Level 4 (Grundtext)

Theorie des Homokumulats II

 

Präzisierung und Abgrenzung der Hypothese. Die Extremalregelung und die sie schwächenden Faktoren. Objektive und subjektive Extremalisierungsprozesse. Grenzen der Homokumulativitätsgier: A. Verschiedene Gründe für die Ungleichmäßigkeit der Anhäufung. Ihre Abhängigkeit von der Kultur. B. Die Übermacht anderer, stärkerer Motive und der Anschein einer untermaximalen Homokumulation. Manchmal kann sich dieses Motiv aber auch behaupten. C. Zwei Quellen des Anhäufungsphänomens. Ihre Vermischung und die Schwierigkeit, sie auseinanderzuhalten. Verzerrungen in unserem Panorama: es isoliert das Motiv zu stark und neigt zum Eurozentrismus.

 

Wir sprachen von »hohen Konzentraten« der metrischen Information und der Redundanz. Ihre Erkennung ist einer von den Punkten, an denen sich die Wege der Neuheit und des Homokumulats scheiden. Eine Neuheit liegt strenggenommen nur dann vor, wenn die Information irgendein Element oder eine Relation enthält, die vom Verhaltenssubjekt seines Wissens noch nie wahrgenommen wurde (obwohl die Erinnerung an diese erste Begegnung dann doch mehrere neu-gierige Konsummationen derselben Neuheit zuläßt), und durch ihre Identitätslosigkeit sticht sie deutlich genug gegen »bloße Wiederholungen« ab. Bei der Anhäufung von Gleichem denken wir aber nicht an diese Art der Auszeichnung, obwohl natürlich auch ein Homokumulat gleichzeitig neu sein kann; wir denken vielmehr gerade umgekehrt an immer wieder anzutreffende Informationen genau desselben Inhalts und derselben, zumindest potentiellen, Homokumulationsrichtung, unter denen bei einem quantitativen Vergleich ganz von selbst diejenigen hervortreten, die diese Anhäufungsmöglichkeit in höchstem Maße verwirklichen. Und jetzt läßt sich unsere Hypothese dahingehend präzisieren, daß der Mensch grundsätzlich jeweils das größte Homokumulat innerhalb einer solchen Gruppe als Form konsummieren will, d.h. daß die Homokumulativitätsgier eine Art Extremalregelung bedeutet.

Praktisch kommt es freilich meist zu Verwicklungen, die diese Regelung zu einer statistischen Tendenz abschwächen. Zunächst gibt es da aktuelle Informationsangebote, die eindeutig unter dem sich aus der bisherigen Erfahrung ergebenden formalen Erwartungs- und Anspruchsniveau liegen. Hier ist unsere Reaktion ziemlich uneinheitlich: manchmal lehnen wir derartige Angebote tatsächlich unbeirrbar ab, manchmal läßt sich aber auch eine starke »Schwellensenkung« beobachten. Und ein zweites Problem ist die Genauigkeit der Quantifikation der Anhäufung, denn in aller Regel lassen unsere Homokumulativitätsdetektoren nur eine recht grobe Schätzung zu (die sich dann im Gedächtnis noch weiter verwischt). Aus diesem Grund werden wieder, nur diesmal ahnungslos, auch stark untermaximale Homokumulate konsummiert – zwar mit entsprechend abnehmender Häufigkeit, doch reicht ihre Streuung auf jeden Fall so weit unter den oberen Rand der Erfahrung, daß man vielfach nicht mehr postulieren kann als eine »überdurchschnittliche« Homokumulation. Zum Glück ist der Mensch ab und zu – und in jüngster Zeit immer öfter – dennoch imstande, die Einheiten einer Anhäufung von Gleichem exakt zu zählen oder zu messen, und in solchen Fällen erfährt die Extremalregelung eine eindrucksvolle Bestätigung, denn das Homokumulat im Rang eins zieht dabei stets so viele CIF-Energien an sich, daß schon für die allernächsten Ränge kaum etwas übrigbleibt.

