Level 4 (Grundtext)
Objektveränderung
Das Problem der Destruktivität und unser Beitrag zu ihrer Erklärung: Zerstörungshandlung als Form. Vernichtung von Gegenständen und ihren Funktionen. Verletzung oder Tötung eines Lebewesens aus Homokumulativitätsgier. Verschiedene kulturelle Einstellungen dazu. Ist unsere Kultur in diesem Punkt wirklich so restriktiv, wie sie glaubt?
Die nächste von unseren Grundfiguren ist ein verändernder Eingriff in das Objekt selbst – eine besonders »klassische« Abart der Bewirkung mit unvergleichlich ernsteren Folgen als bei einer bloßen Ortsveränderung und einer entsprechend anderen, im Durchschnitt viel weniger verspielten Grundstimmung. Das zeigt sich schon bei ihrer ersten Unterform, nämlich bei einer wie auch immer gearteten Verringerung der Strukturhöhe des Objekts oder kürzer gesagt seiner Destruktion.
Die Destruktivität (bzw., mehr oder weniger synonym dazu, die Aggressivität) des Menschen ist natürlich eine seiner beunruhigendsten Eigenschaften, die ihn selber unentwegt beschäftigt, so daß es für sie schon sehr viele (inhaltliche) Erklärungen gibt. Doch eine explanative Sättigung ist trotzdem nicht in Sicht: erstens würde man wegen der akuten existentiellen Unverständlichkeit einer erlittenen Destruktion selbst ihre restlose Rückführung auf allgemein anerkannte Gesetzmäßigkeiten als unzulänglich empfinden, und zweitens ist diese Rückführung in manchem konkreten Fall zur Zeit noch recht wackelig, denn es fehlt nicht an Zerstörungen, denen man nur mit erheblichem Ad-hoc-Apparat einen inhaltlichen Beweggrund unterlegen kann. Hier ist sicher noch Platz für neue Erklärungsversuche, und wir haben in dieser Hinsicht immerhin einiges anzubieten.
Zunächst einmal denke ich dabei an den intrinsischen Reiz eines destruktiven Aktes. Dieser stellt nämlich zweifellos wieder eine formal privilegierte, von Natur aus besonders homokumulative Information dar, deren Konsummation sich im Prinzip ohne weiteres aus unserer zentralen Hypothese ableiten läßt. Davon kann man sich schon durch einen flüchtigen Blick auf die Zerstörung als Bewirkungshandlung überzeugen, denn sie ist meist entweder äußerst leicht* (wenn es nämlich nur einen auf den kleinsten Anstoß wartenden entropischen Vorgang auszulösen* gilt) oder, vielleicht noch typischer, beinahe orgiastisch intensiv* als eine weitere von jenen seltenen Gelegenheiten, bei denen der Mensch seine ganze ungezügelte Kraft* in etwas investieren kann – manchmal explosionsartig* und manchmal im Rahmen eines länger anhaltenden asymmetrischen Destruktionswettkampfes* mit einem sich hartnäckig widersetzenden* Objekt, in dem diese Intensität besonders klar zum Ausdruck kommt. Und untersucht man die motivativ schwer einzuordnenden Fälle von Zerstörung genauer, so stößt man häufig auf ein deutlich ausgeprägtes CIF-Syndrom, das sich tatsächlich gerade um solche Eigenschaften verdichtet (entweder primär oder im Gefolge einer Formalisierung, z.B. wenn das Interesse an einer inhaltlich begründeten Zerstörungshandlung auf ein Publikum überspringt, dem dieses ursprüngliche Motiv fehlt).
Natürlich ist bei alledem Vorsicht geboten: insgesamt ist die Homokumulativitätsgier wahrscheinlich nicht die Hauptursache unserer Zerstörungslust. Wohl aber läßt sich schon jetzt behaupten, daß die Destruktion beim Menschen unter anderem auch ein Formverhalten bedeuten kann und daß die beim Zerstörungsakt anfallende Form möglicherweise ganz allgemein einen Diskant zur Hauptmelodie liefert, der die Verlockung zusätzlich verstärkt.
Ist das Objekt der Destruktion ein physischer Gegenstand, dann besteht die einfachste Art seiner Zerstörung in einer Zerstückelung (»in tausend Stücke«* = Extremalisierung der Menge*) oder entropischen Verformung (z.B. »dem Erdboden gleichmachen«* = Lückenlosigkeit* der Schleifung eines Hochbaus). Eine derartige, eindeutig formale Destruktion von Spielsachen* bringt in das Leben des Kleinkindes den zweiten größeren Wettkampf nach dem Gehenlernen, mit entsprechendem Anstachelungseffekt, aber auch die Zertrümmerungsexhibitionen* der Karateisten deuten darauf hin, daß vermutlich viele Vandalismen einfach auf die formale Herausforderung* eines gerade richtig festen (und einsamen) Gegenstandes zurückzuführen sind. Ähnlich wird ein Abbruchvorhaben, ausgeführt mit den hochleistungsfähigen* Mitteln der modernen Technik, immer seine Zuschauer finden; das gleiche »sportliche« Interesse erwecken Berichte über einstige Belagerungsmaschinen*; und sogar bei dem sogenannten Axtkult* könnte die Bewunderung der für die damaligen Verhältnisse extremen Destruktionseffizienz* als Form mit eine Rolle gespielt haben.
Eine wirklich minimale* Bewirkungshandlung erreicht man im allgemeinen freilich erst bei der Zerstörung einer Funktion, weil in diesem Fall viele Objekte schon durch eine geringfügige Beschädigung* oder Durcheinanderbringen der Teile* unbrauchbar gemacht werden können. Doch wird unter gewissen Voraussetzungen auch eine reine Zerstückelung ganz leicht und deshalb besonders formal ausgezeichnet – vom Lostreten einer Lawine* über das Zerschellen von Gläsern* als Trinksitte bis zur Formalisierung der Wirkung von Sprengstoffen* (selbst in Geschossen oder Bomben*, und wieder sind Kinder unsere Kronzeugen). Zu erwähnen sind auch die maßlos übertreibenden* Darstellungen in der komischen Fiktion, wo schon die leiseste Berührung* eine Katastrophe auslösen kann, wo chemische Experimente unweigerlich zur Explosion führen usw. Ein Sonderfall ist schließlich noch die Feuerlegung* mit ihrer anschaulich intensiven*, unbändig um sich greifenden* und oft stark annihilativen* Wirkung: das Kind ist zweifellos aus formalen Gründen ein Pyromane, und der Erwachsene wahrscheinlich auch.
