Level 4 (Grundtext)
Theorie des Homokumulats III
Das grundsätzliche Funktionalitätspostulat. Generelle Repertoirestrategien. Warum kommt die Intelligenz dafür nicht in Betracht. Allgemeines über die Nützlichkeit derartiger Strategien. Ihre genauere Beschaffenheit: weshalb muß es sich dabei um ein Formverhalten mit Extremalregelung handeln. Die Zweckmäßigkeit der Filter der Neuheit und des Homokumulats. Das andere Gesicht der Redundanz. Ein Vergleich zwischen Neugier und Homokumulativitätsgier. Ihr Zusammenspiel. Die Dialektik unseres Funktionalitätspostulats. Problematische Nebenprodukte und das Fehlen von Einsicht. Jeder Vorteil hat seinen Preis.
Nach der Prämisse des biologischen Funktionalismus kann jegliches Verhalten und demzufolge auch die Homokumulativitätsgier nur deshalb existieren, weil es irgendwie dem Überleben dient. Im Falle der Neugier wird eine derartige Funktion des Formverhaltens auch allgemein anerkannt. Allerdings ist ihre theoretische Begründung für unsere Zwecke doch etwas zuwenig systematisch herausgearbeitet.
Jedes Lebewesen muß offenbar über ein ausreichendes Repertoire von Reaktionen (Systemausgaben) verfügen, auf die es im Bedarfsfall zurückgreifen kann. Soll es sich dieses Repertoire oder Teile davon selber aufbauen, so läßt sich das grundsätzlich durch zwei Typen von Strategien verwirklichen. Als erste kommen uns wahrscheinlich »punktuelle« Vorgangsweisen in den Sinn, spezialisiert auf einzelne Informationsinhalte, die sich schon einmal als zweckmäßige Reaktionen herausgestellt haben oder von denen man mit guten Gründen annehmen kann, daß sie sich als solche herausstellen werden. Daneben sind aber auch generelle Repertoirestrategien denkbar, die die Aufgabe vom anderen Ende her anpacken und jede anfallende Information als eine potentiell zweckmäßige Reaktion auffassen würden, auch wenn das Lebewesen noch gar nicht weiß, worauf es damit reagieren soll, d.h. obwohl es für diese Lösung kein passendes Problem (Systemstörung) zu geben scheint; vielleicht lohnt es trotzdem, mit solchen Informationen Erfahrungen zu sammeln und sich einen Vorrat an ihnen anzulegen. (In der Praxis werden sich beide Typen von Strategien natürlich oft, auf den ersten Blick etwas sinnwidrig, bei derselben Information begegnen und vermischen, denn wirkliche Generalität kann eine nachweislich zweckmäßige Reaktion genauso wenig ausklammern wie jede andere Verhaltensmöglichkeit.)
Überhaupt sind generelle Repertoirestrategien geknüpft an eine Bedingung, die man nicht zu leicht nehmen soll: sie müssen imstande sein, sich jeder verfrühten Bewertung und Vor-Urteils über die anfallenden Informationsinhalte strikt zu enthalten und in dieser Hinsicht eine unerschütterliche Indiskriminativität zu bewahren. Damit scheidet die bewußte oder unbewußte Intelligenz als Quelle derartiger Strategien von vornherein aus. Gewiß ist es eine von ihren Leistungen, daß sie Inhalte immer breiter zu fassen lernt und schließlich auf die Form stößt, aber zu ihrem Wesen gehört auch die entgegengesetzte Tendenz, nämlich eine immer genauere Differenzierung: sie kann einfach nicht umhin, darüber, ob sich eine Information als nützlich erweisen wird oder nicht, zumindest insgeheim Spekulationen anzustellen und auf Grund des Ergebnisses so manche Information – oder sogar das Prinzip selbst – zu disqualifizieren (»man wird doch einen Unsinn Unsinn nennen dürfen, oder?«). Es würde also wenig nutzen, wenn man sich z.B. »ganz fest vornehmen« würde, von nun an alle Informationsinhalte gleich zu behandeln; solange man dabei auf die Intelligenz angewiesen wäre, müßte man bei jedem Item unwillkürlich auch seine logische Entfernung von der nächsten erfahrungsgemäß sinnvollen Reaktion mitdenken, gleichsam wie eine lästige Mücke, und von der Generalität der Strategie würde über kurz oder lang kaum etwas übrigbleiben (deshalb benutzt in Wahrheit niemand diesen Weg). Praktizierbar wird die hier beschriebene Vorgangsweise gerade im Gegenteil erst dann, wenn es gelingt, sie durch einen blinden, reflexartigen Automatismus der Informationsaufnahme gegen das unermüdliche Rätselraten und die Einflüsterungen der Intelligenz abzudichten.