Eine weitere Konsequenz des homokumulativitätsgierigen quantitativen Vergleichs sind gesetzmäßige zeitliche Veränderungen im Rahmen desselben Informationsinhalts und derselben Homokumulationsrichtung, wie sie sich bei der Neuheit nicht denken lassen. Einerseits wird die einmal erreichte Höhe der Anhäufung überindividuell tradiert und geht deshalb nicht so schnell wieder verloren; andererseits tauchen im Erfahrungshorizont des einzelnen und der ganzen Kultur manchmal noch größere Homokumulate auf, zu denen beide begeistert hinüberwechseln. Das logische Ergebnis ist offenbar ein diachroner Extremalisierungsprozeß: eine fortschreitende Annäherung an das je nach Inhalt und Homokumulationsrichtung theoretisch mögliche Maximum der Anhäufung. Die Neuheit ist ein punktuelles Ereignis, eine Explosion, die dann nur noch schneller oder langsamer verhallen kann; ein Homokumulat hingegen hat eine ganz andere temporale Struktur, es gehört in eine prinzipiell endlose Geschichte und erhält vielleicht erst in ausgedehnten Zeiträumen seinen vollen Sinn.

Solange es beim Extremalisierungsprozeß auf ein bloßes Beachten von ohnehin anfallenden Informationen ankommt, kann man diesen Prozeß als rein objektiv auffassen. Wichtiger sind jedoch Fälle, in denen er selber neue Informationen generiert, und die Grundlage dafür liefert die subjektive Extrapolation von zumindest unbewußt bemerkten Homokumulativitätsunterschieden über den oberen Rand der Erfahrung. Der ursprüngliche Ort dieser Extrapolation ist natürlich unsere Vorstellung; vielfach verläßt ihn die Extrapolation auch gar nicht, was meist zu einer starken Lockerung der Kontrolle des Wirklichkeitssinns und zu typisch phantastischen Vorstößen bis an die Grenzen des Naiv-Denkbaren führt. Manchmal will man aber Anhäufungen, die man sich im Geiste vorstellt, auch tatsächlich finden oder zuwege bringen. Das Tempo der Extremalisierung ist deshalb äußerst verschieden: bei einem rein objektiven Prozeß ist der Fortschritt oft unendlich langsam und unterbrochen von langen Perioden der Stagnation, phantastische Extrapolationen erfolgen meist sprunghaft und werfen einen plötzlichen großen Homokumulativitätsgewinn ab, und das Schicksal unserer realen Extremalisierungsbemühungen erfüllt den ganzen Zwischenraum. Häufig kann man ohne Übertreibung von einer historischen Entwicklung sprechen, obwohl sie sich an und für sich auf das Quantitative beschränkt.

Will man den (realen) Extremalisierungsprozeß nicht völlig falsch verstehen, so muß man allerdings verschiedenste Begrenzungen der Homokumulativitätsgier gebührend berücksichtigen.

A. Zunächst ist eine Gruppe von Faktoren zu erwähnen, die die auffallende Ungleichmäßigkeit der konkret beobachteten Homokumulation erklären. Gerade durch unsere Möglichkeitsübersicht wird nämlich deutlich, daß sich jede Kultur (im Prinzip auch unsere eigene) einige Anhäufungen von Gleichem aussucht, die sie – meist mit beträchtlichem Erfolg – formal kultiviert, während sie andere gleichsam links liegen läßt. Die Auswahl variiert von Kultur zu Kultur, und man kann nicht einmal behaupten, daß sie das Feld der zugänglichen Information repräsentativ abbildet, weil sich ihre Aufmerksamkeit zu oft stark einseitig auf bestimmte Teilbereiche dieses Feldes konzentriert. Durch all das entsteht der Anschein einer inhaltlichen Begünstigung und Spezialisierung, die dem Grundgedanken des Formverhaltens zuwiderläuft. Wie läßt sich also das eine mit dem anderen vereinen?

1. Irgendwie anhäufen kann man zwar alles und jedes, aber die Anzahl der dabei in Frage kommenden Aspekte und der unterscheidbaren Homokumulativitätsstufen innerhalb dieser Aspekte oder kurz die formale Ergiebigkeit eines Inhalts ist nach unseren Beobachtungen sehr verschieden: einige Informationen erweisen sich in der Beziehung als von vornherein privilegiert gegenüber dem Rest. Mit anderen Worten bedeutet das, daß Inhalte stets gewisse formale Konnotationen enthalten, die sie der Homokumulativitätsgier empfehlen oder auch nicht. Sie sind also formal relevante, differenzierende und lenkende »Adressen«.

