Level 3 (Einleitung)
Homokumulat
Schwierigkeiten mit dem Einstieg
Der Grundtext des vorliegenden Buches entstand zwischen 1972 und 1989. Sein erstes Kapitel (»Theorie des Homokumulats«) bzw. eine nur unwesentlich andere Fassung dieses Kapitels erschien in der Übersetzung bereits 1986, der gesamte Text in Buchform 1993. Heute ist das Werk für mich schon ein historisches Dokument, an dem ich bei allen inzwischen bemerkten Unvollkommenheiten nichts mehr ändern möchte.
Was meiner Arbeit wahrscheinlich am meisten fehlt, ist der große Überblick und die Fähigkeit, dem Leser von einer souveränen Position aus zu erklären, was ich eigentlich behaupte und warum. Aber vielleicht beherrsche ich den Meta-Diskurs über meinen Diskurs inzwischen etwas besser; jedenfalls ist diese Einleitung ein Versuch, das seinerzeit Versäumte wenigstens zum Teil nachzuholen.
Besonders deutlich werden die eben erwähnten Mängel bei der Definition des Grundbegriffs. Die ersten Seiten sind zweifellos einer der schwächsten Punkte meines Werkes, der am dringendsten einer Ergänzung bedarf – nicht so sehr, weil ich dort grobe Irrtümer zu berichtigen hätte, sondern vor allem wegen der Knappheit der Darstellung, die in keinem Verhältnis zu meiner Beredsamkeit bei den meisten konkreteren Ableitungen steht. Offenbar war ich damals erst bis zu einem gewissen Grad in der Lage, meine zentrale Idee in Worte zu fassen, obwohl sie mir intuitiv klar war. Aber daß sich Fundamentalien trotz oder vielmehr gerade wegen ihrer Einfachheit der Reflexion besonders hartnäckig entziehen, ist ja an sich nichts Neues.
Selbstverständlich wird man mich fragen, warum ich das Problem nicht auf die naheliegendste, allgemein übliche Art gelöst habe, nämlich durch Berufung auf irgendeine Autorität. Darauf werde ich antworten, daß ich die ganze Zeit auf der Suche war (und noch immer bin) nach solchen behaglichen Fittichen und daß ich zu diesem Zwecke Hunderte von Büchern durchgesehen, aber bisher leider niemanden gefunden habe, keinen einzelnen Autor und noch weniger eine Denkschule, an die ich mich in meinem ersten Satz anlehnen könnte. Wenn es also ähnliche Überlegungen irgendwo geben sollte, dann haben sie sich jedenfalls noch nicht sehr weit herumgesprochen.
Namen nennen ließen sich natürlich trotzdem, doch würde ich mit ihnen zwei Arten von unerwünschten Wirkungen auslösen. Ein Beispiel für die erste: manch einer dürfte sich bei meinen Analysen an strukturalistische erinnert fühlen. Aber mein Ziel ist mit dem des Strukturalismus grundsätzlich unvereinbar, und darum würde das Erwähnen seiner Vertreter bei noch so rascher Distanzierung falsche Leser anlocken und in ihnen Erwartungen erwecken, die ich nicht erfüllen kann, während sich die richtigen womöglich sofort abwendeten – was ich sicher nicht anstrebe. Wo aber kein solches Mißverständnis droht, bleibt ein anderes Dilemma, das sich vielleicht am besten anhand der bekannten Gleichungen Schönheit = Ordnung und Ordnung = Redundanz veranschaulichen läßt. Im Gegensatz zu strukturalistischen Aussagen vertragen sich diese beiden ganz gut mit meiner Hypothese; theoretisch könnte man sie sogar aus ihnen ableiten. Allerdings würde das eine ganze Menge geistiger Arbeit erfordern, und davon vermitteln sie dem Leser nicht die geringste Vorstellung, sondern stempeln mich eher zu einem langweiligen Wiederkäuer uralter Weisheiten ab, woran mir ebenfalls nicht sehr viel gelegen sein kann.
