Level 4 (Grundtext)

Leben mit Homokumulativitätsgier I

 

Personimmanente und gegenständliche Anhäufungen. Die angenehmen Konsequenzen der Verkörperung einer extremen Form. Das Prinzip ihrer sekundären Instrumentalisierung. Wie fühlt sich dabei die übersehene Mehrheit. Der Schönheitsaktivismus und sein paradoxes Ergebnis. Die Verbitterung bei einer Niederlage im formalen Konkurrenzkampf. Homokumulative Objekte und die Leidenschaftlichkeit, mit der man sie besitzen will. Statussymbole oder Statusindexe? Die Anhäufung von Gleichem ist ein ideales Rangzeichen, aber sie ist auch selber eine interessante Information. Ihr Anteil am Reichtum. Die Isolierung der Formvariable: Prunk und Geiz. Warum macht die Homokumulativitätsgier die Habsucht besonders schlimm und unverständlich. Der funktionale Zusammenhang. Sind wir einfach falsch konzipiert?

 

Was bedeutet es, ein Homokumulativitätsjäger zu sein? Welche allgemeinen Folgen hat das für das Leben des Menschen? Darüber haben wir zwar im Vorbeigehen schon einiges gesagt, doch wollen wir hier zum Abschluß die existentielle Dimension unserer Homokumulativitätsgier noch etwas gründlicher herausarbeiten.

Zunächst erscheint es im Lichte dieser Frage sinnvoll, die bisher erörterten Informationen in zwei neue Klassen einzuteilen, von denen die erste alle jene Fälle umfassen wird, in welchen der Mensch selbst die Information ist, so daß die beiden untrennbar verwachsen auftreten. Dazu gehören erstens physische oder abstrakte Bewirkungen, die nicht einfach von irgendwelchen Hilfsmitteln besorgt werden, und zweitens das vorliegende Äußere des Körpers als solchen. Nun ist der Mensch eine Information natürlich auch, ja vor allem für andere Menschen und damit ein potentielles Objekt ihrer Homokumulativitätsgier, genauso wie sie der seinigen. Als Form konsummiert werden allerdings nur die größten Homokumulate der genannten Art, d.h. Spitzenleistungen der Bewirkungskompetenz oder außergewöhnliche Schönheit, während das gesamte  übrige Informationsangebot im Sinne der Extremalregelung ignoriert wird; und beides bezieht sich in diesem Fall auf lebendige Menschen, die solche Informationen »verkörpern« (sehr schön zu beobachten z.B. bei einer Misswahl*).

Selbstverständlich kann das nicht ohne soziale Konsequenzen bleiben. Die Mitmenschen drängen sich zu solchen wandelnden Anhäufungen von Gleichem, um in den Genuß ihrer extremen Homokumulativität zu gelangen, und sind bestrebt, sie zu Freunden oder sexuellen Partnern zu gewinnen, um den Genuß auf die Dauer abzusichern; deshalb sind diese Personen zumindest besonders beliebt und vielfach der Mittelpunkt der Gesellschaft, wenn sie nicht sogar richtiggehend fatale Abhängigkeiten hervorrufen (wie es ein berühmter Topos unserer Literatur haben will) – alles Dinge, die Anbietern eines unansehnlicheren Homokumulats aus formalen Gründen nicht passieren können. Personimmanente Homokumulativität ohne Zweck ist also eines von den (vielen) Kriterien der mikrosozialen Auswahl, das, sobald es aktuell wird, eine kleine privilegierte Elite herausselektiert, und aktuell wird es umso öfter, je weniger sich die Menschen, wie gerade heute, nach anderen Kriterien unterscheiden. Daneben gibt es aber nicht erst seit heute auch die makrosoziale, die allgemeinkulturelle Bewunderung und oft exaltierte Verehrung z.B. von Sportlern oder Künstlern, die wegen ihrer scheinbaren Sinnlosigkeit oder zumindest Unverhältnismäßigkeit viel Befremden erweckt – daher das Schillernd-Zwiespältige an unserer Bezeichnung »Star«*.