2. Als nächstes muß man sich fragen, ob der anzuhäufende Sachverhalt (Inhalt plus Homokumulationsrichtung) dem Verhaltenssubjekt überhaupt bekannt ist. Natürlich gibt es einen Grundbestand von elementaren Informationen, bei denen man das als selbstverständlich voraussetzen kann. Doch sehr viele Sachverhalte entstehen erst durch einen zufällig »richtigen« Zusammenschluß von mehreren Elementen oder durch die bewußte oder unbewußte Abstraktion einer esoterischeren Eigenschaft als kulturabhängige Leistung. Unsere Homokumulativitätsgier kann sich durchaus auch auf derartige Sachverhalte beziehen, aber nicht bevor sie sich objektiv oder subjektiv konstituiert haben, und diese Konstituierung ist schon an sich ein geschichtliches Ereignis. Gerade heute sind wir oft Zeugen solcher Ereignisse, und daraus müssen wir folgern, daß auch wir noch viele uns theoretisch zugängliche Homokumulate nicht entdeckt haben und daß wir alle überhaupt nie entdecken werden.

3. Der größte Teil der oben geschilderten Ungleichmäßigkeit ergibt sich aber wahrscheinlich aus zufälligen zeitlichen Vorsprüngen im Extremalisierungsprozeß. Wenn nämlich ein Homokumulat von der Kultur aufgegriffen wird, erreicht es durch die ihm von allen Seiten angedeihende Pflege (»Kultivierung«) meist früher oder später ein so hohes Maß der Anhäufung von Gleichem, daß neu dazukommende Informationsinhalte kaum noch eine Chance haben, es auf Anhieb einzuholen; dadurch werden sie aber nun leicht von vornherein formal uninteressant und unfähig, eine eigene Extremalisierungslinie in Gang zu setzen. Die logische Folge ist eine Art Selbstverstärkung der Homokumulationsunterschiede und eine mächtige Tendenz zur Perpetuierung der einmal kulturell getroffenen Wahl.

Damit wird übrigens auch verständlich, warum uns nahezu alle beobachteten Homokumulate – anders als die keiner formalen Entwicklung fähigen Neuheiten – im Status eines Kulturelements begegnen (der einzelne ist in dieser Beziehung fast völlig abhängig von der Tradition und kann sich ihr gegenüber nur sehr selten mit einer eigenen Anhäufungsidee durchsetzen). Selbst wenn die vielen Mechanismen allgemeiner Art, die es einer Kultur so leicht machen, das Verhalten des Individuums in ihre Bahnen zu lenken, hier nicht am Werke wären, würde schon allein die Verlockung durch den sonst unerschwinglichen formalen Glanz dafür mehr als ausreichen. (Wohl aber wird dem einzelnen in neuerer Zeit immer deutlicher eine andere Art von Selbständigkeit zuteil: das Homokumulativitätsangebot unserer Kultur ist längst so reich, daß ihm oft schon ein kleiner Teil davon genügt, und dadurch wird er selber ähnlich »spezialisiert« wie einst ganze Kulturen.)

Möglich ist all das freilich nur, weil sich offenbar nicht nur gleiche, sondern auch verschiedene Inhalte und/oder Homokumulationsrichtungen untereinander formal vergleichen lassen, und zwar grundsätzlich jede mit jeder (denn schließlich kann man nicht mehr als ein Anhäufungsgebilde auf einmal konsummieren, das in diesem Augenblick alle anderen vertritt). Als Vergleichsbasis dient dabei wohl der nach unserer Auffassung bei allen identische Motivationseffekt. Welche Mengen der jeweils spezifischen Anhäufung den gleichen allgemeinen Motivationseffekt hervorrufen, darüber wissen wir allerdings wieder einmal herzlich wenig. (Deshalb können wir auch nicht z.B. die Summierung der Aspekte quantitativ rekonstruieren und die »Gesamthomokumulativität« einer Kombination ausrechnen.)