Gewiß, wer den Leuten erzählt, er hätte ein neues Motiv entdeckt für das menschliche Verhalten, der betreibt etwas, was man nicht anders nennen kann als Motivationspsychologie. Aber auch dieses Etikett verschweigt das Entscheidende, nämlich die große Entfernung zwischen meiner Arbeit und allen gängigen Spielarten des psychologischen Diskurses. Ich rede zwar über Dinge, die aus einer anderen Perspektive sicher schon von vielen angeschnitten worden sind, und manche einzelne Feststellung lautet bei mir genauso wie dort, doch wird sie bei mir in einen Zusammenhang gestellt, der von der ersten bis zur letzten Seite einzigartig und nur mein zu sein scheint. Man könnte sagen, daß ich in die Motivationspsychologie einen völlig neuen Typ der Phantasie einführe, eine Vorstellungswelt, auf die bisher meines Wissens noch kein Mensch verfallen ist; die ganze Art meines Werkes hat einfach nichts zu tun mit dem Prinzip der variierenden Nachahmung bestimmter feststehender Denkmuster, sondern es handelt sich um eine typische Konstruktion »aus dem Nichts« oder genauer gesagt nur aus Elementen des breitesten Allgemeinguts, so vermessen eine derartige Behauptung am Ausgang des 20. Jahrhunderts auch klingen mag.
Infolgedessen erweckt die Theorie des Homokumulats den Eindruck eines in sich geschlossenen Kreises, und damit wird die Frage, wie ich den Leser in diesen Kreis einführen soll, besonders dringlich. Im Grundtext habe ich mich für einen streng abstrakten, deduktiven Einstieg entschieden, doch der ist wahrscheinlich für die meisten Gemüter zu schroff und bringt ihnen die Sache kaum näher. Darum möchte ich es hier mit einer kurzen Beschreibung jenes mehr oder weniger zufälligen Weges versuchen, auf dem ich so ganz im Alleingang zu der genannten Theorie vorgedrungen bin. Natürlich kann ich aber nicht erzählen, wie sich das ganze wirklich zugetragen hat, denn ein Bericht über mein verzweifeltes Wühlen in Bergen von Formulationsschlacke wäre wohl nicht sehr erbaulich; in Betracht kommt nur eine stark vereinfachte und idealisierte pädagogische Version der Geschichte.
Als Student der Literaturwissenschaften kam ich mit der formalistischen Ästhetik in Berührung und lernte verschiedene Eigenschaften kennen, die nach der Meinung dieser Schule der Grund sind, warum uns etwas gefällt. Ich muß aber gleich gestehen, daß mich die von der hohen Theorie bevorzugten Begriffe wie z.B. Ebenmaß oder Einheit-in-der-Vielfalt nicht sonderlich beeindruckten. Schon etwas mehr anzufangen wußte ich mit dem Paar Wiederholung/Kontrast, das eher als ein praktisches Hilfsmittel der Kunstbetrachtung fungiert. Am nützlichsten erwies sich jedoch bei der Begründung von konkreten ästhetischen Urteilen ein anderes, theoretisch noch weniger ausgewertetes Paar, nämlich Intensität und Reinheit, das ich auch früh als ein ungelöstes Problem aufzufassen begann.
Eine Art Ausgangspunkt meiner Reise ins Ungewisse war dann die Frage, wieviele derartige Begriffe es eigentlich gibt. Vielleicht nahm ich dabei ursprünglich an, es handelte sich um eine begrenzte Liste und ich könnte sie mit entsprechendem Fleiß komplettieren, doch erwies sich diese Vorstellung bald als eine Illusion; der einzige passende Rahmen für solche Eigenschaften war offenbar der einer offenen Klasse, in die man ohne Vorurteile einreihen mußte, was immer ihren Merkmalen entsprach. Aber welche Merkmale waren das? Am Anfang konnte ich natürlich nur eine verschwommene Ähnlichkeit in Substanz und Wirkung erkennen und mußte mich im übrigen ganz auf meine Intuition verlassen. Also spannte ich zwischen den Ecken Reinheit-Intensität-Kontrast-Wiederholung gewissermaßen ein Netz aus und wartete ab, was sich darin fangen würde.
Bis hierher erinnert noch alles an Ästhetik, doch der eigentliche Gegenstand meiner Neugier war von allem Anfang an nicht das Schöne »an sich«, sondern der Mensch; das Schöne interessierte mich nur als eine von seinen zahlreichen Manifestationen. Deshalb hatte die traditionelle, ohnehin nicht sehr feste Grenze des ästhetischen Bereichs für mich keine Bedeutung und ich zögerte nicht, sie zu überschreiten, wenn sich das beobachtete Phänomen jenseits von ihr fortzusetzen schien. Das geschah nämlich sehr oft und legte den Schluß nahe, daß man die untersuchten Eigenschaften im Prinzip als allgemeingültige Motive behandeln muß, die imstande sind, nicht nur ein ausgesprochen ästhetisches Gefallen, sondern auch verschiedene andere, mehr oder weniger ähnliche Varianten eines sogenannten konsummatorischen Aktes auszulösen. Demzufolge gehörten aber wiederum auch solche Eigenschaften, auf die nur das letztere zutraf, möglicherweise mit zu der Gesellschaft. Und das ganze war eindeutig Psychologie.