Wer das Glück hat, zu den Ausgewählten zu zählen, kann natürlich die Bewunderung der Mitmenschen einfach unbekümmert genießen als ein zusätzliches Maß*, an dem sich die Höhe der von ihm verkörperten Homokumulativität ablesen läßt (obwohl man dabei leicht selber von der Meinung der anderen abhängig wird und nach immer neuen Bestätigungen seines formalen Ranges zu gieren beginnt; die Folge ist ein auffallend exhibitionistisches, Eindruck schindendes Verhalten mit neurotischem Einschlag). Außerdem kann er sein Glück aber auch jederzeit instrumental verwerten. Dadurch kommt es zu einer von jenen zahlreichen sekundären sozialen Instrumentalisierungen der Homokumulativitätsgier, die sich den Umstand zunutze machen, daß diese Gier nun einmal bei den jeweils anderen Mitgliedern der Gruppe vorhanden ist, also zu einer Rückanpassung an die durch sie geschaffene neue Realität. (Selbstverständlich erfüllt auch eine solche Rückanpassung verschiedene Funktionen, doch kann sie uns nicht die Entstehung der hier postulierten Motivation erklären, und deshalb haben wir Fälle von ihr bisher nur kurz gestreift. Wir sprachen von der Anziehungskraft der vorgefundenen Kultur als »Homokumulativitätsauslage« oder vom intrinsischen Appell des Zeichenkörpers; manchmal hat die Beschäftigung mit Anhäufungen von Gleichem sogar einen echten therapeutischen Wert, obwohl uns im allgemeinen wahrscheinlich eher die negative Beeinflussung durch derartige Anhäufungen in den Sinn kommt, vor allem in der Werbung – und es läßt sich nicht nur z.B. ausgeschmückt durch eine schöne Frau* alles mögliche besser verkaufen, selbst die Verspottung* eines Artikels hat sich als umsatzfördernd erwiesen, weil sie eben extreme Form im Sinne von Neuheit und Homokumulativität erzeugt.)

Unser privilegierter einzelner kann nun daraus verschiedene persönliche Vorteile ziehen, indem er seine Fähigkeiten oder sein Äußeres einem Mitmenschen zur Konsummation anbietet und zugleich die Rechnung präsentiert. Damit wird die an sich formal motivierte Homokumulativität für ihn ein Mittel zur Befriedigung irgendwelcher inhaltlicher Motive. Die Bereitschaft der anderen zu einem solchen Tauschgeschäft ist in der Regel ganz spontan und wird oft eher gedankenlos und unsystematisch von Bedarfsfall zu Bedarfsfall ausgenutzt; den höchsten Preis kann man natürlich von jemandem verlangen, der ohne die angebotene Form »nicht leben kann« – hier sind die Möglichkeiten praktisch unbegrenzt. Noch bekannter ist aber wahrscheinlich die kommerziell institutionalisierte Spielart dieser Instrumentalisierung, bei der eine extreme personimmanente Anhäufung von Gleichem gegen Bezahlung der ganzen kulturellen Gemeinschaft vor Augen geführt wird, typischerweise durch Zurschaustellung im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung, eines Wettbewerbs usw. Durch all das kann eine solche Anhäufung, sehr zum Verdruß der Ideologen der Zweckfreiheit, jemandem zur Existenzgrundlage oder sogar zum Beruf werden – und zwar manchmal zu einem ganz erstaunlich lukrativen. Allerdings erscheint selbst ein professioneller Homokumulierer eher selten ausschließlich inhaltlich-instrumental motiviert und der Formproduktion im Grunde überdrüssig; die Verkörperung einer äußersten Anhäufung bleibt gewöhnlich auch für ihn ein eigenständiger Genuß (ich erinnere nur an den penetranten Narzißmus der Fotomodelle).

Und wie fühlt sich dabei die übersehene Mehrheit? Wird eine bestimmte Art der formalen Auszeichnung als eindeutige Spezialisierung angesehen, dann besteht für die anderen natürlich wenig Anlaß zu Besorgnis. Leider wissen wir aber, daß manches Extrem der Homokumulativität von allen erwartet wird, so daß man der Konkurrenz gar nicht ausweichen kann, und diese Erwartung, eigentlich schon rein mathematisch unerfüllbar, macht den Menschen bisweilen ziemlich arg zu schaffen. Gute Beispiele dafür sind unter anderem siegesträchtige Kompetenz in Kinderspielen* oder allgemeine Unterhaltsamkeit und Witz im Maßstab einer Stimmungskanone*, die beide eine starke Homokumulationskomponente enthalten. Doch nirgends kommen die problematischen Auswirkungen des Form-Seins so klar und deutlich zum Ausdruck wie im Falle der körperlichen Schönheit.

