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M A H L Z E I T
In den frühen Morgenstunden isst er Scho-
kolade, um wach zu bleiben, und nach der Ar-
beit fährt er eine Stunde nach Hause – zum
Glück mit dem firmeneigenen Fahrdienst. Der
Weg in die Firma während der abendlichen
Rushhour dauert doppelt so lange.
Zu Hause pflegt Shashis Mutter Sumithra
Chandra die Küche ihrer Heimatstadt Manga-
lore an der Westküste Südinidiens – scharf und
süßsauer, oft mit Kokosnuss. Meistens gibt es
Sambar, einen scharfen Eintopf aus gelben Lin-
sen und Gemüse, der viel Arbeit macht: Zwei-
mal werden dafür scharfe Chilischoten und
Gewürze im Öl angeschwitzt. Dazu gibt es Reis
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GENAUä ZUBEREITETi äSAGTäER ä w)CHäWEIäESäECHTä
nicht. Ich esse es einfach.«
Mutter und Sohn sind Hindus, aber keine
Vegetarier. An zwei Tagen der Woche verzichten
sie jedoch zu Ehren einer Gottheit auf Fleisch.
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der Sohn.
Wenn er morgens um acht von der Arbeit
kommt, steht das Frühstück bereit: Idli – mit
Hefe gebackene Küchlein aus Linsenmehl –
mit Chutney und Gemüsecurry; oder eine wür-
zige Eierspeise und Chapatis. Nach dem Früh-
stück geht Shashi schlafen, Mittagessen gibt
es um 16 Uhr, um 17.30 Uhr wird er vom Fir-
menshuttle abgeholt. Neben arbeiten, essen
und schlafen und ein oder zwei freien Tagen die
Woche bleibt kaum Zeit für anderes. Wann trifft
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schen Feiertagen habe ich frei«, sagt Shashi,
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Tagen übernachtet er bei Kuldeep.
Heute gibt es zum Mittagessen Sambar mit
Hühnerspießen und Reis. Shashi zappt sich
beim Essen durch englischsprachige TV-Kanäle
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sen«, sagt die Mutter. Er lacht und entgegnet:
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Zum Nachtisch gibt es Halva, türkischen
Honig. Sumithras Rezept basiert auf geschab-
ten Möhren, die mit Butterschmalz und Zucker
karamellisiert werden. Sie erhitzt das Fett, gibt
die Möhren dazu und kocht sie zu einer Paste
ein. Dann kommen heiße Milch und grober
Zucker dazu, und das Ganze wird gekocht, bis
es braun wird; schließlich hebt Sumithra zersto-
ßenen Kardamom und Cashewkerne, Pistazien,
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DAVONä NICHTSi ä SAGTä 3HASHI ä w7ENNä ICHä DIEä
Küche betrete, gibt’s Chaos, da bleibe ich lie-
ber draußen.« Was gibt es, wenn die Mutter
demnächst ihre Schwester in Kuwait besucht?
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das bloß nicht meiner Mutter.«
Bevor er zur Nachtschicht im Callcenter abgeholt wird, genießt Shashi das von seiner
Mutter zubereitete späte Mittagsmahl und schaut dabei MTV (unten). Er liebt die klassische
indische Küche zu Hause, doch bei der Arbeit ernährt er sich in den Lokalen im Erdgeschoss des
Büroturms am Stadtrand von Bangalore von amerikanischem und chinesischem Fastfood. Um
zur Arbeit zu pendeln, nutzt er den Firmen-Shuttledienst, in seiner Freizeit fährt er den Motorroller,
den er hier vor dem Haus parkt. Dort wohnt er mit seiner Mutter (oben). Ein Hindupriester
gießt ein Butterschmalzopfer ins Feuer im Shivatempel an der Old Airport Road (rechts).
Eine 20 Meter hohe Gipsstatue des Gottes Shiva im Lotussitz vor einer Himalaja-Landschaft
aus Maschendraht und Beton ist eine Attraktion des Kids-Kemp-Einkaufszentrums – an
Festtagen pilgern bis zu 50000 Gläubige hierher
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