Was unter diesen Rahmenbedingungen bei meiner Exploration herauskam, überraschte mich nicht wenig. Es tauchten etliche neue Begriffe auf, die sich im Abstraktionsniveau mit meinen Ausgangsmustern vergleichen ließen (der Grundtext kennt neun solche »primäre Aspekte« oder »Aspekte erster Ordnung«: Menge, Extensität, Reinheit, Lückenlosigkeit, Exaktheit der Wiederholung, Intensität, Dichte, scharfe Kontur und Kontrast, aber auch diese Zusammenstellung ist vielleicht noch nicht vollständig), und weiter unten wimmelte es nur so von kleineren Fischen. Es war fast, als hätte ich unvorsichtig eine Schleuse geöffnet und wäre von den dahinter aufgestauten Wassermassen weggeschwemmt worden, und von da an war es mein Problem vor allem, wie ich der Vielfalt Herr werden könnte.
Hier will ich zunächst einen Sammelbegriff einführen, auf den ich im Grundtext merkwürdigerweise nicht gekommen bin, der es aber gestattet, den ganzen entdeckten Reichtum ohne einen besonderen terminologischen Apparat und damit auf leicht verständliche Art und Weise einzuzäunen und gegen andere, nicht mehr dazugehörende Erscheinungen abzugrenzen: was gefällt oder eine dem ähnliche Konsummationshandlung in Gang setzt, sind nach meinem Befund alle steigerungsfähigen Phänomene, die diese Fähigkeit auch gründlich genug ausnutzen.
So weit, so gut, aber was bedeutet eigentlich »Steigerung«? Ich meine, worin besteht das allgemeine, abstrakte und allen konkreten Erscheinungsformen gemeinsame Wesen eines solchen Vorgangs? Darüber schweigen sich unsere Bibliotheken aus: eine genauere theoretische Durchleuchtung des Begriffs erscheint ihnen ganz offensichtlich überflüssig, denn es versteht sich ja von selbst, was mit dem Wort gemeint ist – und Selbstverständlichkeit ist der Tod aller Reflexion. Ungefähr an dieser Stelle riß die Nabelschnur, die mich mit der Tradition verband, endgültig ab; von nun an war ich nur noch auf mich selbst angewiesen.
Wenn ich mich vorerst auf das nackte Skelett meiner Antwort beschränke und mir alle Einzelheiten für später aufhebe, kann ich folgendes sagen: analytisch, d.h. in kleinere Stücke zerlegt läßt sich Steigerung nur so vorstellen, daß dabei das am Anfang gegebene Quantum eines bestimmten Sachverhaltes durch neue, zusätzliche Portionen genau desselben Sachverhaltes vergrößert wird. Oder strenger ausgedrückt, Steigerung ist Anhäufung von Gleichem. Nun heißt aber »gleich« auf griechisch homos und »anhäufen« auf lateinisch cumulare, und damit gelangen wir auf einem kleinen Umweg dennoch zum Angelpunkt meiner ganzen Theorie, nämlich zum Begriff des Homokumulats als dem Endprodukt meiner Suche nach einem gemeinsamen Nenner, der die beobachteten Eigenschaften genauer und enger definieren würde als der verhältnismäßig vage Rahmen der »Form«.
Zu dieser Definition nachzutragen sind höchstens ein paar Worte über die Natur der Gleichheit. Zwei Sachverhalte lassen sich theoretisch in unendlich vielen Richtungen miteinander vergleichen, und dabei stellt sich vermutlich äußerst selten oder sogar nie heraus, daß sie sich wirklich in allen Parametern decken. Die Gleichheit muß man also grundsätzlich als eine Komponente auffassen, die jedoch sehr oft von der Wahrnehmung privilegiert wird, was sich insbesondere darin zeigt, daß viele »kleinere« Unterschiede einfach übersehen werden. Wenn aber so etwas nicht möglich ist, weil die andere Komponente, nämlich die der Verschiedenheit, zu sehr ins Auge springt, dann wird die Bevorzugung durch einen Ähnlichkeitsbefund ausgedrückt. Ich verwende in meinen Analysen statt dessen freilich lieber die Bezeichnung »Teilwiederholung«, weil sie schon mit andeutet, daß man die Ähnlichkeit stets auf eine Kombination von gleichen und verschiedenen Elementen oder Aspekten zurückführen kann.