Noch viel heikler wird es natürlich bei der Destruktion des Lebens (Verletzung oder Tötung von Mensch oder Tier). Doch läßt sich nicht leugnen, daß die Formprämie dabei ebenfalls wächst. Einerseits erfordert die Beeinträchtigung bzw. Auslöschung einer vitalen Funktion als Eingriff in ein hochgezüchtetes und dementsprechend entropieanfälliges System in vielen Fällen eine denkbar geringe* Intervention; andererseits ist die Intensität* einer derartigen Störung leicht nachempfindbar, und vor allem bei der meist plötzlichen* Verwandlung eines Lebewesens in einen Leichnam kommt noch ein starker Kontrast* zwischen Vorher und Nachher hinzu. Ganz speziell formal geschätzt wird erwartungsgemäß ein symmetrischer Destruktionswettkampf*, wobei das enorme Risiko*, das von den Kontrahenten eingegangen wird, überall als ein indirektes Maß für die Homokumulativität des Sieges über die eigene Angst verstanden wird (Todesmut* ist eine geradezu klassische Anhäufung von Gleichem). – Zugegebenermaßen wäre das Töten mit bloßen Händen zwar oft ziemlich mühsam (daher die Faszination von großen Raubtieren*), doch kann dem mit allerlei Waffen* abgeholfen werden, die die oben geschilderten Formmöglichkeiten zur üppigsten Entfaltung bringen. Das Kind, das so gern herumläuft und »peng-peng«* ruft, weiß das ganz genau, und der Erwachsene entdeckt auf dem praktisch unbegrenzten Feld der Vervollkommnung seiner Meisterschaft* im Umgang mit Waffen viele zusätzliche, leicht formalisierbare Extremalisierungslinien.
Nun verhält sich unsere Kultur, wenn es um Zerstörung des Lebens als Formverhalten geht, zweifellos lobenswert restriktiv: sie duldet davon nur noch einige wenige Überreste, und auch die müssen mit viel Augenauswischerei um ihre Zulässigkeit kämpfen. So ist Boxen* als die einzige Sportart mit dem (wirklichen) Ziel einer körperlichen Verletzung* heute schon eine große Ausnahme. Das Fechten* wurde zu einem reinen Treffsport* entschärft, und noch weiter führen denselben Gedanken die kontaktfreien Schulen des Karate*. Selbst Tierkämpfe* werden anscheinend nur noch in abgelegenen Winkeln der Erde veranstaltet; am besten hält sich vielleicht, obwohl auch nicht mehr unangefochten, die Jagd* als eine höchst elitäre Abart der Homokumulativitätsgier (Treffen* + Töten*, nur selten abgeschwächt zu Einholen* + Fangen*, also zu einer ausschließlichen Ortsveränderung). Interessanterweise hat der Stierkampf*, obgleich in der Risikoverteilung um einiges fairer, im allgemeinen einen viel schlechteren Ruf: die mythische Tötung des Ungeheuers (die sich im Märchen so schön formalisieren ließ) ist offenbar völlig vergessen.
Allerdings ist diese Einstellung nicht die einzige anthropologisch mögliche; wahrscheinlich ist sie nicht einmal besonders typisch, denn vielen Kulturen sind bzw. waren unsere Bedenken mehr oder weniger fremd. So waren bekanntlich mancherorts »sportliche«, inhaltlich unnotwendige oder nur sehr fadenscheinig begründete Duelle* gang und gäbe, bei denen höchste Gefahr der Verletzung oder Tötung bestand, nicht selten als einzige Pointe. Solche Duelle wurden offenbar nicht nur von den Zuschauern mit bestem Gewissen voll ausgekostet, denn sie hätten ohne die vorbehaltslose Mitwirkung der Beteiligten selber überhaupt nicht entstehen und kulturell aufgegriffen werden können. Das gilt im Prinzip auch für eine so seltsame Belustigung wie den Gladiatorenkampf*. Sogar Kriege wurden anscheinend oft als eine Art Sport* aufgefaßt und möglicherweise vor allem wegen der homokumulativen Form der dabei zu erzielenden Destruktion geführt. Und mit der Tötung eines unbewaffneten Menschen »einfach so, nur zum Vergnügen« stand es – und steht es – nach allem, was uns berichtet wird, kaum anders, obwohl man für solche Fälle fast krampfhaft irgendein konkretes inhaltliches Motiv sucht: es scheint, daß die hohe formale Belohnung eines Tötungsaktes* genügt. (Ähnlich waren übrigens die meisten Schaulustigen bei öffentlichen Hinrichtungen* in erster Linie Homokumulativitätsjäger.)
Aber sind wir im Vergleich dazu wahrhaftig so unschuldig? Was ist mit unserer notorischen Sucht nach (eindeutig formalisierten) Tatsachenberichten*, Fiktionen* und Phantasien* auf das Thema Lebenszerstörung – straft uns die nicht Lügen, und besteht nicht der einzige wirkliche Unterschied darin, daß wir uns unter dem Druck unserer Kultur mit Ersatzbefriedigungen begnügen? Ich denke da an die heroischen Schlägereien* des Action-Films mit ihrer oft merkwürdig unparteiischen oder sogar komisch übertreibenden* Grundstimmung; ich denke an die visuellen Gags einer ins Irreale gesteigerten* Destruktionswirkung, von denen bestimmte Schulen des Zeichentrickfilms* leben; oder ich denke an die unausrottbare Beliebtheit von Kriegsspielen* und -spielzeug*. Und wie verhält es sich mit der schwarzen Chronik der destruktiven Kriminalität*: verschlingen wir die in der Tat nur aus Abscheu? Ist das nicht im Grunde genommen eine contradictio in adiecto, und muß also nicht auch hier ein anderes, inhaltsunabhängiges Motiv im Spiel sein? Oder unsere Geschichte, wird sie nicht manchmal gelesen bzw. kreativ variiert gleichsam wie ein unerschöpfliches Drehbuchreservoir für farbenfrohe Breitwandstreifen mit Hauptkostenpunkt Tomatensaft, triefend von Blut* und Greueltaten* als höchst unterhaltsamen formalen Homokumulaten?
Quälen als Zufügung von körperlichem Schmerz oder Zerstörung des existentiellen Umfeldes. Warum sind auch das homokumulative Informationen. Kann die Verspottung ein Formverhalten darstellen? Destruktion »im Scherz«, aber der endet irgendwo. Die Bilanz von Nutzen und Schaden.