Worin besteht nun die Funktionalität einer derartigen Strategie? Punktuelle Verfahren, so verläßlich und unentbehrlich sie auch sein mögen, kommen über eine Grenze nicht hinweg: sie sind abhängig von der Nützlichkeitserfahrung, und diese repräsentiert grundsätzlich immer einen zufälligen Weltausschnitt. Die logische Folge ist ein Eingleisungseffekt: die Suche nach möglichen Reaktionen bleibt auf diesen Ausschnitt beschränkt und allen anderen Informationen gegenüber gleichgültig, als ob es sie nicht gäbe. Erst durch generelle Strategien wird das Interesse des Lebewesens an der ihm zugänglichen Welt wirklich verallgemeinert, und das bringt ganz offensichtlich verschiedene Vorteile mit sich. Erstens wird durch jede auf diese Weise zusätzlich gespeicherte Information die Übersicht über das Gesamtfeld der Verhaltensmöglichkeiten um eine Spur besser (obwohl seine vollständige Erschließung, wie gesagt, eine rein theoretische Asymptote bleibt). Zweitens kann sich eine Information, von der die punktuelle Strategie das nicht einmal im Traum annehmen würde, plötzlich als die beste oder sogar einzige Antwort auf eine ganz bestimmte Störung erweisen. Und drittens fällt ihr wahrscheinlich noch öfter eine sogenannte arbiträre Funktionalität zu. Es gibt nämlich viele Reaktionen, die nicht bis ins letzte Detail eindeutig vorbestimmt sind, d.h. sie enthalten Einzelheiten, bei denen sich kein Kriterium anführen läßt, warum sie gerade so ausschauen müßten und nicht anders, weil die Aufgabe durch sehr verschiedene Reaktionselemente ungefähr gleich gut erfüllt werden kann. Hier ist es natürlich am wichtigsten, irgendeine (und zwar möglichst »unbesetzte«) Reaktion der passenden Art vorrätig zu haben, und es ist leicht einzusehen, wie sehr die generelle Repertoirestrategie gerade dieser Forderung entgegenkommt. (Bezeichnenderweise nimmt die arbiträre Funktionalität im Verhalten des Menschen einen gewaltigen Raum ein.)
Die nächste Frage wäre dann, wie eine solche Strategie genauer beschaffen sein muß, und die Antwort darauf läßt sich durch eine Reihe von deduktiven Schlußfolgerungen umreißen.
(1) Das Informationsangebot der Welt ist normalerweise so ungeheuer groß, daß das Lebewesen nach wie vor nur einen Bruchteil davon bewältigen kann. Auch generelle Repertoirestrategien implizieren also zwangsläufig irgendeine Art von Reduktion durch Auswahl.
(2) Die Wahrscheinlichkeit, daß sich ein auf gut Glück aufgegabeltes Stück Information als eine wirklich zweckmäßige Ergänzung des Reaktionsrepertoires entpuppen wird, ist im allgemeinen so verschwindend klein, daß die Auswahl nicht allein dem Zufall überlassen bleiben kann; die Aufmerksamkeit des Lebewesens muß dennoch irgendwie gelenkt werden durch Selektionskriterien bzw. Filter, die sie auf engere, für die Aufstockung des Repertoires entscheidende Informationsklassen beschränken und damit die Nützlichkeitsquote wesentlich erhöhen werden.
(3) Weil aber dabei jede Diskrimination von Inhalten vermieden werden muß, kommen für eine solche Lenkung ausschließlich formale Filter in Betracht. Das heißt mit anderen Worten, daß sich eine generelle Repertoirestrategie nur als Formverhalten verwirklichen läßt.
(4) Die »Form« ist für uns eine Relation zwischen mindestens zwei Informationseinheiten, und zwar von universaler Natur, d.h. eine, die sich auf Identität und Nichtidentität zurückführen läßt. Allerdings gibt es unter den zahllosen möglichen komplexeren Relationsmustern dieser Art keines, das von vornherein signifikant nützlicher wäre als andere. Unsere Filter können also höchstens bei der elementaren Zweierrelation ansetzen, und deren grundsätzliche Einfachheit ist dabei sicher ein zusätzlicher Vorteil.
