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offenen Feuer gekocht. Gelegentlich grillt sie
dort die Fische, aber meistens werden sie mit
Zwiebeln und Knoblauch pochier t. In der
Mangosaison füllt sie die Fischköpfe mit einer
grünen Frucht. Bohnen gibt es täglich, Solange
reicht dazu abwechselnd Reis und Nudeln. Alle
Gerichte werden großzügig mit grobem Maniok-
mehl bestreut, wie fast überall in Brasilien. In
der Regenzeit kocht Solange drinnen auf einem
Propangasherd – dem ersten Herd ihres Le-
bens, vor fünf Jahren gekauft.
An Schultagen zündet die 49-jährige Groß-
mutter vor Tagesanbruch eine Petroleumlampe
an und bügelt mit einem schweren, auf dem
Herd erhitzten Eisen für ihre drei Enkelkinder
frisch gewaschene Schulkleidung; dann macht
sie Frühstück für das verschlafene Trio: ge-
kaufte Kekse mit Butter und Kaffee mit Milch-
pulver. Während die Kleinen essen, liest sie ih-
nen aus der Bibel vor. Manchmal macht sie
morgens einen Maiskuchen, in einer von Fran-
cisco aus einer Konservendose gebastelten
Form gedämpft. Und dann gibt es immer die
Früchte der Saison aus eigenem Anbau: Man-
gos und Orangen, Guaven, Mandarinen, Para-
nüsse und Cashews, und die Palmfrüchte
Tucuma, Acai und Cupuacu.
Der zehnjährige Iran junior, der achtjährige
Italoo und die siebenjährige Iris sind die Kinder
ihres Sohnes Iran, der in Caviana lebt, wo er als
Agent arbeitet und in größeren Städten Preise
für auf dem Land der Familie geschlagenes
Tropenholz aushandelt. Und er verkauft Para-
nüsse, die sein Vater und seine Kinder gesam-
melt haben. Und da ist noch der neueste Zu-
wachs der Familie: die 17-jährige Irlene, die als
Kindermädchen ins Haus kam und jetzt mit
Irans viertem Kind schwanger ist – ein heikles
Thema, das Solange tunlichst meidet.
Während Iris ihren Milchkaffee schlürft,
ruhen ihre Füße auf dem Panzer einer am
Tischbein angeleinten Flussschildkröte. Die
Großmutter will das Tier im kommenden Mo-
nat als Festschmaus braten, zum Geburtstag
eines weiteren Enkels, des dreijährigen Soh-
nes ihrer Tochter. Leere Schildkrötenpanzer
liegen in der Küche herum, Erinnerungen an
vergangene Geburtstagsfeste.
Nach dem Frühstück schultern die Kinder
ihre Rucksäcke und gehen die steile Böschung
zum Fluss hinunter, vorbei an zwei Hunden mit
Verletzungen durch Schlangenbisse, um ein
Kanu mit Außenbordmotor zu besteigen. Hoch
an Büschen und Bäumen hängen vertrocknete
Grasbüschel – Spuren des höchsten Wasser-
standes des Flusses. Jetzt ist Trockenzeit am
Amazonas. Während der Regenzeit, etwa von
Januar bis Mai, steigt das Wasser um 12 bis 15
Meter, und die Boote können direkt vor der
Haustür festgemacht werden.
Nach dem Frühstück der Erwachsenen und
einer weiteren Bibellesung bricht Francisco zum
Fischen auf. Was hat Irlene vor, während ihre
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sagt Francisco, und alle lachen. Außer Irlene.
Solange hat, sagt sie, zwei große Freuden
im Leben: die Enkel und die Frauengruppe in
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Sie und die Kinder fahren jeden Samstag ins
Dorf zum Gottesdienst mit anschließender Bi-
belstunde. Das ist für sie auch die einzige Gele-
genheit in der Woche, Freunde zu treffen.