B. Voraussichtlich noch wichtiger als diese informationsimmanenten sind jedoch äußere, kontextuelle Begrenzungsfaktoren. Man darf sich die Homokumulativitätsgier nicht als einen Impuls vorstellen, der sich bei jeder theoretisch bestehenden Gelegenheit frei austoben könnte, denn sie ist selbstverständlich nicht der einzige Beweggrund des Menschen, sondern nur einer unter vielen, der sehr oft mit anderen in Konflikt gerät – sei es wegen eines direkten Antagonismus (physiologische Unerträglichkeit einer zu weit gehenden Anhäufung, Angst davor, Müdigkeit usw.) oder weil er mit ihnen um dieselben Ressourcen konkurriert. Und dabei erweist sie sich zumindest im allgemeinen Durchschnitt als eines der schwächsten Motive ganz am unteren Ende der hierarchischen Rangordnung, das sich erst dann zum Wort melden kann, wenn alle anderen verstummen (im sogenannten »entspannten Feld«), sonst aber von seinen übermächtigen Gegnern gehemmt wird und auf seine Befriedigung verzichten muß; und dieser Verzicht wird leicht zu einer Gewohnheit, die auch dort den Ausschlag gibt, wo ein solcher Konflikt gar nicht droht. Deshalb wird das Erscheinungsbild des menschlichen Verhaltens bei weitem die meiste Zeit durch andere Beweggründe geprägt. Das Kriterium, das dieser Rangordnung zugrunde liegt, ist natürlich die biologische Dringlichkeit unserer verschiedenen Bedürfnisse, denn der Mensch kann anscheinend beliebig lange auch ohne jede Konsummation der Information als Form überleben – das CIF-Verhalten ist also auf den ersten Blick so etwas wie eine fakultative Zugabe, ein Luxus, auf den man in der Tat ohne weiteres verzichten kann.

Praktisch begegnet man einer totalen Unterdrückung der individuellen oder sogar der kulturellen Homokumulativitätsgier freilich nur im Kielwasser irgendeiner Katastrophe (denn sonst ist wenigstens unsere Phantasie immer frei). Wohl aber bleibt die Menge der Ressourcen, die für dieses Motiv abgezweigt werden können, zumal nach den Maßstäben unserer Kultur in den meisten anderen ziemlich bis äußerst begrenzt, und deshalb kommt uns deren »Ausbeute« entsprechend unbefriedigend vor: erstens können sie nur sehr wenige Homokumulate formal kultivieren, während die Menschen in ihnen für alle anderen Möglichkeiten der Anhäufung von Gleichem, auch solche, die an sich keine besondere Sensibilisierung erfordern, mehr oder weniger abstumpfen; und zweitens werden auch die aufgegriffenen Sachverhalte lediglich bis zu einem bestimmten, von unserer Warte aus oft deutlich untermaximalen Niveau extremalisiert – zum Teil, weil unter diesen Umständen objektiv nicht mehr drin ist, und zum Teil, weil solche Kulturen vielfach durch ein sehr charakteristisches »verfrühtes« Non-plus-ultra-Urteil jede weitere subjektive Bemühung lähmen.

Andererseits darf man die Macht der Homokumulativitätsgier aber auch nicht unterschätzen. Die für sie ungünstige Rangordnung der Motive gilt wieder nicht absolut, sondern nur statistisch, so daß sie sich bisweilen – nicht zu oft, aber dennoch – gegen ihre gemeinhin stärkeren und in einzelnen Extremfällen sogar gegen die allerstärksten Widersacher durchsetzen kann. Ein CIF-Homokumulat hat also für den Menschen gegebenenfalls Vorrang vor verschiedenen anderen Bedürfnissen, die ihm ohne Bedenken geopfert werden, und selbst ganze Kulturen erwecken manchmal den Eindruck, daß sie sich in Wirklichkeit mehr um die Form kümmern als z.B. um schnöde Technologie und sie zu Höhen vorantreiben, die sie sich eigentlich gar nicht leisten können. (Einen Sinn ergibt all das natürlich nur, wenn sich auch die Dringlichkeitsverhältnisse nicht so eindeutig ordnen lassen, wie wir ursprünglich angenommen haben.)

Welche Faktoren könnten für diese breite Streuung der Ränge verantwortlich sein? Zunächst muß man wahrscheinlich mit individuellen und altersmäßigen Unterschieden in der Stärke der Homokumulativitätsgier – oder vielleicht der vitalen Expansion insgesamt – rechnen. Zweitens können andere, an sich gewaltigere Motive einander blockieren. Drittens gibt es zwischen verschiedenen Beweggründen nicht nur Konflikte, sondern auch Koalitionen, und dabei kann die Homokumulativitätsgier an einen Verbündeten geraten, der das Verhaltenssubjekt stark energetisiert, aber nur sehr schwach ausrichtet, so daß die nähere Zielbestimmung ihr überlassen bleibt. (Ein gutes Beispiel dafür ist schon der sogenannte Ich-Bezug: »ich« ist zwar ein Inhalt, aber nur im Sinne eines leeren Rahmens, der grundsätzlich mit allen möglichen Dingen ausgefüllt werden kann, unter anderem auch mit jeglicher Art des Formwillens.) Und ähnlich wachsen unserem Motiv im Falle der Verhinderung einer gewohnheitsmäßigen Konsummation der Information als Form oft ungeahnte Kräfte zu.