Der Anteil der Gleichheit an einem solchen Relationspaket ist manchmal recht klein, und es ist wichtig zu betonen, daß Einschränkungen dieser Art nach meinen Beobachtungen den hier untersuchten Verhaltenseffekt nicht von vornherein ausschließen. Deshalb gilt die Regel: eine Anhäufung von Gleichem ist im Prinzip jede Gruppe von Dingen, die mindestens eine gemeinsame Charakteristik aufweisen (d.h. jede hinreichend stark besetzte logische Klasse oder Cantorsche Menge), auch wenn sich die Charakteristik so schwach auswirkt, daß sie nicht einmal zu einem Ähnlichkeitsurteil führt, wie z.B. bei einer räumlich-zeitlichen Koinzidenz oder einem einheitlichen Zweck von an sich verschiedenen Dingen. Ja es gibt sogar ein »paradoxes« Homokumulat, bei dem das Identische nur darin besteht, daß sich jede Einheit des Haufens konsequent von jeder anderen unterscheidet. Allerdings sind das Grenzfälle, die ich vor allem der Vollständigkeit halber erwähne.
Ist das wirklich eine Anhäufung von Gleichem?
In einem gewissen Sinne ist also das vorliegende Buch ein Traktat über die Gleichheit, und Gleichheit ist eine Materie, über die uns höchstens die Logik oder die Mathematik was Sinnvolles sagen kann. Daher übrigens auch der Titel des Buches, obwohl die Bezeichnung »Mathematik« manch einem zu pompös vorkommen dürfte, denn im Grunde ist der Zusammenhang, auf den ich aufmerksam machen will, fast beschämend einfach und bar jeder Tücke. Aber der Umstand, daß ich so spät anscheinend als erster dieses ganze Geflecht von Beziehungen entdeckt habe und daß sie auch mir so lange nicht richtig bewußt werden wollten, spricht dafür, daß es dabei doch irgendeinen Haken gibt; und jeder Beobachter wird meine Schwierigkeiten leicht verstehen, weil auch er nicht gewohnt ist, konkrete Steigerungsfälle auf ihr abstraktes Wesen zu reduzieren – vermutlich wird mein Vorschlag anfangs sogar vor allem sein Mißtrauen erwecken. Deshalb möchte ich hier zunächst am Beispiel der primären Aspekte etwas ausführlicher als im Grundtext demonstrieren, daß es sich dabei tatsächlich nur um verschiedene Gesichter der Anhäufung von Gleichem handelt, und dadurch zugleich dem Leser jenen Phantasietypus vorstellen, von dem meine Hypothese lebt.
Ia. Bei der Menge als der am leichtesten nachvollziehbaren Art der Anhäufung ist die Sache zwar wahrscheinlich auch ohne besondere Erläuterungen klar. Bei mir ist nämlich der Begriff reserviert für jene Haufen, die man unmittelbar als solche erkennen kann, weil sie sich aus mühelos trennbaren Einheiten zusammensetzen. Bedingung dafür ist allerdings ein Unterschied oder ein Abstand zwischen dem Ende jeder Einheit und dem Anfang der nächsten, also schon eine gewisse, wenn auch minimale Komplexität. Deshalb kann die Menge nicht die elementarste Grundform der Homokumulation darstellen; näher kommen diesem Status zwei andere Gegebenheiten.
Eine davon ist die Intensität. Intensionale Effekte fangen für uns dort an, wo die Abstände zwischen den Einheiten der Anhäufung unter Null sinken und sich die Einheiten zu überlagern beginnen; seine klassische Form erreicht das Phänomen aber natürlich, wenn sich der ganze Haufen zumindest für unser Unterscheidungsvermögen räumlich, zeitlich usw. in einem einzigen Punkt zusammenballt. Damit wird auch schon die für einen solchen Haufen spezifische Verwicklung sichtbar: seine kumulative Struktur ist nicht unserer unmittelbaren Beobachtung zugänglich, und folgerichtig neigen wir dazu, ihn als etwas Kompaktes, Unzusammengesetztes zu erleben. Doch dieser Eindruck auf der Meta-Ebene der naiven Selbstbetrachtung besagt noch gar nichts darüber, wie dieselbe Information in tieferen Schichten unseres Gehirns verarbeitet wird. Er schließt eine analytische Vorgangsweise nicht nur nicht aus, bei vielen Operationen (unter anderem z.B. bei jedem Vergleich) ist sie sogar unumgänglich. Und was kommt heraus, wenn man die Intensität in kleinere Stücke zu zerlegen versucht? Da gibt es keine große Wahl – erstens müssen die Stücke wenigstens in jenem Aspekt ihrer Substanz, der zu ihrer Verschmelzung führt, auf jeden Fall einander gleichen, und zweitens erzwingt die Logik der Analyse früher oder später sogar eine mehr oder weniger standardisierte, d.h. ausgeglichene Größe der Einheiten!
