WOLFGANG LANGSFELD
WIE NÜTZLICH IST NÜTZLICHE KUNST?
Pino Poggi in Neuperlach
Der heute 39jährige Genuese Pino Poggi lebt seit 1969 in Deutschland,
die meiste Zeit in der Nähe von Regensburg, wo er ein Ausstellungs-
und Kommunikationszentrum leitete und wo er heute als Gartenarchitekt,
Graphiker, Bildhauer und Initiator zahlreicher Kunstaktivitäten arbeitet.
Für sie hat er sich das Etikett „Arte Utile" (Nützliche Kunst)
als Erkennungszeichen zugelegt — Rahmen und Anspruch für Publikumsnähe
und hilfreiche Auseinandersetzung. Den Nutzen seiner nützlichen Kunst
sollen die Leute haben, vor allem jene, die normalerweise mit Kunst
nichts zu schaffen haben und auch nichts zu schaffen haben wollen. Poggi
geht zu ihnen, sucht sie in ihrer alltäglichen Umgebung auf und macht
ihnen seine Angebote. In der Münchner Fußgängerzone ebenso wie anIäßlich
der letzten Documenta in Kassel, zuletzt in der Trabantenstadt Neuperlach,
wo er vor vier Wochen im Auftrage des Kunstzentrums.das erarbeitet hat,
was heute hier ausgestellt ist.
Als Ausgangspunkt und Reizmaterial dienen Pino Poggi Bild - und Textmontagen
gemäßigt provokativer Natur, mit denen er in die Öffentlichkeit zieht,
um mit den Leuten über Terrorismus, Altenprobleme, Lärmbelästigung oder
Lebensbedingungen in Hochhausvierteln zu diskutieren. Das italienische
Naturell erleichtert ihm den Kontakt, und was da wortreich besprochen
wird, registrieren Photoapparate, Tonbandgeräte und Videokameras. Die
Bildmontagen werden hinweisen und zugleich dazu auffordern, diese Zeugnisse
kommunikativer Situationen hervorzuholen und wieder zusammenzusetzen
wie ein Puzzle.
Dabei kommt es mehr darauf an, daß die Leute miteinander reden, als
worüber und was sie reden. Denn natürlich drangen sich die vielen Pauschalitäten
und Klischeevorstellungen in den Vordergrund, die man so leicht erhält,
wenn man dem Volk so aufs Maul schaut. Natürlich fordert wieder jemand
die Todesstrafe für Terroristen; natürlich mißgönnt eine alte Jungfer
den Kindern dasselbe, was sie für ihren Hund leidenschaftlich fordert;
natürlich gibt es die Hausfrau, die den Flugzeuglärm liebt, weil er
sie an Urlaub und ferne Länder erinnert.
Interessanter als dies sind die vielfältigen Gesprächssituationen,
die Poggi inszeniert: die gleitenden Übergänge von der alltäglichen
zur Kunstsituation; seine Versuche der sinnbildlichen Verallgemeinerung;
der stufenweise Fortschritt in den Mittein der Auseinandersetzung mit
Problemen des Alltags; schließlich auch die heikie Situation, in die
sich einer begibt, der gleichzeitig beteiligter Partner, dokumentieren
der Chronist und gestaltender Bearbeiter der von ihm provozierten Situationen
sein mochte. Ob die nützliche Kunst von Pino Poggi letztlich nützlicher
ist als andere Kunst, ob man hier überhaupt von Kunst reden sollte,
oder ob hier ein interessanter neuer Bereich eines kreativ engagierten
Journalismus entwickelt wird, kann vorerst nicht entschieden werden.
Die Ansatze, kommunikative Prozesse einzuleiten, festzuhalten und, bereichert
durch eigene künstlerische Beiträge, fortzuführen, sind freilich der
Aufmerksamkeit wert. (Bis 6. August)
gor