All das zusammen macht die Aktualisierung der Homokumulativitätsgier im konkreten Einzelfall praktisch unvoraussagbar.

C. Im weiteren Sinne schließlich ist eine Grenze dieser Gier außerdem noch die einfache Tatsache, daß Verhaltenselemente vielfach aus inhaltlichen Gründen intensiviert, extensiviert, bereinigt usw. werden; genau besehen sind wahrscheinlich sogar die meisten irgendwie angehäuft, und zwar nicht selten bis zum Extremalwert. Die inhaltlich motivierte Homokumulation ist stammesgeschichtlich uralt – ihr haben wir unsere Homokumulativitätsdetektoren zu verdanken –, obwohl sie beim Menschen nicht mehr ausreicht, um alle Anhäufungsphänomene zu erklären. Doch ebensowenig kann man diese pauschal der Homokumulativitätsgier zuschreiben; vielmehr gibt es zwei Quellen des Homokumulats, und das nicht etwa im Sinne von zwei getrennten Welten, denn letzten Endes sind Inhalt und Form nur verschiedene Dimensionen derselben (und zwar grundsätzlich jeder) Information.

Die logische Folge sind erstens Motivationsübersprünge: auch eine inhaltlichen Zwecken dienende Anhäufung kann unsere Homokumulativitätsgier so reizen, daß sie formalisiert wird, d.h. eine Konsummation der Information als Form auslöst, die den Inhalt einfach vergessen läßt (abstrahiert), und umgekehrt kommt es vor, daß ein formales Homokumulat für den Menschen inhaltlich relevant wird, was – sobald er die Veränderung wenigstens unbewußt bemerkt – zu einer motivativen Entformalisierung dieses Homokumulats führen kann. In beiden Fällen ist ein tertiärer Gegenausschlag des Pendels, also die Rückkehr zum ursprünglichen Motivationstyp denkbar. Und zweitens muß man mit synchronen Mischmotivationen (= Koalitionen zwischen inhaltlichen Motiven und der Homokumulativitätsgier) rechnen; nach allem, was wir über den Menschen wissen, dürfte das sogar der Normalfall und ein »spezialisiertes«, ausschließlich homokumulativitätsgieriges Verhalten die Ausnahme sein. Der Anteil unserer Motivation an einer solchen Mischung wird offenbar gleichsam vom eindeutig dominierenden Grundton (Hauptingredienz) bis zu den leisesten Obertönen (Spurenelementen) variieren – und gemäß der allgemeinen Hierarchie der Motive müßte sich fast eine kleinere Beteiligung als insgesamt häufiger und typischer herausstellen. Außerdem wird das Kräfteverhältnis innerhalb der Koalition einmal konstant bleiben und ein anderes Mal zeitlich schwanken: in bestimmten Augenblicken wird das formale Moment mehr in den Vordergrund treten, dann aber wieder zurückweichen (womit wir eine abgeschwächte Spielart der Formalisierung/Entformalisierung umschrieben haben).

Erst durch diese Zweigleisigkeit der Anhäufung wird die Identifikation der Homokumulativitätsgier und ihre Unterscheidung von anderen Beweggründen so schwierig, wie sie tatsächlich ist. Jedes festgestellte (und verhaltenswirksame) Homokumulat kann grundsätzlich formal motiviert sein oder auch nicht – die Anhäufung als solche ist in beiden Fällen gleich und es ist ihr nicht von der Nase abzulesen, ob sie wegen ihres Inhalts angepeilt wird oder »wegen sich selbst«. Deshalb ist die Anwesenheit (und Erkennbarkeit) des CIF-Syndroms so entscheidend; alles spitzt sich auf sie zu. Und mit der Mischmotivation werden die Probleme noch viel größer. Unsere eingangs geäußerte Zuversicht erstreckt sich da lediglich auf eine klare Dominanz des formalen Motivs (die wir manchmal etwas vereinfacht wie reine Homokumulativitätsgier behandeln werden), während unsere Methode der Ausschließung anderer Möglichkeiten bei kleineren Anteilen sehr bald ins Schwimmen gerät, auch wenn wir von ihr keine exakte Quantifizierung des Anteils verlangen, sondern nur den Nachweis seiner Existenz.