Viele Parameter des eigenen Körpers sind – einstweilen noch? – ein unabänderliches Schicksal, mit dem man sich abfinden muß. Aber wo immer ein unverzagter Homokumulativitätsjäger eine reale Möglichkeit sieht, die Homokumulativität seines Körpers zu vergrößern und zu extremalisieren, macht er sich mit unbändigem Eifer ans Werk; die erste Folge ist also jener üppig ins Kraut schießende Schönheitsaktivismus, der weder Kosten noch Zeit, Geduld und Mühe scheut, jede Unbequemlichkeit und jedes Opfer (Hungern, Frieren…) in Kauf nimmt, sich auch nicht durch Risiko oder Schmerz beirren läßt (von den brutal deformierenden Eingriffen der Naturvölker bis zur modernen Schönheitschirurgie), hartnäckig nicht vorhandene Schönheit vorzutäuschen versucht (und selber durch schlaue Hersteller von allerlei Wundermitteln getäuscht wird) usw. usf. – nur um sich selbst oder anderen formal zu imponieren. Da sieht man wieder einmal sehr genau, welche Mengen von Energie unser Motiv freizusetzen vermag. (Allerdings ist man ebenso gern bereit, sich selber schonungslos zu karikieren, wenn man sich dadurch als geistreich ausweisen kann: extreme Häßlichkeit* tut es eben auch.)

Und wie schaut der Gesamteffekt dieser Bemühungen aus? Sind nur einige wenige in der Lage, sich dem eigenen Körper zu widmen und ihn formal zu kultivieren, dann können sie ihren Rang oft dramatisch verbessern: in einer Klassengesellschaft ist die Oberklasse auch körperlich im Durchschnitt beträchtlich schöner als die Unterklasse. Wird aber die Verschönerung von allen Mitgliedern einer Gruppe ungefähr mit gleichem Nachdruck betrieben, dann ist das eigentliche Ergebnis eine Steigerung der durchschnittlichen Homokumulativitätshöhe, die sich weit von ihrem naturgegebenen Maß entfernen kann, während die Rangverteilung als solche, obwohl im absoluten Maßstab nach oben zusammengedrückt, wegen der unbeeinflußbaren individuellen physischen Merkmale im wesentlichen dieselbe bleibt; nur wer dabei aus irgendeinem Grund nicht mitmacht, fällt in seinem formalen Rang stark zurück – und es gibt wenige, die den Mut aufbringen, sich in diesem Punkt für völlige Abstinenz zu entscheiden.

Auch wenn bei alledem keine großen Gefühle involviert sind, erwächst dem Menschen aus einem solchen in letzter Konsequenz erzwungenen Extremalisierungswillen eine ständige Belastung und Sorge, besonders wegen des in diesem Bereich sehr raschen entropischen Formverfalls. Oft wird jedoch ein niedriger Schönheitsrang – vor allem, aber nicht nur von Frauen – als eine wahre Tragödie erlebt. Die meisten Jugendlichen wünschen sich heute überhaupt nichts sehnlicher, als sich in irgendeiner gängigen Sparte der personimmanenten Homokumulation hervorzutun, und empfinden das Scheitern dieses Wunsches als einen verhängnisvollen, nicht wiedergutzumachenden Schicksalsschlag. Und mit dem Altern wird es zum zweiten Mal brenzlig, wobei eine Art ausgleichende Gerechtigkeit dafür sorgt, daß der Formschwund die größten gewesenen Schönheiten am härtesten trifft. Sind solche Reaktionen einfach lächerliche Übertreibungen, vergleichbar etwa mit Weltuntergängen bei einer Niederlage im Kinderspiel (als inhaltlich ebenso irrelevantem Homokumulativitätsvergleich)? In zahlreichen Situationen ist die formale Auszeichnung tatsächlich der Königsweg zum sozialen Erfolg, und so gesehen erscheint der Gram der davon Ausgeschlossenen wenigstens zum Teil begründet. Der Mensch ist eben besonders empfindlich für jede Art der Ungleichheit und Diskriminierung, und diese Art ist wohl eindeutig überflüssig, bar jeder (unmittelbaren) biologischen Funktion und moralisch ungerecht. Wie bei vielen Gelegenheiten wünscht man auch hier, man wäre doch lieber nicht mit der Homokumulativitätsgier geschlagen. Aber fromme Wünsche helfen wenig, und Verfluchungen noch weniger.