Und genau dasselbe gilt für jenen Gipfel der Verworfenheit, der durch die Verlagerung des Schwerpunktes von der eigentlichen Destruktion des Lebens zu bestimmten verselbständigten Begleitmomenten dieses Vorgangs, nämlich zur Bewirkung von körperlichem Schmerz und Selbsterhaltungsangst (auch z.B. als »Vorspiel« zur Verlängerung des Genusses) erreicht wird. Wie Töten ist nämlich auch Quälen eine besonders homokumulative Information, weil dabei wieder unschwer* eine extrem intensive* Wirkung erzielt wird, die sich entweder an den dramatischen Reaktionen* des Opfers unmittelbar ablesen läßt oder zumindest aus der eigenen Erfahrung lebhaft rekonstruiert werden kann. Da aber das letztere den Bewirker doch erheblich weniger befriedigt, kommt es ganz von selbst zu einem asymmetrischen Wettkampf mit einem solchen Aktivationsmuffel: wird er Wirkung zeigen* (bzw. bei einer instrumentalen Folter: wird er irgendetwas heftig Verweigertes tun oder sagen*), oder wird er das nicht*? Selbstverständlich wird von uns jede physische Grausamkeit, aus Formlust oder aus inhaltlichen Beweggründen, strikt verurteilt und in tiefste Illegalität verbannt – was allerdings viele nicht daran hindert, bei einer »harten, aber gerechten« Körperstrafe Genugtuung zu empfinden –, doch die beiden anderen Quellen von Beispielen versiegen auch hier nicht. So sind oder waren in vielen Kulturen öffentliche Folterungen nichts Ungewöhnliches, und sie konnten durchaus »sportliche«* Züge annehmen, während uns wieder unser oft kaum zu stillendes Interesse an der Darstellung von sadistischen Handlungen verrät, von Beschreibungen, die sich an den abscheulichsten Einzelheiten der Torturtechnik* weiden, bis zu Szenen unübertrefflicher Brutalität* im Film oder beim Catch*.
Daneben gibt es aber noch zwei subtilere und nach wie vor ziemlich legale Formen der Quälerei, bei denen sich die Destruktion nicht gegen den Körper selbst richtet, sondern gegen das existentielle Umfeld des Opfers. Erstens sind reale Eingriffe in einen fremden Lebenslauf möglich, bei denen man jemandem z.B. das Allerliebste wegnehmen oder die schönsten Pläne durchkreuzen kann, und der zweite Fall bezieht sich auf existentielle Sachverhalte, die für das Publikum unüberprüfbare Behauptungen bleiben müssen wie gewöhnlich die meisten: mit ein wenig Autorität oder Vertrauenskapital lassen sich nämlich solche Behauptungen bekanntlich fast nach Belieben durch andere ersetzen, und wenn dabei irgendetwas Positives – insbesondere eine Leistung – verneint oder verringert wird, ist das Ergebnis offenbar eine Art immaterielle Destruktion (Zerstörung einer rein psychischen Entität) als ein typisches Beispiel für »abstrakte« Bewirkung. (Die entsprechenden Techniken reichen vom derbsten Schimpfwort bis zur feinsten logischen Analyse, und ähnlich spielt es für uns keine Rolle, ob dadurch eine Annäherung an die Wahrheit erreicht wird oder das Gegenteil davon.)
Die formale Ergiebigkeit der Destruktion läßt sich auch für den Fall einer solchen seelischen Grausamkeit leicht aufzeigen. So kann ein existentieller Zerstörungsakt im Bereich der außerkörperlichen Realität für das Opfer schmerzhafter*, d.h. wirkungsvoller* sein als jede physische Folter. Außerdem entfacht er häufig gleichgeartete Gegenmaßnahmen und damit die Zerstörung von zwei Existenzen als einen mit aller Kraft und Schlauheit geführten symmetrischen Wettkampf*. Und noch größer ist die Ausbeute bei der immateriellen Destruktion. Zunächst bedeutet eine verbale Intervention eine denkbar mühelose* und oft besonders scharf konturierte* Bewirkungshandlung; der Zerstörer steuert meist – wenn schon, dann schon – einen drastischen Kontrast* zu den Behauptungen des Opfers an; und in der Natur dieser Eingriffe liegt vielfach ein verheerender Domino-Effekt*, weil schon die Widerlegung in einem einzigen »Musterfall« das Opfer generell unglaubwürdig macht und das stolze Gebäude seines guten Rufs in Schutt und Asche legt*. Daher wohl seine Empfindlichkeit für derartige Attacken und seine äußerste Betroffenheit* als die eigentliche Pointe auch des verbalen Sadismus. Die Verletzung offenbart sich, je nach der Lage, bei Wehrlosigkeit in panischer Verzweiflung* (bis hin zum Selbstmord*), und wenn sich das Opfer auch nur die geringste Parierchance ausrechnet, in einer heftigen* Erwiderung, die sich leicht zu einem Übertrumpfungs-wettkampf* der Worte oder sogar zu physischer Aggression* auswachsen kann (= anschauliche Intensität der Wirkung, die es zu provozieren* gilt).
All das stellt eine unübersehbare Einladung dar, und diese wird wieder mit Freuden angenommen, denn die Erfahrung lehrt, daß auch die Zerstörung des existentiellen Umfeldes von den Akteuren und/oder von den Zuschauern ohne weiteres als Formproduktion verstanden werden kann. Uns wird hier vor allem die Verspottung* in Wort und Tat, also die komische Variante dieses Vergnügens interessieren, unter anderem weil sie zu einer wichtigen Ergänzung unserer allgemeinen Ausführungen über die Komik führt.
Die Destruktion wirkt auch sonst gern komisch, und das ist kein Zufall, denn die Verringerung der Strukturhöhe des Objekts impliziert besonders häufig eine Abweichung vom Soll-Wert. Taucht aber ein solches Objekt im Schlepptau einer wirklich existierenden Person auf, z.B. als Erreichtes oder Angestrebtes, und wird an ihm vorsätzlich herummanipuliert zum Zwecke eines komischen Effekts, dann ist eine materiell oder immateriell destruktive Wirkung auf den ersten Blick fast nicht zu vermeiden, und sie wird auch überaus oft beobachtet. Dabei erweist sich die Verspottung als eine der grausamsten Aggressionswaffen, denn in vielen Situationen gibt es für den Menschen nichts Schlimmeres, als wenn ihn jemand vor allen anderen lächerlich macht. Doch zum Glück hat nur ein Teil dieses wesensimmanenten Zerstörungspotentials der Komik auch tatsächlich schädliche Folgen, weil ihm das Opfer manchmal durch eine ganz bestimmte Strategie die Spitze abbrechen kann: es muß bloß die Kraft finden, den Angriff zu einem harmlosen Spaß umzudeuten, und sich bereit erklären, die eigene Person samt ihren existentiellen Anhängseln dafür zur Verfügung zu stellen oder sogar aktiv mitzumachen durch Selbstspott. Die Strategie ist im allgemeinen recht erfolgreich und wird vielfach durch wichtige Sympathiepunkte belohnt. Und gerade dieser Umstand ist der beste Beweis dafür, daß die Zerstörung in solchen Fällen lediglich als eine Art lustige Fiktion fungiert (deswegen ist »im Scherz« vieles erlaubt, was sonst kulturell verboten wäre), also kann sie, zumal beim Publikum, nicht durch Schadenfreude motiviert sein, sondern höchstens durch Form.
