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Veit Loers
PINO POGGIS SYMBOLISCHE AKTIONSMODELLE

Wer Künstlerkataloge der siebziger Jahre durchblättert, dem fallt jene Improvisation auf, der sich das Layout verschrieben hatte: Ideenskizzen, Concetti, Pensieri, Notizen und Konzepte, beschriftete Fotoattituden mit Publikum, Indizien ehe einer wissenschaftlichen als einer künstlerischen Arbeit. Wissenschaft freilich, die eine auffällige Freude an der sinnlichen Ausbreitung ihrer Zettelkasten zeigte, deren Modelle heute dort am überzeugendsten wirken, wo der missionarische Eifer ihrer Intention ins Absurde umschlug. Pino Poggis Arte Utile, auf die Praxis ausgerichtet, gleichwohl durch Manifeste und Erläuterungen als lesbare Kunst sich deklarierend, war Teil jener sozialen Konzeptbewegung, die letztendlich auf das Buch und das Modell reduziert bleiben. lhr Aktionismus hinterließ lediglich individuelle Chiffren und Spuren, die als Saatgut fur neue künstlerische Betätigung dienen konnten, die aber gut daran taten, auf eine formale Aufblähung in Form von Fototafeln oder Skulpturhaften Dokumentationen zu verzichten.

Seit etwa 1969 beschäftigt sich Pino Poggi mit Modellen für Aktionen und begehbare Environments, die die früheren Konzepte in eine merkwürdige Sphäre transponieren. Die mit Action Figürchen bestückten Schaumodelle versetzen den Betrachter in eine theaterhafte Situation. Ein Drinnen und Draußen, ein Vorher und Nachher sind die dramaturgischen Standards dieser inszenierten Geschichten. Poggi selbst unterscheidet mehrere Stufen seiner begehbaren Environments, vom Kommunikations- oder Animationsmodell bis zum komplexen, mehrschichtig angelegten AU-Modell. Zur ersten Kategorie etwa zählt jener Raum, in dem die Besucher sich durch ein Netzwerk von aufgespannten Gummischnüren zu bewegen haben, die bei zu heftiger Dehnung platzen. Die Komik des Aufeinandertreffens steht hier in Relation zum allegorischen Gesamtbild: dem verzweifelten Vorwärtskämpfen der Individuen innerhalb ihres menschlichen Ambientes. Dabei ist schon ein Charakteristikum von Poggis Modellen enthalten, das immer wiederkehren wird: die Interpretierfähigkeit des Publikumsverhaltens durch das Publikum selbst als Ziel der Aktion. Dieses Schema ist auch der Leitgedanke der mehrdimensionalen Modelle, wobei in jüngster Zeit der Aktionscharakter immer mehr in eine architektonische Stabilität und Parabelform überfuhrt wurde.

In dem Modell »lncontro con la realta« (Begegnung mit der Realität) wird die horizontale Erlebnisachse zur vertikalen. Ein quadratischer Raum wird durch zwei Diagonalwände in vier separate Dreieckskompartimente aufgeteilt. In jedem Raumsegment steigen Stufen bis zu einem lichterfüllten Ausguck in der Mitte an. Der Besucher kann nach oben, gleichsam in eine andere Realität, hineinschauen, wird aber durch eine sackartige Folie am Verlassen seiner Raumzone gehindert. Was er sieht, ist zunächst in der Mitte ein großes eiartiges Gebilde, das den Ursprung verkörpern k6nnte. Um das Ei herum gewahrt er die drei anderen folienverhüllten Besucherplattformen, die ihm fremd erscheinen müssen, aber seine eigene Existenz spiegeln. Darüber hinaus erblickt er um sich herum, also aus der Froschperspektive, in den Raumkompartimenten dieser zweiten, oberen Realität Environments, die Krankheit, Hunger und Tod signalisieren. Auch bei diesem Modell ist es der erlebnishafte Ablauf innerhalb einer klaren, statischen Grundform, der Realitäten konstituiert und sie relativiert, der den Besucher zum ästhetischen Instrument der künstlerischen Totalität bestimmt.