Die zweite Informationsklasse allgemeinster Art, die wir dem Homokumulativ-Sein entgegensetzen wollen, bezieht sich auf Informationen, als deren Träger andere materielle Objekte fungieren. Dabei kann es sich entweder um Hilfsmittel für irgendeine homokumulative Bewirkung (z.B. technische Geräte) handeln oder einfach um schöne vorliegende Gegenstände, und zwar nicht nur Artefakte, sondern auch die Natur selbst. Im Prinzip verhält sich der Mensch auf seiner Jagd nach Form zu solchen Anhäufungen von Gleichem nicht anders als zu den in einem Mitmenschen verkörperten: er sucht die Nähe ihres Extremfalls als eine Vorbedingung für dessen optimale Konsummation. Allerdings wird sein räumliches Verhältnis zu den Gegenständen nicht von diesen selbst (mit)bestimmt, sondern von seiner sozial anerkannten Verfügungsgewalt über sie und im einzelnen vor allem von der Institution des Privateigentums. Am besten zu erkennen ist der Unterschied dort, wo die Mitmenschen selbst als rechtlose Gegenstände behandelt werden wie z.B. schöne Frauen in vielen Kulturen.

Selbstverständlich sind die Folgen in diesem Fall ganz anders; die Schönheit verwandelt sich bei Rechtlosigkeit – und wieder ist die Literatur unser Kronzeuge – oft genug in einen Fluch. Aussprüche wie der vom »interesselosen (= zweckfreien) Gefallen« führen hier leicht in die Irre, weil man Objekte, die extreme Homokumulativität ausstrahlen, auch aus rein formalen Gründen wenn irgend möglich besitzen will, und zwar oft mit einer Leidenschaftlichkeit, die sogar die Leidenschaftlichkeit der körperlichen Verschönerung in den Schatten stellt. Da aber Gegenstände von Natur aus nicht an eine bestimmte Person gebunden sind, ergibt sich dabei das bekannte Problem der Ausschließung von anderen: zunächst muß irgendwie entschieden werden, welchem von meist mehreren Bewerbern etwas zufallen soll, und später muß man dann alles Ergatterte Tag und Nacht verteidigen gegen den Neid der Artgenossen und gegen Enteignungsversuche. Zwar steht es theoretisch jedermann frei, formal interessante Objekte auch selber herzustellen, für sein ehrlich verdientes Geld zu kaufen, als erster zu finden oder sonstwie rechtmäßig zu erwerben, doch im allgemeinen gilt diese Art der Eigentumsbildung als eher untypisch; ganz im Vordergrund steht in unserer Vorstellung der Konflikt mit einem bestehenden Besitzer oder Besitzanwärter und die mehr oder weniger aggressive Expropriation – vielfach mit eindeutig kriminellen oder kriegerischen Mitteln und Methoden, durch die die menschliche Zivilisation seit jeher glänzt (und was man nicht erbeuten kann, kann man immerhin zerstören), aber auch die »friedliche« Aneignung innerhalb der Gruppe impliziert in unseren Augen gewöhnlich irgendeinen Machtmißbrauch.

Von entscheidender Bedeutung ist dabei offenbar die soziale Rangordnung: extreme Homokumulativität ausstrahlende Objekte stellen meistens eine von den Belohnungen für einen hohen Rang dar. Sobald jedoch die Besitzfrage geklärt ist, werden sie selber zum Ausgangspunkt einer neuen, relativ selbständigen hierarchischen Einstufung der Mitglieder der Gruppe je nach der Menge der in »ihren« Objekten enthaltenen Anhäufung von Gleichem – ähnlich wie die verkörperte Form. Wie kommt es eigentlich zu diesem keineswegs selbstverständlichen Übersprung vom Gegenstand auf den Menschen? Anscheinend werden Objekte, die immer wieder in der Nähe ihres Besitzers auftauchen, so stark mit ihm assoziiert, daß sie nicht nur auf ihn abfärben, sondern in vielen Fällen ihre Selbständigkeit gänzlich verlieren und sich in reine Verlängerungen der Person verwandeln. Man kann das an unseren Behausungen beobachten, an unseren Fahrzeugen oder Grabstätten, es gilt sogar für eine schöne Frau als Begleiterin des Mannes, und vor allem gilt es natürlich für Kleidung und Schmuck, die ja dem Körper unmittelbar anliegen: wo soll man hier den Trennungsstrich ziehen? Eine strenge Unterscheidung zwischen »homokumulativ sein« und »Homokumulatives haben« erweist sich also in der Praxis wieder einmal als nahezu unmöglich.

