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Erzeugen und Speichern von Fleisch, dass die Chinesen sie »wan-
delnde Kühlschränke« nennen. Wieso ist Schweinefleisch dann in
vielen Kulturen tabu?
Da ist einmal die Angst vor Krankheiten: Schweine fressen Kot
und suhlen sich im Schlamm – nicht gerade appetitanregende Ver-
haltensweisen. Und ihr Fleisch kann Trichinen enthalten. Doch diese
Argumente sind nicht wirklich überzeugend. Hühner und Ziegen fres-
sen fast alles, sogar Mist. Und die Trichinose ist zwar eine schlimme
Krankheit, aber auch nicht gefährlicher als die, die durch den Verzehr
anderer Tiere, einschließlich der Rinder, übertragen werden können.
Harris behauptet, die Ablehnung des Schweines sei klima- und
umweltbedingt: Schweine brauchen Schatten, Wasser zum Suhlen
und wenigstens etwas Getreide oder andere Nahrungsmittel, die der
Mensch selbst verzehren könnte. Und wie die Hunde auf Kosrae zie-
hen Schweine keinen Pflug, liefern weder Wolle noch Milch oder Eier
für die menschliche Ernährung. Und so fragt Harris ganz richtig, was
würden Schweine einem wanderndem Hirtenvolk wie den Beduinen
nützen? Schweinefleisch mag eine leckere Versuchung sein, doch
Schweine in der Wüste zu halten wäre töricht. Und so macht es Sinn,
sie mit einem religiösen Tabu zu belegen.
Lassen sich Nahrungstabus auf schlichte wirtschaftliche Gründe
zurückführen? Ja und nein. 30 Prozent aller Kühe auf dieser Welt sind
in Indien zu Hause, wo sie lange, aber nicht immer glücklich leben.
Natürlich ziehen sie Pflüge, geben Milch und erzeugen Dung. Doch
viele von ihnen durchstreifen kränklich und abgemagert auf verzwei-
felter Suche nach Nahrung die Dörfer. Aber die Hindus glauben, dass
Rinder auf der Leiter zum Nirvana nur eine Stufe unter dem Men-
schen stehen. Wer eine Kuh tötet, geschweige denn isst, rutscht
ab ans untere Ende des Aufstiegs zum Paradies. Also lässt der
gläubige Hindu die Finger vom Rindfleisch. Am Anfang mag das Ver-
bot, Rindfleisch zu essen, allein wirtschaftlich begründet gewesen
sein. Doch am Hinduismus könne man sehen, so Harris, »dass
eine Religion an Kraft gewinnen kann, wenn sie die Menschen bei
Entscheidungen unterstützt, die bestehende Bräuche bewahren, die
aber nicht einleuchtend genug sind, um Zweifel und Versuchungen
auszuschließen«.
Dies mag teilweise erklären, wieso es kaum religiöse Vorschriften
gegen das Essen von Insekten gibt. Tatsächlich sind die Vorbehalte
von Europäern und Amerikanern gegen den Verzehr von Kerbtieren
eher die Ausnahme als die Regel. Die Ureinwohner Amazoniens es-
sen Larven und Maden, chinesische Bauern lieben Seidenraupen,
und für die Bewohner des Mekongdeltas sind dicke, saftige
Wasserkäfer ein Leckerbissen. Ich selbst habe knusprig-salzige
Heuschrecken auf dem Markt von Oaxaca in Mexiko gekostet.
Insekten gibt es fast überall, sie sind leicht zu fangen und reich an
Eiweiß. Doch sie stechen, quälen und töten unser Vieh – das mag
erklären, weshalb die meisten Europäer und Amerikaner Angst
vor Insekten haben, sodass es gar nicht infrage kommt, sie zu
essen. Harris schreibt: »Da wir sie nicht essen, können wir in ihnen
das Böse schlechthin sehen – Feinde, die uns von innen angreifen –
und sie zum schrecklichen Inbegriff von Schmutz, Abscheu und
Krankheit machen.«
Natürlich gilt das Sprichwort: »Des einen Speise ist des anderen
Gift.« Dennoch wird nicht ganz klar, warum wir etwas für tabu erklären.
Wie können wir Westler den Verzehr von Lämmern und Ferkeln
rechtfertigen und zugleich weniger liebenswerte Tiere wie Wasser-
käfer und Maden verabscheuen? Wirtschaftliche Gründe liefern keine
Erklärung – Insekten gibt es jedenfalls umsonst. Auch religiöse Vorbe-
halte taugen nicht dazu – schließlich werden im alten Testament
Käfer und Heuschrecken gegessen. Nein, da spielt noch etwas
Rätselhaftes mit, das keiner wirklich belegen kann … Nennen wir es
einfach Geschmack.
Von links nach rechts: Hühnerfüße und -köpfe
auf dem Markt von Sonargaon, Bangladesch. Ein
beim Opferfest geschlachteter Stier in Dhaka,
Bangladesch. Ein gebratener Hund auf dem Cho-Chau-
Long-Markt in Hanoi, Vietnam. Kopf und Füße eines
Schweins auf dem Markt von Cuernavaca, Mexiko.
Lebende Sagomaden aus einem verrottenden
Palmenstamm in Komor, Papua. Eine Kuh auf der
Straße bei Manikarnika Ghat, Varanasi, Indien