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Nach dem Zweiten Weltkrieg strengte sich die Lebensmittelindustrie
mächtig an, um uns die wundersamen Produkte zu verkaufen, die man
zur Abfütterung der Soldaten im Krieg ersonnen hatte. Das ist die fried-
liche Nutzung militärischer Innovationen, die schon die Landwirtschaft
revolutioniert hatte. Statt Sprengstoff produzierten die Fabriken nun
Kunstdünger, statt Kampfgas Pestizide. Der Übergang zum industriellen
Kochen ist also ein Folge des Anbieterdrucks.
Und was machen wir mit der Zeit, die wir bei der Zubereitung der
Nahrung einsparen? Wir arbeiten, pendeln zum Arbeitsplatz und
zurück, surfen im Internet, und, was am meisten überrascht: Wir
schauen anderen übers Fernsehen beim Kochen zu. Vielleicht lieben
wir Kochsendungen, weil Kochen Gefühle anspricht und Erinnerungen
wachruft, die bis in die Anfänge der Menschheit zurückreichen. Wer
kocht, erntet nicht nur eine Mahlzeit, sondern einen Anlass: die Mahl-
zeit mit anderen zu teilen, Blickkontakt herzustellen, die Zivilisation
voranzubringen. Wenn das Kochen zentraler Bestandteil der mensch-
lichen Identität und Kultur ist, dann ist der Schluss zwingend, dass ein
Niedergang der Kochkultur tiefe Auswirkungen auf unser Leben hat.
Zumindest würde man erwarten, dass das Verschwinden des Kochens
aus unserem Alltag Heimweh nach Bildern, Düften und der Geselligkeit
am Herdfeuer weckt. Vielleicht lösen die Programmmacher mit ihren
Kochsendungen, die wie Lagerfeuer tief im dunklen Kabelwald an-
muten, genau diese Gefühle aus und locken uns herbei wie das wär-
mende Feuer den hungrigen Wanderer.
Wenn Kochen nur noch gelegentlich stattfindet, hat das schlimme
Folgen. Nichtkochen kann unserer Gesundheit schaden, und es gibt
Grund zur Annahme, dass es schon unser körperliches und seeli-
sches Wohlbefinden angegriffen hat. Schauen wir auf die Forschung
zur Beziehung zwischen Kochen und gesunder Ernährung: 2003 er-
gab eine Studie von Wirtschaftswissenschaftlern der Harvard-Univer-
sität, dass die Zunahme der industriellen Nahrungszubereitung den
größten Teil der Fettleibigkeit in den USA erklären könnte. Die Mas-
senproduktion hat die Kosten vieler Lebensmittel gedrückt, nicht nur
im Preis, sondern auch bei der für die Herstellung nötigen Zeit.
Lebensmittel mit hohem Fertigungsaufwand wie Törtchen mit Creme-
füllung, gebackene Hähnchenflügel und Käsegebäck sind heute All-
tagsware, die man an jeder Tankstelle kriegt.
Die Harvard-Forscher untersuchten auch die Kochgewohnheiten in
anderen Kulturen und fanden heraus, dass der Anteil der Fettleibigen
an der Bevölkerung umso geringer ist, je mehr Zeit die Menschen sich
zu Hause für die Zubereitung von Mahlzeiten nehmen. Eine andere
Untersuchung sieht in der Kochpraxis einen besseren Indikator für
gesunde Ernährung als die soziale Schichtzugehörigkeit. Einer Studie
des Journal of the American Dietetic Association aus dem Jahr 1992
zufolge ernährten sich arme Frauen, die regelmäßig kochten, gesünder
als besser gestellte, die nicht kochten.
Also kommt es sehr darauf an, ob gekocht wird. Das ist nicht über-
raschend. Überlassen wir das Kochen der Industrie, wird reichlich
Zucker, Fett und Salz verwendet, drei Geschmacksträger, auf die wir
geprägt sind. Drei Zutaten, die spottbillig sind und sich hervorragend
zur Tarnung der Mängel verarbeiteter Lebensmittel eignen. Die Frage
ist: Wie kriegen wir den Geist zurück in die Flasche? Kann die Kultur
des täglichen Kochens wiederbelebt werden, wenn sie erst einmal zer-
stört ist? Denn eine grundlegende Veränderung des American Way of
Eating beziehungsweise des ganzen Ernährungssystems ist schwer
vorstellbar, ohne dass Millionen Amerikaner – Männer und Frauen –
bereit sind, Kochen zum Bestandteil ihres Alltags zu machen. Der Weg
zu einer Ernährung mit frischeren, weniger denaturierten Lebensmitteln
sowie zu einer Erneuerung der Ernährungswirtschaft auf lokaler Grund-
lage führt direkt durch die häusliche Küche.
Von links nach rechts: eine McDonald’s-Reklame
in Tokio. Ein Tisch einer Cafeteria in der Mall of
America in Bloomington, Minnesota. Das Knabber-
zeug-Regal eines Supermarktes in Whitesburg,
Kentucky. Der Soldat Curtis Newcomer isst ein
Fertiggericht bei der Ausbildung in Fort Irwin
in der Mojavewüste in Kalifornien. Ein Maiskolben-
und Hotdog-Stand auf einem Jahrmarkt im Napa
Valley in Kalifornien