Aus dem Gesagten ergeben sich zwei Arten der Rangierung, eine allgemeine und eine besondere formale nach Homokumulativitätsbesitz, zwischen denen eine enge Korrelation besteht; und damit wird die letztere  zu einem Zeichen für die erstere prädestiniert. Gewöhnlich spricht man in diesem Zusammenhang von »Statussymbolen«, doch ist der Ausdruck wenigstens bei homokumulativen Objekten in der Funktion eines Rang- oder Statuszeichens fehl am Platz, weil man dabei keine willkürlich-konventionelle Bedeutungszuschreibung lernen muß, sondern bloß die Korrelation zwischen den beiden erwähnten Typen der Rangierung, der sich nicht einmal ein Kleinkind verschließen kann. Fremde verstehen derartige Zeichen erfahrungsgemäß ganz spontan, wenn ihnen nur die Homokumulationsrichtung als solche geläufig ist. Deshalb ist es wohl ratsamer, sie als Statusindexe aufzufassen.

Natürlich gibt es neben primär formal motivierten Homokumulaten noch viele andere Zeichen für den sozialen Rang, weil diese Funktion beim Menschen keinen angeborenen Einschränkungen zu unterliegen scheint, d.h. zu den typisch arbiträren zählt, doch ist der Beitrag des Formverhaltens auch hier zumindest groß – den Statuswert einer Neuheit, insbesondere einer neuen Mode, kennen wir ja alle. (Vielleicht sollte man bei der Gelegenheit sogar noch etwas weiter ausholen und den häufigen rangbezeichnenden Zweck des gesamten »zweckfreien« Verhaltens nennen, der den Ideologen der Zweckfreiheit so schlecht in den Kram paßt; das bezieht sich übrigens auch auf den Sport oder die Kunst als personimmanente homokumulative Bewirkungen.) Die Anhäufung von Gleichem entspricht aber anscheinend ganz besonders ideal den Anforderungen, die an ein Statuszeichen gestellt werden, weil sie abstrakte Ordinalität in anschaulich-meßbare Quantität übersetzt. Nebenbei sei übrigens vermerkt, daß sich auch formal homokumulative Objekte nicht nur für diese eine sekundäre soziale Instrumentalisierung eignen, sondern noch für viele ganz andere: so kann man sie z.B. gegen Entgelt zur Besichtigung freigeben, wohlberechnet verschenken (wie beim Potlach) oder einem angenommenen übernatürlichen Homokumulativitätsjäger opfern.

Ähnlich wie personimmanente Anhäufungen werden allerdings auch die gegenständlichen typischerweise nicht als reine Mittel zur Rangbezeichnung erlebt, als mechanische Vorzeigestücke, die die Kommunikationsteilnehmer abgesehen von ihrer Botschaft völlig kalt ließen (obwohl es solche Beispiele geben mag); der intrinsische Reiz der Form bleibt erhalten und kann, auch wo er in Vergessenheit geriet, jederzeit wieder aktuell werden. Und ganz gewiß sind nicht alle formalen Homokumulate Statuszeichen, so oft sie auch dafür herhalten müssen, d.h. der soziale Nutzen ist nicht etwa eine unerläßliche Bedingung für ihre Beachtung – sie können sich in unseren Augen durchaus auch ohne ihn behaupten. Ja es gibt sogar statusmäßig negativ besetzte, z.B. »veraltete« oder »kitschige« Anhäufungen von Gleichem, deren Konsummation man vor den Mitmenschen sorgfältig verheimlichen muß, und doch lassen manche davon nicht ab. Homokumulate vertreten für uns eben nicht nur etwas anderes, sie sind auch selber interessante Information. Wir wiederholen das wegen jenes soziologischen Pansymbolismus, der – als eine Spielart des allgemeineren Pansemiotismus – den gesamten Informationsaustausch in der Gesellschaft auf Zeichen reduzieren will. Das ist wohl lediglich noch eine von den zahlreichen Verlegenheitslösungen, die durch die Hypothese von der Homokumulativitätsgier überflüssig werden.