(5) Nun kann jede Informationseinheit zu jeder anderen in eine binäre formale Beziehung treten. Die Reduktion des Informationsangebots ist also nur so denkbar, daß die Filter irgendeine dabei zu beobachtende Besonderheit herausfiltern; und bei dieser höchst einfachen Form läßt sich eine einzige Besonderheit beobachten. Eine Informationseinheit wird meist einigen anderen Einheiten gleich sein und von dem Rest verschieden, und das anteilsmäßige Verhältnis zwischen solchen Identitäten und Nichtidentitäten kann man als eine Funktion mit zwei Extremen darstellen: einem Gleichheitsmaximum (Abwesenheit von Verschiedenheitsrelationen, hohes Konzentrat der Redundanz) und einem Verschiedenheitsmaximum (Abwesenheit von Gleichheitsrelationen, hohes Konzentrat der metrischen Information). Die von uns postulierten Filter lassen sich demnach als Formverhalten mit Extremalregelung operationalisieren – auch die Neugier bedeutet offenbar eine solche –, und dadurch werden gleich zwei verschiedene generelle Repertoirestrategien möglich.
(6) Doch warum ist die Symmetrie zwischen ihnen, wie schon angedeutet, nicht vollkommen? Das Verschiedenheitsmaximum wird mit der empirischen Inexistenz eines identischen Paares (= Neuheit im strengen Sinne des Wortes) leicht absolut, also unabhängig von der Größe des betrachteten Ausschnitts, und das ergibt einen einfachen, scharf geschnittenen Musterfall, an den sich die Identifikation dieses Extrems anlehnen kann. Die Anhäufung von Gleichem ist hingegen immer nur »lokal«, d.h. sie stößt früher oder später an Verschiedenheit als ihre Grenze, und dadurch wird die Feststellung ihrer Extremalität um einiges schwieriger; in den Vordergrund schiebt sich die Abschätzung der absoluten und relativen Größe einer solchen Insel, die oft schon sehr klein interessant wird, andererseits aber grundsätzlich stets offen bleibt für Extremalisierungsprozesse, die die Homokumulation nach oben hin ins Ungewisse verlängern.
(7) Die verbleibende Schlüsselfrage lautet also: führen diese zwei Filter wirklich zu einer zweckmäßigen »generellen Spezialisierung«? Daß für die Neuheit das zutrifft, ist natürlich leicht einzusehen, denn sie eliminiert die endlose, wuchernd redundante Wiederkehr a) derselben, b) einer gleichen und c) einer zu ähnlichen, nicht klassensprengenden Information und läßt nur das radikal andere, d.h. echte inhaltliche Bereicherungen des Reaktionspotentials übrig; in diesem stets gegen die jeweilige Erfahrung gerichteten Diversifikationseffekt kommt der Grundgedanke der generellen Repertoirestrategie wohl in seiner schärfsten Form zum Ausdruck. Doch wie steht es in der Beziehung mit dem Homokumulat?
Auf jeden Fall ist die Homokumulativitätsgier eine generelle Strategie, weil man bei ihr kein Nachlassen der Motivation parallel zur logischen Entfernung von der Nützlichkeitserfahrung beobachten kann: sie greift den größten Blödsinn mit der gleichen Begeisterung auf wie z.B. eine vorübergehend formalisierte zweckmäßige Reaktion. Weniger augenfällig ist allerdings die spezifische Begrenzung des Weltausschnitts, die von ihr überwunden werden soll, denn sie betrifft nicht dessen Breite (die quantitativ neutrale Ausgangsform der Verhaltensmöglichkeit können wir meist als bekannt voraussetzen), sondern dessen »Höhe« im Sinne der Anhäufung von Gleichem. Ohne die entsprechende Extremalregelung werden nämlich meist eher kleine Homokumulate aufgelesen, und selbst die inhaltlich motivierte Homokumulation kommt oft, sobald sie ihr Ziel halbwegs erreicht hat, »viel zu früh« zum Stillstand, weil kein Grund zu ihrer Fortsetzung besteht. Erst die Homokumulativitätsgier führt diesen Ansatz konsequent und systematisch zu Ende, denn sie ist von Natur aus darauf angelegt, das gesamte Anhäufungspotential jeder einzelnen Reaktionsmöglichkeit aufzudecken und damit die Erfahrung des Lebewesens an der ganzen Front bis zum theoretischen Rand dieser Dimension zu erweitern. (Die praktische Folge ist freilich eine mehr oder weniger lückenhafte Ansammlung von mehr oder weniger untermaximalen Homokumulaten, aber was zählt, ist die Tendenz.)