Mit allem kann man allerdings nie scherzen; früher oder später stößt man auf individuelle und kulturelle Grenzen, jenseits welcher dem Opfer jeder Sinn für Humor vergeht oder gründlich versauert. Damit wird das destruktive Potential der Verspottung zweifellos in vollem Maße virulent. Aber was empfindet dabei der Spötter? Nehmen wir als Beispiel jenen typischen Fall, in dem das Opfer fest entschlossen ist, sich nichts anmerken zu lassen, und gerade dadurch seinen Quälgeist zu immer neuen Hänseleien herausfordert. Gelänge es nämlich dem letzteren, es so weit zu bringen, daß es dennoch zutiefst gekränkt aufbrausen* würde, so wäre dies angesichts der Tatsache, daß das Opfer seine ganze Energie* in die Selbstbeherrschung gesteckt hat, eine äußerst intensive* Wirkung komischer Art, die für alle Bemühungen reichlich entschädigen würde. Es handelt sich also unverkennbar um einen Aktivierungswettkampf* nach dem sadistischen Grundmuster. Und doch muß man bei genauerer Prüfung nicht selten feststellen, daß der Folterer dem Opfer im Grunde gar nichts Böses wünscht, sondern daß er sich nur von der »inneren Logik« eines überpersönlich komischen Sachverhalts hinreißen ließ und darüber jede Rücksicht vergaß! Kurzum, die Spur des Formverhaltens läßt sich bis ins Herz der destruktiven Komik verfolgen.
Selbstverständlich kann unter Umständen auch eine Destruktion aus Formlust funktionell sein. So sammelt das Kleinkind durch seine Zerstörungsaktivitäten die ersten Erfahrungen über die Struktur von physischen Objekten und die Möglichkeiten ihrer Veränderung; das ist wohl die Geburtsstunde des homo faber, und sie steht ganz offensichtlich unter dem Stern der CIF-Homokumulation. Doch können solche Beispiele ebenso sicher nicht den ganzen durch diese Facette des Formverhaltens angerichteten Schaden aufwiegen: die Destruktivität des Menschen ist und bleibt ein höchst problematisches Phänomen, und die Homokumulativitätsgier muß für ihren Anteil daran, d.h. für die zusätzliche Verstärkung des ohnehin gefährlichen Trends, die volle Verantwortung übernehmen. Damit haben wir also die erste große negative Auswirkung der hier zur Debatte stehenden Motivation kennengelernt – die wirklich wahllos und blind jeder homokumulativen Information nachzulaufen scheint, ohne sich um die Folgen zu kümmern – und vielleicht die Dialektik ihrer Funktionalität um einiges plastischer herausgearbeitet.
Strukturerhöhende Objektveränderungen. Die Chance einer Vitalisierung. Aufschüttung. Aufschichtung und das Homokumulativitätsrepertoire der Architektur. Konstruktion als Kampf um Funktionstüchtigkeit und Widerstandskraft. Das Wunder der Formgebung. Substantielle Verwandlung – Wirklichkeit und Illusion. Erschaffung aus dem Nichts.
Auf der anderen Seite stehen der Destruktion verschiedene Varianten einer strukturerhöhenden (oder zumindest neutralen) Objektveränderung gegenüber. Da sich solche Eingriffe gegen die Entropie richten, können sie allerdings in der Regel nicht mit jener bei der Zerstörung so zentralen Leichtigkeit der Bewirkung rechnen, zumindest nicht in der Realität. Außerdem sind sie einstweilen auf leblose Objekte beschränkt; eine echt »vitalisierende« Intervention bleibt vorläufig trotz allen – mit Recht auch formal bewunderten – Wiederherstellungserfolgen* der heutigen Medizin ein reines Gedankenspiel, wenn auch eben wegen der enormen Schwierigkeit* des Unterfangens, das noch gestern völlig unmöglich* erschien, ein unentwegt faszinierendes und zu allerlei naiven Phantasien anregendes (Lebenselixier*, Homunculus*, Frankenstein* usw.). Die Wirklichkeit kann da höchstens mit plumpen mechanischen Nachahmungen aufwarten, von den Puppenautomaten* bis zu den Robotern*, und ob wir uns eine Änderung dieser Lage herbeiwünschen sollen, ist trotz unserer Homokumulativitätsgier mehr als ungewiß.
Die einfachste Art der Strukturerhöhung ist eine Aufschüttung von losem Material als das Vorbild aller »Kumulation«. Formal interessant ist dabei in erster Linie die Menge* und Extensität* des aufgeschütteten Haufens. Die kritische Dimension, in der er sich von der Umgebung abhebt, ist an sich zwar vor allem seine Höhe*, doch kommt dieser Parameter hier bestenfalls in einer mehr oder weniger konischen, meist aber noch flacheren Ummantelung zum Ausdruck. Nach ihrer Masse* sind allerdings die homokumulativsten bewirkten Objekte des Menschen gerade Aufschüttungen, und zwar oft Aufschüttungen von zweifelhafter, durch und durch arbiträrer Funktionalität. Entsprechend maximal* in Schrittzahl und Dauer war auch die dafür notwendige Bewirkungshandlung, die freilich von den Bewirkern selbst kaum als Form genossen werden konnte; das Konsummationswürdige daran offenbart sich erst dem Betrachter – insbesondere einem, dem die angewendeten Mittel und Methoden unendlich primitiv* vorkommen (= Erschwerung). Doch im Prinzip spricht aus den riesigen Erdwerken* vieler früher Zivilisationen, wenn man von den üblichen Rationalisierungen absieht, die gleiche »unpraktische« Begeisterung wie z.B. aus den Sandhügeln* eines spielenden Kindes.
Mannigfaltiger ist in formaler Hinsicht eine Aufschichtung von Bauelementen Fläche gegen Fläche, wie sie vor allem in der Architektur eine wichtige Rolle spielt. In ihrem Rahmen können nämlich neben den oben aufgezählten Aspekten der Homokumulativität noch viele ganz anders spektakuläre aufblühen, weil eine geschickte Aufschichtung die Schwerkraft gleichsam zu überlisten vermag und dadurch aller primären Erfahrung spottende* Leistungen im »Aufrechterhalten« möglich werden (siegreiche* Verteidigung eines äußerst labilen Gleichgewichts bei hoher Einsturzgefahr*, ähnlich wie schon beim Ausbalancieren eines Monoliths). Natürlich bleibt eine unblasierte Empfänglichkeit für das Wagnis der elementarsten Aufschichtung den Kindern vorbehalten; für uns Erwachsene beginnen die Formerlebnisse erst viel weiter oben, weil uns unsere diesbezüglichen Erfolge zu sehr verwöhnt haben.