Andererseits ist aber auch dieses Motiv selbstverständlich nicht die einzige Quelle der Eigentumsbildung, sondern nur eine von vielen verschiedenen. Wie groß ist also, und was genau umfaßt sein Anteil am sogenannten »Reichtum«? Wie schon erwähnt, sind häufiger als ausschließlich der Form gewidmete Objekte, denen man zwar ebenfalls begegnet, formal motivierte Elemente oder Aspekte an Besitztümern, die im übrigen einen inhaltlich-instrumentalen Zweck erfüllen. Dazu gehören vor allem: a) besondere Homokumulativität des verwendeten Materials*; b) Anhäufungen von Gleichem in der Ausschmückung* und die meta-homokumulative Anhäufung* derartiger Anhäufungen; c) eine extreme und kaum noch funktionelle Größe* des Objekts, erstens an und für sich und zweitens als Tummelplatz unserer Dekorationslust – man denke nur an die buchstäblich bis zum letzten Zentimeter* ihrer äußeren und inneren Oberfläche prunkvoll verzierten Paläste der Mächtigen*; und ähnlich gilt d) für mehrere Gegenstände mit derselben Funktion, daß sie, auch wenn ihre Menge* rein inhaltlich determiniert sein sollte, was aber nicht von vornherein feststeht, entweder einander unnötig exakt* wiederholen oder dem Besitzer die Gelegenheit bieten, verschiedene Möglichkeiten der Homokumulation im arbiträren Detail auszukosten, wobei ihr Verhältnis zueinander oft Züge einer Diversitätsanhäufung, d.h. eines paradoxen Homokumulats* annimmt.

Am genauesten abschätzen läßt sich der Einfluß der homokumulativen Form auf die globale Anziehungskraft und den »Wert« eines Objekts, wenn man Gegenstände miteinander vergleicht, die sich bei identischem Gebrauchswert nur in ihren formalen Parametern unterscheiden – und bekanntlich gibt es in dieser Hinsicht sehr verschiedene Ausführungen. Dabei zeigt es sich, daß sich eine Zunahme der Anhäufung von Gleichem meist überproportional positiv niederschlägt und in der Nähe des Extrems zu einem völligen Verlust des Augenmaßes führen kann. Die Bewertung des Objekts ist also überaus stark von der Form abhängig. (Natürlich ist ein Großteil der Homokumulativitätsextreme zugleich selten und infolgedessen »permanent neu«, aber andererseits will man in der Regel auch nicht jeden neuen Gegenstand besitzen, sondern nur die hinlänglich homokumulativen unter ihnen.) Wer die Wahl hat, entscheidet sich stets für die formreichste Version, die er sich mit knapper Not gerade noch leisten kann, und die Hauptmasse der ungeheuren motivativen Kräfte unserer Habgier konzentriert sich auf einige wenige Prachtstücke, während uns der Rest des Angebots kaum wirklich aneignungswürdig erscheint – am liebsten würden wir von jeder* denkbaren Art des Gegenstandes nur solche Prachtstücke (= Lückenlosigkeit*) um uns herum auftürmen. Das gesamtkulturelle Ergebnis ist eine ähnliche Steigerung des durchschnittlichen Homokumulativitätsniveaus wie bei körperlicher Schönheit; der Mensch lebt in einer materiellen Welt, in der die Nützlichkeit (bzw. Natürlichkeit) lediglich als Anlaß für verschiedene Exzesse der Form zu dienen scheint.

Wo finden wir überhaupt einen Reichtum, der nicht ganz durchtränkt wäre von Homokumulativitätsgier? Konsequente Geizhälse sind heute schon ziemlich selten (und selbst bei ihnen müßte man sich erst vergewissern, ob sie die nackte Geldmenge* nicht vielleicht doch auch formal fasziniert). Sicher bedeutet gerade ihr Verhalten eine besonders krasse – und deshalb unfreiwillig komische* – Übertreibung, d.h. die Eigentumsbildung wäre offenbar auch in Abwesenheit der Homokumulativitätsgier mit mächtigen »Extremalregelungen« verbunden. Aber der festliche Glanz einer primären, durch keine bewußte oder unbewußte Nützlichkeitserwägung vermittelten Befriedigung wäre erloschen, und in den Augen aller Nichtgeizigen würde einem solchen Reichtum etwas Wesentliches fehlen – ja sein ganzer Sinn wäre in Frage gestellt.