Und warum soll sich das Lebewesen gerade solche Extreme vormerken? Nun, oft genug kommt es bei der Reaktion vor allem darauf an, daß man nicht kleckert, sondern klotzt, und dafür sind Anhäufungen von Gleichem offenbar wie geschaffen: was immer sie, als Systemausgaben angewandt, bewerkstelligen möchten, auf jeden Fall wird es synergetisch »vielmal dasselbe« sein, was man sich von einer Kombination von Verschiedenem grundsätzlich nicht erhoffen kann (daher auch die inhaltlich motivierte Homokumulation). Oder abstrakter ausgedrückt, im definitorischen Bereich des Homokumulats ist die Entropie gleich null, und was derartige Inseln – so groß wie nur irgendwie möglich – für das um sein Überleben bemühte System Lebewesen bedeuten, darüber brauchen wir wohl nicht viele Worte zu verlieren.
Man könnte auch sagen, daß es zwei verschiedene Arten bzw. Aspekte der »Redundanz« gibt, zwischen denen man streng unterscheiden muß, nämlich die unzusammenhängende Wiederkehr und die zusammenhängende Anhäufung. Die erstere wirft man in der Tat am besten der Gesetzmäßigkeit zum Fraß; die letztere hingegen sollte man wie einen Schatz aufbewahren. Natürlich kann sich die Empfehlung nur auf das beziehen, was wir subjektiv wahrnehmen, und dieses Abbild der Wirklichkeit ist bekanntlich etwas verwackelt, aber im Prinzip ist die Homokumulativitätsgier zweifellos ähnlich funktionell wie die Neugier: auch ihre Produkte bedeuten eine sinnvolle Aufstockung des Reaktionsrepertoires.
Übrigens, wie verhalten sich diese zwei generellen Strategien zueinander, wenn jemand beide beherrscht wie nach unserer Hypothese der Mensch? Schon eine kurze Überlegung zeigt, daß sie einander ausgezeichnet ergänzen. Die wahrscheinlich wichtigste Eigentümlichkeit der Neuheit im Einzelfall ist ihre ganz ungewöhnliche, ja geradezu fatale Abhängigkeit von der eigenen Konsummationsgeschichte: sobald eine Information zu oft wahrgenommen wird, löst sich das Neue an ihr samt seiner Anziehungskraft in Nichts auf. Wohl können auch Neuheiten als Neuheiten den Status eines wiederkehrenden Kulturelements erlangen, doch dabei muß die Erinnerung an die erste Begegnung wach bleiben – dank der Rezenz (modische Launen) oder einer anhaltenden Seltenheit (Kuriosa, Exotika usw.) – und diese Bedingung verbannt solche Elemente an den äußersten Rand der Kultur. Deshalb ist die Neugier in ihrem »lateralen« Expansionsdrang zwar imstande, den Eindruck einer starken Dynamik zu erwecken, aber nur um den Preis einer ebenso starken Flatterhaftigkeit, die uns mit einzelnen Informationen lediglich einige wenige flüchtige Erfahrungen zu sammeln gestattet.
Im Gegensatz dazu halten sich die Schwankungen der Anziehungskraft eines formalen Homokumulats in den üblichen Grenzen, d.h. sein Reiz erholt sich ähnlich rasch und vollständig wie der eines relevanten Inhalts. (Darum geben auch reine CIF-Anhäufungen ganz normale Kulturelemente ab.) Einem oberflächlichen Betrachter mag die Homokumulativitätsgier zwar weniger unternehmungslustig vorkommen, doch macht sie das durch ihr Ausharren und ihre Gründlichkeit wett; man kann sich nämlich mit ihren einzelnen Produkten unbegrenzt ausgiebig befassen, und dadurch werden sie einem ganz anders vertraut als bloße Neuheiten. Diese Art von Gier hat eben nichts mehr gemeinsam mit einem fröhlichen Falterflug, in ihr steckt eine bohrende Frage, die es »wirklich wissen will«.
Alles in allem sind wohl beide Strategien ungefähr gleich wichtig, und dementsprechend müssen die sie tragenden Motive ungefähr gleich stark sein, d.h. wer beide beherrscht, muß sich, vor die Wahl gestellt, manchmal für eine Neuheit entscheiden und manchmal für ein Homokumulat und nicht immer für dasselbe. Sehr häufig ist aber auch eine Art der formalen Mischmotivation, bei der beide Filter auf die gleiche Information angewendet werden: so sind viele extreme Anhäfungen nicht als Inhalte, sondern als Anhäufungen selten (und zunächst sogar absolut neu), was ihnen einen zusätzlichen formalen Vorteil verschafft, und ebensooft wird nicht jede beliebige Neuheit beachtet, sondern nur eine »qualifizierte«, also in sich hinlänglich homokumulative.