Zunächst werden durch dieses Kompositionsprinzip Anhäufungen (Bauten) mit senkrechten* Seitenflächen denkbar, darunter insbesondere extrem schlanke* (Säulen*, Türme* usw.), d.h. dabei kann die kritische Dimension weitestgehend von fremden Beimengungen bereinigt* werden und die lineare, also nicht mehr formlos-räumliche Ausdehnung des Objekts entlang dieser Dimension ganz gewaltige* Werte erreichen – wohlgemerkt bei überproportionaler Verschärfung* des Wettkampfs mit der Gravitation. Und noch dramatischer wird es, wenn die oberen Elemente einer Aufschichtung so weit über die Stützen hinausragen, daß sie frei über dem Abgrund zu hängen* scheinen wie bei einer Überbrückung*, Überdachung* oder kühnem Vorkragen*. Dabei ergeben sich wieder formale Parallelen mit der Ortsveränderung, diesmal mit dem Sprung oder Wurf: attraktiv sind nämlich nur ungewöhnlich hohe* und vor allem weite* Überspannungen – der klassische Tummelplatz einer vielfach kaum zweckmäßigen und doch keine Mühe scheuenden* Rekordsucht*. Nun drehen wir eine solche Überspannung um ihre Achse, und es erscheint das nächste Gesicht dieser eigens der Architektur vorbehaltenen Anhäufung von Gleichem, nämlich ein möglichst großes Volumen* des durch das Gebäude umschlossenen (und im Inneren unverstellten) Hohlraums*. Ist die Umschließung nicht kompakt, sondern selber durchbrochen, dann besteht eine zusätzliche Extremalisierungsmöglichkeit darin, daß man auch noch die Raumhülle nahezu »entmaterialisieren«* kann (= Minimalität der Bewirkungsmittel), was zu einer besonders lichten* und eleganten* Bauweise führt. Doch gibt es dazu auch eine Alternative, nämlich einen wuchtigen* Baukörper auf wenigen schlanken Stützen, der das Problem des Obenbehaltens buchstäblich auf die Spitze* treibt und für unser Gefühl gleichsam schwerelos über dem Boden schwebt*. (Mit den letzten Beispielen haben wir allerdings zum Teil schon über die reine Aufschichtung hinausgegriffen.)
Noch größer werden die Anforderungen, aber auch die Möglichkeiten bei der Konstruktion – und so wollen wir hier jede feste Verbindung von Elementen nennen, bis hin zur Verflechtung der Fasern bei Textilien. Selbstverständlich gibt es auch ruhende (architektonische) Konstruktionen, doch im Vordergrund steht unter den Formaspekten einer derartigen Objektveränderung eindeutig die im Vergleich zur Schwerkraft noch viel anschaulichere und leichter nachempfindbare Belastung beim anschließenden dynamischen Gebrauch des Objekts. Darin, daß das Objekt trotz der oft recht schonungslosen Beanspruchung nicht auseinanderfällt, steckt nämlich wieder erstens ein potentieller Erwartungskontrast*, der durch die scheinbare Zerbrechlichkeit* der Konstruktion effektvoll aktualisiert werden kann, und zweitens ein Sieg des Konstrukteurs als Bewirkers im asymmetrischen Wettkampf* mit der Beanspruchung, deren – möglichst extreme – Stärke und Dauer als indirekte Maßstäbe für die Intensität* bzw. zeitliche Extensität* seiner Leistung fungieren (Konstruktion = Verleihung von Widerstands-Kraft*, seitenverkehrt zur Destruktion).
Ähnlich ist die äußere Größe* der Konstruktion insgesamt nicht so prominent wie die Menge* ihrer Elemente und Relationen, die sich zu ungeheurer Komplexität* steigern kann, besonders bei sogenannten Mechanismen, und manchmal auch ihre räumliche Dichte*. Unumgänglich für die Funktionstüchtigkeit ist außerdem meist eine möglichst exakte* Wiederholung der Vorlage. Deshalb ist die Konstruktion fast der Inbegriff einer maximalen, nämlich langwierigen* und viel Geduld erfordernden* Bewirkungshandlung; doch macht die Atmosphäre der Auseinandersetzung mit einer schwierigen* Aufgabe, bei der man immer wieder kleine, aber handgreiflich kumulative* Teilerfolge* feiern kann, vieles wieder wett. Daher die intrinsische Anziehungskraft der (anfangs natürlich höchst einfachen) Konstruktionsspiele* des Kindes und später dann die zweckfreie Bewunderung von herausragenden technischen Konstruktionen*, das Interesse für ihre Entstehungsgeschichte* usw. Zwar sind Basteln* und Handarbeit* oft ausgesprochen nützlichkeitsorientierte Freizeitbeschäftigungen, aber die CIF-Komponente bleibt dabei in der Regel trotzdem klar erkennbar und macht sich bei der ersten Gelegenheit in inhaltlich unnotwendigen Erzeugnissen – oder Ausführungen – Luft. In diesem Bereich fällt »Arbeit« vielleicht am deutlichsten mit einem homokumulativitätsgierigen Formverhalten zusammen.
Am Übergang zu esoterischeren Spielarten der Objektveränderung steht eine reine (strukturerhöhende) Formgebung ohne Zusammensetzung, z.B. Skulptur als »positive Destruktion« oder plastisches Modellieren. Die Tatsache, daß man einer amorphen Masse nahezu jede, beliebig bedeutungsintensive* und räumlich verschlungene* Gestalt geben kann, grenzt nämlich noch heute an Zauberei*, d.h. der Erwartungskontrast zur normalen Ungeschicklichkeit als der grundlegende Formaspekt fast aller strukturerhöhenden Eingriffe unterliegt in diesem Fall – noch – keiner nennenswerten Abschwächung durch die technische Möglichkeitsexplosion, so daß wir z.B. die höhere Steinzeittechnologie* oder die Bildhauerkunst* nach wie vor mit unverminderter Ehrfurcht formal bestaunen können.
Und noch tiefer in das Gebiet des erfahrungsgemäß Unmöglichen, also vollends Mysteriösen und deshalb unermüdlich Verblüffenden* führt uns die substantielle Verwandlung eines Objekts in etwas »ganz anderes«, das wir uns gerade wünschen, zu allem Überfluß zugleich – als erste Form der positiven Objektveränderung – verbunden mit einer minimalen*, scharf konturierten* Bewirkungshandlung oder wenigstens Auslösung. Die paradigmatische Heimat solcher Transmutationsvorgänge ist offenbar die Chemie; daher ihre leichte Formalisierbarkeit für die Akteure und für das Publikum, die sich mindestens bis zur ursprünglichen Faszination der extraktiven Metallurgie* (Verwandlung von Erz zu Metall) zurückverfolgen läßt. Ähnlich standen später die Alchimisten* jahrhundertelang im Banne einer nicht nur inhaltlichen, sondern auch formalen Illusion, was ihnen den gesunden Verzicht wohl zusätzlich erschwerte. Überhaupt entstammen die meisten Verwandlungen von Sachen oder sogar Personen dem Reich der reinen Phantasie, die sich von dieser Art der Objektveränderung bekanntlich mächtig angezogen fühlt und sich von ihr zum Entwurf einer unbegrenzt mutablen* Welt verführen läßt – zum Teil wahrscheinlich wieder aus formalen Gründen. Dafür würde z.B. das ganze breite Feld der heutigen kinematographischen Animation* sprechen, die uns zum ersten Mal ermöglichte, solche Vorstellungen anschaulich festzuhalten.
