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M A H L Z E I T
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Der Mann auf der Straße
NEW YORK
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Sikorski in Manhattan, und doch ist jeder Tag
irgendwie gleich: der Kampf ums tägliche Brot,
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sich sorgfältig an, ganz bewusst, obschon er
seit über zehn Jahren auf der Straße lebt. Wie
kam es dazu? »Ich habe meinen Job verloren
– und dann von meinen Ersparnissen gelebt,
bis sie aufgebraucht waren.« Was für ein Job
das war, will er nicht sagen, verrät immerhin,
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aber nicht in die Geschichte einsteigen«, sagt
er. Und sein Alter mag er auch nicht angeben,
wegen der verlorenen Jahre.
Er hasst das Wort »obdachlos«, umschreibt
den Begriff lieber mit »weniger glücklich«. Er
fällt in der Stadt nicht auf, weil sein Haar or
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los wie die eines Bankers an seinem freien
Tag. Wer ihm begegnet, würde nicht vermuten,
dass er seit über einer Stunde unterwegs zu
einer Waschgelegenheit ist, von der er weiß,
dass man ihn dort nicht abweist. Er lagert
seine Sachen in mehreren Schließfächern.
Wovon er sie bezahlt, will er nicht sagen, nur
so viel, dass er nicht bettelt.
Wo schläft er? »Überall und nirgendwo. Im
Sommer manchmal auf der Straße oder in einer
Bodega, manchmal auch oben beim Central
Park.« Wo hat er die vergangene Nacht ver
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ten beim Umgang mit der Bürokratie der Stadt
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reich um Dienstleistungen an wohnsitzlosen
Mitbürgern bemüht.
Er kennt die meisten Armenspeisungen der
Stadt sehr gut und arbeitet bei der mit, die er
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küche in Chelsea, wo man an jedem Werktag
Tausende von Mahlzeiten ausgibt, ohne die
Bedürftigkeit der Empfänger zu prüfen.
Die von Chefkoch Chris O’Neill und seiner
Crew aus Profis und Freiwilligen servierte Kost
ist ausgewogen: Pasta mit Fleisch, frisches
Gemüse, Obst aus der Dose, Nachtisch, Brot
und Butter. »Das Essen ist sehr gut«, sagt Ted,
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keit und die fürsorgliche Atmosphäre.
»Als ich noch Erspartes hatte, also bevor
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einmal die Woche eine ordentliche Mahlzeit,
und zweimal am Tag kochte ich mir einen Topf
Reis … Das war, bevor ich die Suppenküchen
entdeckt hatte. Ich traute mich erst gar nicht
hinein, weil ich Angst hatte, sie würden mich
abweisen. Dann bin ich gekommen, und keiner
hat was gesagt. Ich bekam einfach zu essen.
Hätte ich das gewusst, wäre ich schon ein paar
Jahre früher gekommen«, sagt er.
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Problem. Jeder muss im Leben seinen eigenen
Kampf ausfechten. Ich hätte nie gedacht, dass
es mit mir so weit kommen würde. Die ersten
sechs Monate waren die schlimmsten. Ich
dachte, es würde nur ein paar Monate dauern.«
MORGENMAHLZEIT, WENN ER GELD HAT
Bananen (4), 730 g
WARMES MITTAGESSEN AUS DER HOLY-APOSTLES-SUPPENKÜCHE
Pasta, Bohnen und Würstchen
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s
Kohlblätter, 42 g
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Salat aus Kopfsalat, Tomaten, Zwiebeln und
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s
Brot mit Butter, 80 g
SNACKS, WENN ER GELD HAT
Milch mit 2 % Fett, 0,9 l
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IM LAUFE DES TAGES
Leitungswasser, 1,2 l
KALORIEN
2300
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Gewicht: etwa 76 kg
*Sikorski wollte sein Alter nicht angeben.
USA
EINE TAGESRATION
IM JULI