Page 325 - [Peter_Menzel,_Faith_D’Aluisio]_Mahlzeit_Auf_80(BookFi.org)

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Kohlfelder nachdächte, von dem er stammt. Denn Gemüse, das in großen
Monokulturen wächst, ist auf giftige Chemikalien angewiesen, genauso wie
massenhaft in enge Käfige gepferchte Tiere Antibiotika und andere Medika-
mente brauchen, um die Torturen zu überstehen.
Der Verbraucher darf nicht entdecken, dass es der Lebensmittelindus-
trie nicht in erster Linie um Qualität und Gesundheit geht, sondern um
Menge und Preis. Seit Jahrzehnten schon denkt die gesamte industrielle
Lebensmittelwirtschaft, von den Farmen über die Mäster bis hin zu den
Supermarkt- und Fastfood-Ketten, nur an Masse. Doch mit zunehmender
Größe schwindet die Vielfalt; und mit der Vielfalt schwindet auch die Ge-
sundheit. Und damit wächst zwangsläufig die Abhängigkeit von Medika-
menten und Chemikalien. Wenn das Kapital die menschliche Arbeit ersetzt,
ersetzt es den Menschen und die natürliche Fruchtbarkeit und Gesundheit
des Bodens durch Maschinen, Medikamente und Chemikalien. Lebensmit-
tel werden immer auf die Weise erzeugt, die am meisten Profit abwirft. Auf-
gabe der Werbekosmetik ist es dann, den Verbrauchern die so erzeugten
Nahrungsmittel als gut, schmackhaft und gesund zu verkaufen.
Der Esser muss begreifen, dass Essen zwangsläufig auf der Welt
stattfindet, dass es zwangsläufig ein landwirtschaftlicher Vorgang ist,
und schließlich, dass wir mit unserem Essen zum großen Teil bestim-
men, wie die Welt genutzt wird. Dieser Satz beschreibt auf schlichte Art
eine sehr komplexe Beziehung. Verantwortungsbewusst essen heißt,
diese vielschichtige Beziehung zu verstehen und, soweit möglich, aus
dieser Erkenntnis heraus zu handeln. Was können wir dazu tun?
1.
Beteiligen Sie sich nach Ihren Möglichkeiten an der Nahrungsmittel-
produktion. Wenn Sie einen Garten haben, einen Balkon oder auch nur
ein sonniges Fenstersims, pflanzen Sie etwas Essbares. Starten Sie mit
Küchenabfällen einen kleinen Komposthaufen und nutzen Sie ihn als
Dünger. Nur wer selbst etwas anbaut, erlebt den wunderbaren Energie-
kreislauf von Boden über Samen und Blüte zu Frucht zu Nahrung zu
Abfall zu Humus und somit zum neuen Anfang.
2.
Bereiten Sie Ihr Essen selbst zu. Das heißt die Künste von Küche
und Haushalt wieder zum Leben zu erwecken. So sparen Sie Geld und
bekommen mindestens eine teilweise Kontrolle der Qualität.
3.
Fragen Sie nach der Herkunft der Lebensmittel, die Sie kaufen,
und kaufen Sie die Produkte aus Ihrer Umgebung. Die Vorstellung,
dass jede Gemeinde auch, soweit möglich, Quelle ihrer Lebensmittel
sein sollte, ist sinnvoll. Denn die örtliche Versorgung ist die sicherste
und frischeste und diejenigen, die die Verbraucher am leichtesten
kennenlernen und beeinflussen können.
4.
Kaufen Sie nach Möglichkeit direkt beim Bauern und umgehen Sie
so die ganze Kette von Handel, Logistik, Verarbeitung und Werbung,
die auf Kosten der Erzeuger und Verbraucher lebt.
5.
Machen Sie sich schlau über die wirtschaftlichen und technischen
Gepflogenheiten der Lebensmittelindustrie. Welche Fremdstoffe wan-
dern in die Lebensmittel, und was zahlen Sie dafür?
Alle Menschen, nicht nur elitäre Feinschmecker, sollten Freude am Essen
haben. Menschen, die den Garten kennen, in dem ihr Gemüse gewachsen
ist, erinnern sich an den Zauber der wachsenden Pflanzen, vielleicht
taubenetzt im Licht der Morgensonne, wenn der Garten am schönsten
ist. Dieses Bild verbindet sich mit dem Gemüse und gehört zur Freude
am Essen. Und ebenso gibt der Gedanke an eine grüne Weide, auf der
ein Kalb friedlich grast, dem Steak Geschmack. Manche halten es für
blutrünstig oder schlimmer, ein Mitgeschöpf zu essen, das man dessen
Leben lang gekannt hat. Ich dagegen denke, dass man dann mit Verständ-
nis und Dankbarkeit isst. Ein großer Teil der Freude am Essen besteht
aus der genauen Kenntnis des Lebens und der Welt, aus denen unsere
Nahrung stammt.
Bewusst und mit Freude zu essen ist vielleicht die innigste Verkörpe-
rung unserer Einbindung in die Welt. In dieser Freude erleben wir und feiern
wir unsere Abhängigkeit und Dankbarkeit. Denn wir leben von Wesen, die
wir nicht geschaffen haben, und durch Kräfte, die wir nicht verstehen.
Von links nach rechts: Maria Kwiatkowska
schneidet in Adamka, Polen, Käsekuchen. José
Angel Galaviz und sein Sohn in Maycoba, Mexiko.
Gemüse auf dem Markt von Sonargaon in Bang-
ladesch. Schnapper und Papageifische auf dem
Naha-City-Markt in Okinawa, Japan. Kousuke
Tominaga in Napa Valley, Kalifornien, isst Muscheln.
Carson »Collard Green« Hughes verschlingt einen
Hamburger in Newport News, Virginia