Ausschließlich mythisch-märchenhaft ist übrigens auch eine echte Annihilation* (Auflösung in Nichts) als die in ihrer Wirkung intensivste* Sonderform der destruktiven Verwandlung. Und dasselbe gilt strenggenommen für ihr Gegenstück auf der anderen Seite, nämlich eine Erschaffung aus dem Nichts als den letzten denkbaren Triumph der positiven Objektveränderung (größter Intensitätssprung*, größter Erwartungskontrast*, beides dank der Großzügigkeit unserer Einbildungskraft bei kleinster* Bewirkungshandlung). Warum mußte also die Welt in den Augen so vieler Menschen fast bis zum heutigen Tag ausgerechnet erschaffen* worden sein? Verschiedene inhaltliche Motive für diese Versteifung mögen überzeugen oder auch nicht, aber auf jeden Fall wäre das die formal attraktivste Art der Kosmogonie gewesen. Und ein ähnlicher emotionaler Pomp umgibt unsere eigene Kreativität – eine in Wirklichkeit eher bescheidene (konkrete oder abstrakte) Rekombinationstätigkeit, die bestenfalls Spurenelemente einer echten Erschaffung aus dem Nichts enthält. Steckt demnach nicht auch hinter der Überschätzung der »Schöpfungskraft«* z.B. eines Künstlers oder eines Erfinders, bis hin zum Geniekult*, unter anderem die Lust an homokumulativer Information als Form?
Die Erfindung des echten Gewölbes: naive Versuche, Einsturzkatastrophen und wie man darüber hinwegkam. Verspielte Vorläufer der Töpferei. Fakten aus der Entstehungsgeschichte der Metallurgie, die sich nicht instrumental erklären lassen. Die Homokumulativität des Metalls als Belohnung.
Unsere Suche nach formal-homokumulierenden – also mehr spontanen als im klassischen Sinne schöpferischen – Erfindungen, die sich eine strukturerhöhende Objektveränderung zum Thema nehmen würden, beginnt mit einem Fall aus dem Bereich der Aufschichtung, nämlich mit dem sogenannten echten Gewölbe (als einer Zusammensetzung von Bausteinen).
Einzelne in einer Deckenlücke verkeilte Steine kamen vermutlich schon immer vor. Sie waren durchaus zweckmäßig und parallel dazu für ein unverwöhntes Gemüt auch formal nicht uninteressant, weil ihre fast nur seitliche Abstützung zumindest die Andeutung eines bedrohlich ungesicherten Hängens über dem Abgrund* enthielt. Desgleichen ist es nicht schwer, sich vorzustellen, daß jemand irgendwann einmal aus Verlegenheit eine solche Lücke mit mehr als einem Baustein nebeneinander verstopfte. Nun ist es zweifellos so, daß der Erwartungskontrast* eines erfolgreichen Obenbehaltens mit dem zweiten, dritten und jedem weiteren Glied der gewölbeartigen Anordnung (= mehr oder weniger horizontaler Anlehnung an selber nur horizontal angelehnte Nachbarn*) zusehends markanter wird und langsam auch dem Abgestumpftesten zu imponieren beginnt, was offenbar zusammen mit der wachsenden Menge* der Glieder und Breite* der überbrückten Öffnung von der formalen Seite her einen starken Extremalisierungssog ergab. Aber brauchen wir den überhaupt? Auf den ersten Blick handelte es sich dabei um eine ziemlich problemlose und auf der Hand liegende lineare Extrapolation, also hätte es dem instrumentalen Denken eigentlich ein leichtes sein müssen, aus eigenem Antrieb vorzupreschen und ein echtes Gewölbe von funktional relevanter Spannweite zu entwerfen.
Doch so einfach war die Sache trotz allem nicht, denn da gab es noch die recht hohe Funktionalitätsschwelle der Festigkeit, die sich bei dieser Bauform nur durch eine Präzision der Ausführung erreichen läßt, wie man sie von solchen ersten Versuchen unmöglich verlangen kann. Deshalb stürzten die tatsächlich hervorgebrachten Gebilde immer wieder schon bei der kleinsten Belastung ein, und die Folge war höchstwahrscheinlich eine heftige Kritik des ganzen Vorhabens im Namen der überlieferten statischen Erfahrung: habe man nicht gleich gesagt, daß diese verrückte Anordnung allen Naturgesetzen widerspricht? Und damit war es bis auf weiteres vorbei mit der Aktualität der inhaltlichen Motivation; gäbe es also nur sie, dann wäre die Erfindung des echten Gewölbes wohl in ihren Anfängen steckengeblieben.
Oder mit anderen Worten, wir haben allen Grund, von einem bestimmten Punkt an eine ausschließlich formgesteuerte Weiterentwicklung vom Typ A der formal-homokumulierenden Erfindung anzunehmen. Das instrumental abgelehnte Gebilde überlebte demnach gewissermaßen als ein Maurerscherz, weil es schon nutzlos, wie es war, im Sinne einer gewagten* Herausforderung der physikalischen Ordnung vollkommen befriedigte. Die Bauleute waren deshalb stets bereit, sich auf einen spielerischen Wettkampf* mit den jeweils gerade noch zu bewältigenden (und das heißt: für jeden Ernstfall viel zu niedrigen) Festigkeitsanforderungen einzulassen, wobei z.B. die abschließende Entfernung des Lehrgerüsts als eines Elements, das den Skeptikern nur allzu recht zu geben schien, ihren überraschenden Sieg zusätzlich scharf konturierte*; und daraus ergab sich ganz von selbst noch ein zweiter, nämlich ein paralleler Wettkampf – wessen Gewölbe hält in diesem bescheidenen Rahmen doch etwas mehr* aus? –, was alles zusammen zu dem bekannten eifrigen Herumexperimentieren und Vervollkommnen und damit zu einer allmählichen Zunahme der Festigkeit (als indirekter Intensität* der Wirkung) führte. Am wichtigsten war dabei natürlich die immer genauere* Beachtung der Keilstumpf- und Bogenform als die entscheidende Änderung der eigentlich verfolgten Homokumulationsrichtung. Aus solchen und ähnlichen Überlegungen wird klar, daß dieser generative Mechanismus die funktionale Durststrecke bis zu den ersten erhaltenen, in der Spannweite noch sehr bescheidenen und nach wie vor eher verspielten echten Gewölben der unvermeidlichen Sumerer ohne Mühe bewältigen konnte.