Nach alledem spielt unser Motiv im Kontext der allgemeinen Habgier des Menschen eine sicherlich ungemein wichtige, obgleich kaum exakt zu quantifizierende Rolle und ist deshalb auch mitverantwortlich für einen entsprechend großen Teil ihrer negativen Auswirkungen. Dabei denken wir erstens an seinen Beitrag zu der explosiven Eskalation unserer Bedürfnisse und zur materiellen Unersättlichkeit des Menschen; zweitens gestattet die diabolische Dramaturgie der Extremalregelung keine Entschärfung der wegen der Form gesteigerten Aneignungsbemühungen durch ihre breite Streuung, sondern läßt sie immer wieder bei denselben Objekten aneinanderprallen, d.h. die Homokumulativitätsgier erweist sich in diesem Zusammenhang als ganz besonders konfliktträchtig und verstärkt noch zusätzlich die ohnehin gefährlichen Spannungen zwischen den Menschen; und drittens ist die Belohnung durch den Besitz eines extrem homokumulativen Objekts in den meisten Fällen diejenige unter den primären Belohnungen, die am stärksten von der sozialen Stellung des einzelnen abhängt, also voraussichtlich eine Schlüsselkomponente des breiteren Folgenkomplexes, der dem Menschen das Streben nach Rang so verzweifelt dringlich vorkommen läßt.

Für uns ist das übrigens nicht die erste Verbindung zwischen Macht bzw. Aggression und Form. Allerdings ist dieser indirekte Zusammenhang über die Habgier wahrscheinlich noch viel wichtiger als die unmittelbare Ausnutzung der beiden genannten Verhaltensmuster für lustvoll sadistische Bewirkungen, so daß wir erst jetzt alle Verflechtungen des hier untersuchten Motivs mit der Herrschaft und Gewalt überblicken. Jedenfalls tendieren in einer Gesellschaft von Homokumulativitätsjägern die materiellen Unterschiede zwischen den Menschen, wenn sie überhaupt möglich sind, »von Natur aus« stets zum Extrem. Und es ist gerade die formale Seite des Reichtums, die seit jeher besonders in die Augen springt und Rätsel aufgibt, weil sie sich eben, auch wenn wir von der tieferen existentiellen Unverständlichkeit jeglicher Ungleichheit absehen, nur sehr schwer inhaltlich-instrumental erklären läßt. Einst sprach man von unnötiger Verschwendung; heute redet man von »falschen Bedürfnissen«, kommt aber damit auch nicht viel weiter. Wir hingegen können in dem Wunsch nach Formbesitz (auch in der ähnlich negativen Gier nach neuen materiellen Objekten) einen rationalen Sinn erkennen, weil wir seinen dialektisch funktionellen Hintergrund sehen: nach den Prämissen einer generellen Repertoirestrategie handelt es sich bei extremen gegenständlichen Anhäufungen von Gleichem, genauso wie bei den von anderen Menschen verkörperten, um besonders vielversprechende Reaktionspotentiale, die man logischerweise stets bei der Hand haben will, ja wollen muß, und zwar alle, unabhängig von irgendwelchen konkreten Nützlichkeitsbeobachtungen.

Selbstverständlich impliziert das auch in unseren Augen keine moralische Absolution. Die Verschärfung der Habsucht ist wohl die schwerwiegendste schädliche Folge der von uns postulierten Motivation (dagegen sind alle Schönheitstragödien Bagatellen) und es wäre meiner Meinung nach völlig verfehlt, in der aisthesis etwas Naiv-Gutmütiges zu erblicken. Aber die Homokumulativitätsgier ist für uns, wie gesagt, ein primäres Motiv, also ist der Hauptschuldige für den durch sie ausgelösten Teil der Habsucht keine finstere Verschwörung irgendwelcher Schurken oder gesichtsloser Strukturen, sondern die natürliche Evolution, die eventuellen Manipulanten eine zuverlässige Grundlage für ihre Manipulationen liefert. Daß primäre Motive äußerst problematisch sein können, ist am Beispiel der Aggressivität und des Rangstrebens als solchen ja schon oft aufgezeigt worden, und noch problematischer wird dieses Paar in der Kombination mit einer so blinden Extremalregelung wie der des Formverhaltens. Wir haben eben keine Gewähr dafür, daß wir von der Natur a priori »richtig« konzipiert wurden.

 

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