In dem großen Modell »Mi sono seduto nel mondo, mi sono guardato nel fondo« (Ich sitze in der Welt, ich blicke tief in das Innere) wird der architektonische Aufbau selbst erstmals zum Lehrstuck uberhöht. Gewaltige Rampen ermöglichen dem fiktiven Betrachter Einblick in die Vorgange des Inneren und auf das geschriebene Motto wie auf ein Buch-Monument. Auch das Licht, das den Menschen anlockt und fuhrt, zudem das Monument selbst geheimnisvoll illuminiert, nimmt eine zentrale Stellung ein. Gitter, körperkontaktierende Durchlasse und Spiegel, immer wiederkehrende Elemente des Inneren, symbolisieren die Marschroute des Lebenswegs, ihre labyrinthische Weite und konkrete Enge. Im Modell »Autoritratto di ognuno di noi« (Selbstbildnis eines jeden von uns) wird der Besucher via Einbahnstraße abwechselnd mit seinem Spiegelbild, dem ausschnitthaften Portrat des auf anderer Bahn Entgegenkommenden und der Leere des weißen Raums in Hohe seines Gesichtsfeldes konfrontiert. In »Damocle« (Damokles) ist das begehbare Terrain von stalagtitenartigen Pfählen bedroht, von denen sich bereits einige in den Boden gebohrt haben. Was bei Pino Poggis AU-Konzepten früher als Vertracktheit der Situation gelten mußte, ist nun zum realistischen Tatort der conditio humana geworden. Wie in Platons Hohlengleichnis werden die Menschen gelenkt, manipuliert und voyeuristisch beobachtet. Man setzt sie im Spiel den Extremen des Daseins aus. »Tod und Verklarung« sind das eine Moment, existenzielle Angst das andere. Das innere Erlebnis des sich hineinversetzenden Betrachters ist untrennbar mit der Neugierde des Beobachters draußen verbunden. Was bleibt, ist immer die Spur, die die Akteure hinterlassen. Sie zieht sich in die Gesamtbetrachtung wie die archäologischen Aufbruche in den Piranesi-Veduten.

Aus Poggis ganz den sozialen Kunst-Animations Ideen verpflichteten AU-Aktionen sind symbolische Aktionsmodelle entstanden, deren Novität in der strengen Organisiertheit und Komplexität ihrer Bestandteile liegt. Man kann darin mühelos jene Elemente wiederfinden, die der Künstler vor einem Jahrzehnt ins Spiel brachte: Komik und Groteske, Zivilisationsspuren und -abfall, Käfigsituation und Vereinsamung. Alle zusammen fugen sich nun zum Konzept einer Commedia mundi, eines Mysterienspiels. Die neoplatonische Idee der Erlösung wird mit dem kognitiven Voyeurismus des Betrachters kombiniert. Man sieht auf den Ablauf der sozialen Gemeinschaft zurück, sieht Geburt, Leben und Tod als metaphorische Kunstaktion in der ästhetischen Organisiertheit der Rauminstallation. Man erblickt den Nächsten: neben sich, über sich, unter sich. Aber man ist ein anderer. Der bühnenhafte Illusionismus der Kunstwelt laßt nur eine trügerische Gemeinschaft zu. Daß nun Publikumspartizipation, Ort und Zeit eine neue Synthese eingehen können, liegt daran, daß sie - scheinbar - ihren alten idealistischen Aufspruch aufgegeben haben und sich zunächst um das Erfüllen ihrer formalen Dimension kümmern. Für mich sind Pino Poggis Modelle eine Möglichkeit, die konzeptuelle, sozial engagierte Kunst der sechziger und siebziger Jahre aus ihrer leeren moralischen Abstraktion einer neuen Sinnlichkeit und Transparenz zuzuführen.




gor


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zadnji popravek: 18-Oct-2002 17:51

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