Unsere nächsten Beispiele beziehen sich auf Formgebung und substantielle Verwandlung. Zunächst wollen wir hier die Töpferei erwähnen, deren Entstehung man sich zwar auch ohne ein formales Motiv erklären kann, doch beweisen Funde wie der von Dolni Vestonice, daß ihr das Interesse am Tonmodellieren und -brennen um viele Jahrtausende vorauseilte, und der Grund dafür konnte nur die Transmutation* der gebrannten Tonmasse und die mit ihr verbundene Verhärtung* (= Widerstandsfähigkeit* gegen Verformung oder Zerfall) einer frei gegebenen*, weichen Form sein, übrigens der älteste Fall dieser heute viel häufigeren und deshalb weitgehend entschärften Paradoxie*. Die Homokumulativitätsgier war also schon sehr früh zur Stelle und sorgte dafür, daß die Möglichkeit nicht unkultiviert blieb – ein Musterfall der Doppelabsicherung. Vor allem muß aber in diesem Zusammenhang der gesamte Komplex der Entstehung der Metallurgie zur Sprache gebracht werden. Glücklicherweise handelt es sich dabei um ein archäologisch besonders gut (wenn auch bei weitem nicht lückenlos) dokumentiertes Geschehen, was uns entsprechend konkrete Aussagen über seine motivativen Hintergründe gestatten müßte.
Den ersten Anstoß dazu, sich mit gediegenen Metallen zu befassen, gab zweifellos zumindest auch ein instrumentaler Gedanke (Diversifikation der Steintechnologie), der bei einigen wenigen, vor allem kleineren Gebrauchsgegenständen in der Tat verhältnismäßig rasch funktional relevante Ergebnisse zeitigte. Die Annahme einer rein instrumentalen Entwicklung wäre dabei jedoch kaum zu vertreten, weil diese Ergebnisse sicher nicht ausreichen, um die ganze sich über Jahrtausende hinziehende Rieseninvestition von Energien – bis heute eine der größten in der Geschichte der Menschheit – zu erklären. Außerdem wissen wir, daß die Versuchung von allem Anfang an den engen Kreis der wirklichen Funktionalität überschritt: es wurden hartnäckig kupferne Geräte erzeugt, die sich in der Qualität bis zur Entdeckung der Bronze nicht mit ihren hochperfektionierten Stein- oder Knochendubletten messen konnten, und das, obwohl die schnell wachsende, bis dahin ungeahnte Umständlichkeit des Herstellungsverfahrens selbst bei gleichwertigen Produkten gegen das Metall sprechen würde, ebenso wie die Knappheit des Rohstoffs bis zu seiner Gewinnung aus Sulfiden (die wenigstens eine Art »billige« Massenproduktion ermöglichte). Schon aus diesem Grund muß also noch etwas anderes im Spiel gewesen sein, und weitere Tatsachen deuten darauf hin, daß die nichtinstrumentale Komponente innerhalb der Mischmotivation sogar weit überwogen haben dürfte. Viele Gegenstände aus Kupfer hatten offenbar keinen praktischen Zweck; einige besonders interessante, z.B. Äxte, wurden merkwürdigerweise nicht benutzt, obwohl sie einen solchen Zweck vorgaben; Gold und Silber blieben bis zu unserer Zeit technologisch irrelevant; und in der Neuen Welt scheint sich – ähnlich wie beim Wagen – die Metallurgie als Ganzes in Spielereien verloren zu haben.
Uns ist es nun nicht schwer, diesen – an sich oft hervorgehobenen – anderen Beweggrund als Homokumulativitätsgier zu identifizieren. Die gediegenen Metalle übten auf den Menschen in zweifacher Hinsicht einen ungemein starken formalen Reiz aus: zum einen wegen ihres Aussehens (worüber noch zu sprechen sein wird) und zum anderen wegen der ganz neuen Möglichkeiten der Formgebung*, die sich dabei vor ihm auftaten. Metall ist nämlich als einziger Stoff gleichzeitig hart und plastisch, d.h. die vorhin erwähnte Paradoxie* nimmt bei ihm die schärfste Form an. Vielleicht war dieser Aspekt der Homokumulativität der Bewirkung anfangs (bei kaltem Hämmern) noch nicht so spektakulär ausgeprägt, doch dafür ergab er eine umso lohnendere Extremalisierungslinie, denn schon durch die zunehmende Erhitzung des Metalls konnte sich der Wille zur Formgebung bei steigender Festigkeit* immer freier* entfalten. Und die sich damit zusammenläppernde Summe von inhaltlichen und formalen Belohnungen war es, die auch für das beste Gerät aus Stein unerreichbar blieb; dadurch wird die einseitige und scheinbar unbegründete Präferenz vollkommen logisch.
Unsere erste Feststellung lautet also, daß die Entstehung der Metallurgie faktisch zu mehr als fünfzig Prozent wie eine formal-homokumulierende Erfindung verlief. In diesen Gesamtprozeß ist aber nun mindestens eine Teilentwicklung eingebettet, die allem Anschein nach nur auf die von uns postulierte Weise bewältigt werden konnte, was uns natürlich noch viel mehr berechtigt, die Metallurgie auf das Konto der hier untersuchten Motivation zu buchen.
Schmelzen als inhaltlicher Verlust und formaler Gewinn. Der Kampf um den Schmelzofen und seine unerwarteten Folgen. Die Variante mit dem Bleiglanz. Und was ist mit dem Gießen? Feuererzeugung durch Reibung, die Geschichte einer Hoffnung.
Ich denke dabei an das Schmelzen. Da sich das Metall umso besser schmieden läßt, je stärker man es erwärmt, konnte es schon mal passieren, daß ein Stück Kupfer in einem entsprechend leistungsfähigen Ofen bis zu seinem Schmelzpunkt erhitzt wurde. Doch was war das unmittelbare Ergebnis? Das unmittelbare Ergebnis war ein partieller oder totaler Verlust der bis dahin mühevoll erarbeiteten Form bzw. des Metallstücks als solchen, weil das schmelzende Kupfer tropfenweise in der Asche versickerte. Und selbstverständlich besaß der Metallurg in seinem Schreck nicht die Seelenruhe, über irgendwelche fernen Konsequenzen dieses Phänomens nachzudenken; der konkrete Inhalt des Geschehens hätte ihn nur zu einer panischen Meidereaktion veranlassen können, und die ganze Entwicklung der Metallurgie wäre zum Stillstand gekommen.
Aber der da in den Ofen starrte, der war zugleich ein Homokumulativitätsjäger, übermannt vom schier unglaublichen* (= erwartungskonträren) Wunder an der Grenze zwischen Verformung* und substantieller Verwandlung*, dessen Bewirker er offenbar ahnungslos geworden war. Daß man Metall wie Eis zum Fließen bringen konnte! Was zählte schon dabei, wenn es durch die Prozedur verlorenging – doch vielleicht ließe sich auch das verhindern, indem man den Klumpen in einen Behälter täte? Und so wurde das Ereignis der Ausgangspunkt einer langen Reihe von fieberhaften, aber rein formalen Bemühungen, bei denen es anfangs wohl vor allem darum ging, ob man die einmal zufällig erreichte Wirkung im Rahmen einer solchen kontrollierten Anordnung überhaupt wird wiederholen können, was sicher viele und komplizierte Verbesserungen am Ofen erforderte und die Atmosphäre eines verbissenen Wettkampfes* aufkommen ließ. Erst nachdem diese fast übermenschliche und deshalb schon allein reich belohnende Schwierigkeit* zur Not gemeistert war, konnte dann die Extremalisierung der Menge* des (restlos*) verflüssigten Metalls in den Vordergrund treten, die ihrerseits zu der entscheidenden Rekonstituierung geführt haben dürfte, daß nämlich jemand gleich mehrere Stücke auf einmal in den Schmelztiegel warf.
