familie
Nguyê˜n gewesen. Doch das änderte sich vor
sieben Jahren, als Theo und seine Frau Vu Thi
Phat beschlossen, dass sie nach Hanoi zu
ihren Schwestern ziehen sollte, um dort Ge-
müse zu verkaufen. Finanzielle Gründe gaben
dafür den Ausschlag: Vor allem wollte man den
drei Kindern eine gute Zukunft sichern. Die
Tochter sollte studieren, und dem jüngeren
Sohn wollte man den Einstand ins Taxigewerbe
in Hanoi finanzieren. Vor dem Umzug hatten
die Nguyê˜ns kein Einkommen – sie lebten als
Selbstversorger. Phat schätzt den Trubel in der
Großstadt, Theo zieht die ländliche Ruhe vor.
Phat und ihre Schwestern teilen sich eine
Einzimmerwohnung in Hanoi und stehen jeden
Tag um drei Uhr auf, um auf dem Großmarkt
einzukaufen. Von da an sind sie Konkurrentin-
nen: Jede hat ein Stück Gehweg gepachtet, auf
dem sie bei Sonne oder Regen bis acht oder
zehn Uhr abends ihre Ware feilbieten. Die
Schwestern sind Teil von Hanois Schatten-
wirtschaft. Die Trottoirpacht ist illegal, und sie
sind der Polizei immer nur ein Paar Schritte
voraus, die manchmal kommt und sie davon-
jagt oder ihr Gemüse konfisziert.
Theos Leben auf dem Dorf folgt eher dem
Rhythmus der Jahreszeiten als dem Diktat der
Uhr. Zweimal im Jahr pflanzt er Reis, einmal
jährlich sät er Mais. Manchmal kommt das
Hochwasser und vernichtet alles, in anderen
Jahren sät er nicht, verpachtet stattdessen
seine Äcker an einen Nachbarn, im Tausch für
einen Anteil an der Ernte. Anders als die Bauern
in der Nähe von Hanoi haben sie noch kein Land
dem Wachstum der Hauptstadt opfern müssen.
Doch dieses Schicksal ist nur aufgeschoben.
VIETNAM
EINE TAGESRATION
IM DEZEMBER