Durch detektivische Kleinarbeit kann man zwar die Erkennungsgrenze manchmal überraschend weit nach unten verschieben: an einer Verhaltensweise, die auf den ersten Blick bzw. im Selbstverständnis des Verhaltenssubjekts ausschließlich inhaltlich motiviert erscheint, lassen sich unter Umständen Einzelheiten entdecken – Abweichungen, »Überschüsse« usw. –, die genaugenommen keinen inhaltlichen Sinn ergeben, so daß dahinter noch etwas, nämlich eine formale Motivationskomponente stecken muß. Doch dazu sind meist recht kräftige und auffällige Indizien erforderlich, und es dürfte der Homokumulativitätsgier alles in allem wohl eher selten gelingen, trotz ihrer untergeordneten Rolle der Gesamtreaktion des Menschen einen so deutlichen Stempel aufzudrücken. In der Regel werden oder würden wir uns genötigt sehen, bei einer angenommenen schwachen Beteiligung dieses Motivs auf einen nichtssagenden prinzipiellen Möglichkeitshinweis auszuweichen.

Was wir mit einiger Sicherheit identifizieren können, ist also vorerst gewissermaßen der sichtbare Teil eines Eisberges. Man braucht sich zwar meines Erachtens auch dadurch nicht entmutigen zu lassen, wohl aber ist es ratsam, von vornherein auf gewisse Verzerrungen in unserem Panorama der Homokumulativitätsgier gefaßt zu sein. Erstens ist mir darin die (bis zu einem gewissen Grad methodisch unvermeidliche) Isolation des thematisierten Motivs sicher zu gut gelungen: die Frage lautet meist »Homokumulativitätsgier vorherrschend oder nicht?« und das Gros der positiven Antworten bleibt auf einige wenige Spezialgebiete des Verhaltens beschränkt. In Wahrheit dürfte diese Gier viel weiter gestreut sein und viel geschmeidiger integriert in das Gesamtbild – aber solche Feinheiten und mit ihnen der wirkliche Anteil unseres Motivs am Menschsein lassen sich einstweilen eben nur theoretisch rekonstruieren, genauso wie der voraussichtliche Kompetenzbereich unseres Konstruktes, dessen Zukunft wohl nicht so sehr in solistischen Erklärungsauftritten liegt als vielmehr in kleineren kooperativen Beiträgen zur Motivationserhellung, die sich möglicherweise auf den größten Teil des menschlichen Verhaltens ausdehnen werden.

Und zweitens ist zu erwarten, daß die Häufigkeit der Fälle einer überwiegenden bis ausschließlichen Homokumulativitätsgier im allgemeinen proportional zur Menge der Ressourcen wachsen und umgekehrt eine diesbezügliche Knappheit zu besonders viel Mischmotivation bzw. zu durchschnittlich besonders kleinen Anteilen eines so »entbehrlichen« Motivs führen wird. Weitaus am größten sind die Möglichkeiten, wie gesagt, in unserer Kultur, und das Ergebnis ist eine üppige Blüte der emanzipierten, eindeutig identifizierbaren formalen Anhäufung, wie sie in jeder anderen Kultur undenkbar wäre. (Unter dem Eindruck dieser Blüte haben die Europäer auch als einzige allmählich gelernt, die Homokumulativitätsgier zumindest ansatzweise zu reflektieren – anders als bei der Neugier, die doch viel weniger durch inhaltliche Motive überdeckt erscheint.) Bedenkt man dazu noch, daß wir unsere eigene Kultur selbstverständlich am besten kennen und daß sie uns am nächsten liegt, so kann man sich leicht ausrechnen, daß die Hauptmasse unserer Beispiele ihr entstammen wird. Ich habe mich zwar bemüht, dieser Tendenz soweit wie möglich entgegenzusteuern, doch der Anschein eines starken »Eurozentrismus« – als der nächsten Verzerrung – war einfach nicht zu umgehen.

Man kann aber sicher nicht behaupten, homokumulativitätsgieriges Verhalten wäre eine rein europäische Besonderheit; Anzeichen dafür, und zwar manchmal recht deutliche, gibt es auch anderswo genug, trotz des graduellen Unterschiedes. Vielen Anthropologen kommen bekanntlich gerade die einfacheren Kulturen bei aller Zweckmäßigkeit merkwürdig »verspielt« vor (einige glauben sogar, daß sie damit die Kultur des Menschen als solche erklären können) – und bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese Verspieltheit sehr oft als inhaltlich unnotwendige Extremalisierung des Homokumulats, d.h. als ein Ausdruck der schon erwähnten Formbesessenheit.

 

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