Freilich darf man bei alledem nicht die Kehrseite der Medaille übersehen. Ähnlich wie die Funktionalität der punktuellen Repertoirestrategien unterliegt auch die der generellen gewissen für sie charakteristischen Einschränkungen. Zwar können wir bei keiner einzelnen Neuheit oder einzelnem Homokumulat von vornherein ausschließen, daß es sich irgendwann einmal als nützlich erweisen wird; fest steht jedoch, daß insgesamt bei weitem nicht in jeder so ausgesuchten Information eine sinnvolle Verhaltensmöglichkeit steckt. Auch Neuheit und Homokumulativität sind also keine Wunderfilter – vermutlich ist sogar trotz der Vergrößerung der Funktionswahrscheinlichkeit noch immer nur ein ziemlich kleiner Teil des von ihnen Ausgesiebten praktisch verwertbar. Der Nutzen von diesem Teil reicht nach unserer Annahme aus, um beiden Arten des Formverhaltens global genommen ein positives Vorzeichen zu verleihen, aber ohne daß damit irgendeine Garantie im konkreten Einzelfall verbunden wäre, und in dem Sinne wollen wir im folgenden von einer dialektischen Funktionalität des Formverhaltens sprechen.
Mit anderen Worten heißt das, daß man bei einem solchen Verhalten auf allerlei problematische Nebenprodukte gefaßt sein muß. Erstens befindet sich darunter sehr viel Ballast, mit dem zwar unser Informationsspeicher anscheinend mühelos fertig wird, aber es besteht die Möglichkeit, daß die an solche Informationen – und insbesondere an ihre extreme Anhäufung – vergeudeten physischen Ressourcen dann doch irgendwo fehlen. Zweitens muß man, sobald man von unerkannter Nützlichkeit spricht, grundsätzlich auch mit einer ebenso unerkannten Schädlichkeit vieler auf diese Weise vorgemerkter Systemausgaben rechnen – entweder für den einzelnen oder für die Art –, und wieder kommt es bei der Homokumulativitätsgier zu einer Vervielfachung des Schadens durch die Synergie und durch jenen Kippvorgang, durch den zuviel des Guten schlecht wird: Homokumulate können äußerst gefährliche Reaktionspotentiale bedeuten. Doch selbst wenn das Verhaltenssubjekt deutlich sieht und zugibt, daß es sich schon mit der Konsummation einer Information als Form selber schadet, bleibt ihre Faszination ungeschmälert (dort, wo sich hinter dem Minus ein noch größeres Plus verbirgt, mag das sogar funktionell sein) und zieht, solange es den antagonistischen Motiven nicht gelingt, sie zu überwältigen und zu neutralisieren, ihr Opfer weiterhin in ihren Bann. In solchen Fällen feiert die Homokumulativitätsgier natürlich ihre spektakulärsten Triumphe.
Der springende Punkt ist, nochmals, daß man sich im Einflußbereich einer generellen Repertoirestrategie definitionsgemäß nicht frei entscheiden kann: wenn sie ihrem Namen wirklich gerecht wird, also jede inhaltliche Diskriminierung mit Erfolg ausschaltet, dann geht von ihr im Aktualitätsfall ein Zwang aus, vor dem es kein Entrinnen gibt – weil es keines geben darf. Eine derartige Strategie hat nichts zu tun mit (intelligentem) Opportunismus; sie ist ein starrer, brutal uneinsichtiger Mechanismus, der das auch bleiben muß, wenn er seine spezifische Funktion erfüllen soll, d.h. Korrekturen opportunistischer Natur haben durch andere Motive zu erfolgen. Je mehr Spielraum unsere Homokumulativitätsgier im Zuge unserer Selbstdomestifikation erhält, desto deutlicher kommt all das in ihr zum Ausdruck.
Kurzum, wie jeder Überlebensvorteil hat auch dieser seinen Preis. Über die genauere Bilanz der positiven und negativen Auswirkungen zu spekulieren ist natürlich gefährlich, aber im Lichte unserer Analysen könnten wir, ohne uns dem Vorwurf des anthropologischen Pessimismus auszusetzen, behaupten, daß die letzteren den ersteren nicht wesentlich nachstehen.