Hier beginnt sich nun schon ein instrumentaler Vorteil abzuzeichnen, denn das Verschmelzen war natürlich viel leichter und wirkungsvoller als das Aneinanderschmieden. Dasselbe galt, wie man im Laufe dieser Experimente allmählich herausfand, auch für die Aussonderung von fremden Einschlüssen (= Reinigung* des Metalls). Und durch beides zusammen konnten die stark zerkrümelten und verschlackten Produkte der – höchstwahrscheinlich schon früher bemerkten – zufälligen Reduktion von Kupferkarbonaten endlich in einen Zustand überführt werden, der die Kultivation einer solchen Verwandlung sinnvoll erscheinen ließ (bis dahin war es dem Menschen wohl eher schade um den schönen Malachit). Aber wie hätte man all das beim ersten Anblick des Schmelzvorgangs vorausahnen können?
(Zu dieser Rekonstruktion gibt es übrigens eine Variante: möglich ist, daß der Mensch seine ersten Erfahrungen mit flüssigem Metall – und mit der extraktiven Metallurgie – anderswo, nämlich bei einem unbeabsichtigten »Rösten« von Bleiglanz gesammelt und sich dann beim Kupfer daran erinnert hat. Doch Blei war für ihn nutzlos, d.h. die Unentbehrlichkeit einer Zwischenbekräftigung wird dabei höchstens wegen der größeren logischen Entfernung noch besser erkennbar.)
Genaugenommen könnte man in diesem Zusammenhang eigentlich noch eine zweite Frage aufwerfen. Durch das Schmelzen wurde grundsätzlich auch das Gießen möglich, und der geschmolzene Metallklumpen nahm automatisch die Form des Behälters an, in dem er abkühlte. Aber wer garantiert uns, daß dieser Wink tatsächlich verstanden wurde? Der Abdruck des Behälterbodens war ziemlich nichtssagend, und von ihm bis zum Guß des einfachsten Gebrauchsgegenstandes war noch ein weiter Weg. Muten wir also dem Menschen nicht schon wieder zuviel zu, wenn wir ihm trotz seiner völligen Unerfahrenheit auf diesem Gebiet die Fähigkeit zu einer solchen Extrapolation zuschreiben? Sobald wir uns jedoch nach einem anderen, dazwischengeschalteten Stimulus umsehen, stoßen wir wie schon gehabt auf die Homokumulativität der Form. Erstens handelt es sich bei jedem Abdruck um die Bewirkung einer exakten Wiederholung* im Negativ (= Richtungskontrast*), die sich in diesem Fall zumindest in den Augen des Bewirkers mit einer im Vergleich zum Schmieden denkbar minimalen* und »eleganten«* Bewirkungshandlung verband; und zweitens führte die Freude an der neuen, formal so deutlich ausgezeichneten Art der Formgebung* fast zwangsläufig zu einem zweckfreien Variieren der inneren Oberfläche des Behälters, wobei sich eine weitere Extremalisierungslinie ergab, die die jeweils informationsreichsten*, also plastischsten* und bedeutungsintensivsten* Abdrücke favorisierte. Der Mechanismus der formal-homokumulierenden Erfindung bot sich also auf jeden Fall an, wenngleich wir hier vielleicht nicht so sicher sein können wie oben, daß wirklich kein Weg an ihm vorbeiführte (z.B. über andeutungsweise vorgeformte Werkstücke). Aber wie dem auch sei – insgesamt muß die Entstehung der Metallurgie wohl zu den größten Triumphen der Homokumulativitätsgier gezählt werden.
Und zum Schluß noch kurz ein Beispiel aus der Klasse »Erschaffung aus dem Nichts« (natürlich in einer naiven Auslegung dieses Begriffs), nämlich die Erfindung der Feuererzeugung durch Reibung. Bei dieser scheinbar bescheidenen, dafür aber auch viel älteren Leistung läßt sich der Typ A der formal-homokumulierenden Erfindung sozusagen in Reinkultur beobachten. Es dürfte nämlich von allem Anfang an nicht unbemerkt geblieben sein, daß sich Holz bei einer reibenden Bearbeitung erwärmt, und das Phänomen wurde wahrscheinlich schon sehr früh so interpretiert, daß man dabei das im Holz schlummernde Feuer »im Ansatz wachruft«. Die logische Folge war eine Serie von inhaltlich motivierten Versuchen, es durch verstärkte Friktion ganz zu wecken. Will man allerdings auf diese Weise tatsächlich Feuer anzünden, so muß man einige Tricks kennen (entscheidend ist die Anwesenheit von Reibmehl und Zunder in einer erhitzten Vertiefung), die der Urmensch in seinem ersten Eifer, vor allem auf fühlbare Wirkung bedacht, sicher nicht herausbekam. Die große instrumentale Hoffnung mußte also vorerst aufgegeben werden; doch ab einer bestimmten Stärke der Homokumulativitätsgier wurde die Erfahrung trotzdem nicht mehr mit einem Achselzucken abgetan, weil die aus dem Nichts hervorgezauberte Wärme schon selber die Mühe zu lohnen begann, nämlich als Form* – so konnte man dank ihr z.B. mit einem völlig unverdächtigen* Stück Holz Uneingeweihte versengen* oder zumindest erschrecken* usw. –, wodurch das Überleben des Prinzips gesichert war.
Je länger aber nun seine verspielte Kultivierung andauerte, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, daß man dabei neben der ursprünglichen diffusen »Flächenwärme« auch eine scharf lokalisierte, d.h. auf engstem Raum* starke Temperaturkontraste* vereinende punktuelle Wärme* zu schätzen anfing, also eine andere, raffiniertere Art der Anhäufung von Gleichem. Und wie wird punktuelle Wärme erzeugt? Dafür kommen offenbar nur zwei Bewegungsmuster in Betracht, die man in ihrem einfachsten Kern auf sicher schon damals übliche Methoden der Holzbearbeitung zurückführen kann, während sie in ihrer voll entwickelten und spezialisierten Endform in den Feuerpflug bzw. den Feuerbohrer münden. Nach der postulierten Änderung der Homokumulationsrichtung war es demzufolge nur noch eine Frage der Zeit, wann es durch ein Zusammentreffen verschiedener glücklicher Umstände zu der ersten Spur von Rauchentwicklung kommen würde. (Die Feuersäge hingegen arbeitet nach wie vor mit der Flächenwärme, doch dafür setzt sie einen ziemlich abwegigen Rekonstituierungszufall und damit wieder eine lange formale Kultivationsperiode voraus.)