Zumal bei einfachen Sinneseindrücken steht auch fest, daß die neurophysiologische Realität unsere Voraussage bestätigt: intensive Reize dieser Art werden in der Tat als sich überstürzende Anhäufungen von gleichen Impulsen wiedergegeben.
In scheinbarem Gegensatz zur Intensität thematisiert die Extensität gerade das, was die erstere ausklammert, nämlich die Ausdehnung in einer oder mehreren Dimensionen. Natürlich braucht das abstrakte Wesen der Ausdehnung einen konkreten Anlaß (z.B. ein perzeptorisches Ereignis), der es aktualisieren wird, doch tatsächlich berücksichtigt werden dabei nur die äußersten Ränder des Ereignisses als Grenzsteine seiner Extension, während alles dazwischen übersehen wird – es sei denn, das ganze Ereignis ist eine getreue Abbildung des abstrakten Wesens der Ausdehnung, was sich in Ansätzen schon bei seiner Ununterbrochenheit abzuzeichnen beginnt, noch besser aber logischerweise bei absoluter innerer Monotonie des Ereignisses zur Geltung kommt. Und in einem solchen Extremfall wird besonders deutlich, daß man bei der Extensität einer ähnlichen Täuschung wie oben unterliegen kann: sie scheint dem Beobachter in ihrer Reinform, also ohne das gliedernde Nebenelement der Mengenartigkeit, wieder keine »natürlichen« Anhaltspunkte für eine analytische Unterteilung zu bieten. Aber im Hintergrund walten genau dieselben Zwänge wie bei der Intensität, und auch diese Eigenschaft kann man sich in feinerem Raster nur als eine Anhäufung von Gleichem vorstellen.
Ib. Kennzeichnend für die bisher erörterten Spielarten der Homokumulation war der Umstand, daß sich ihre Expansion gleichsam nach außen richtet und neue Einheiten jenseits des bestehenden Haufens an ihn anzuhängen versucht. Dabei stößt man innerhalb der Grenzen des Haufens interessanterweise oft auf fremdartige Einschlüsse, die dort laut Definition nichts zu suchen haben und doch niemanden stören, weil sie einfach »nicht zählen«. Was diese sorglose Haltung ermöglicht, ist der psychische Zusammenhalt des Homokumulats, der offenbar eine beträchtliche, wenn auch nicht unbegrenzte Menge eingeschobener Ungleichheit zu überbrücken vermag. (Die äußersten Formen dieser Erscheinung beschreibt der Begriff der intermittierenden Rekurrenz.) Doch kann sich die beobachtete Tendenz auch nach innen wenden, vor allem extensional, und sich zum Ziel setzen, solche Einschlüsse möglichst zu entfernen. Die unmittelbare Folge ist eine Reduktion, die auf den ersten Blick nichts zu tun haben kann mit Anhäufung als Vermehrung. Aber selbst wenn die abweichenden Elemente nicht sofort durch definitionskonforme ersetzt werden, wird das Homokumulat durch derartige Interventionen zumindest »prozentual« größer – was erfahrungsgemäß mit einem starken Zuwachs an Auffälligkeit verbunden sein kann –, also dient auch dieses Verfahren auf andere Weise demselben Zweck.
Die einfachste Erscheinungsform der Abweichung sind positive Fremdkörper, deren Beseitigung die Reinheit der Anhäufung erhöht. Hier möchte ich nochmals darauf hinweisen, daß der Haufen bei einer lockeren Definition der Gleichheit recht verschiedene Einheiten enthalten und trotzdem als hundertprozentig rein gelten kann, obwohl jede solche Definition Elemente angeben muß, die bei aller Liberalität mit ihr unvereinbar bleiben. Besonders paradigmatisch sind aber natürlich betont exklusive Varianten der Reinheit, bis hin zu der oben erwähnten Monotonie.
Ein Sonderfall der Verunreinigung liegt vor, wenn es an einer Stelle, wo wir gemäß dem Algorithmus der Anhäufung auf eine Einheit dieser Anhäufung stoßen müßten, wenigstens nach unserem subjektiven Empfinden überhaupt nichts gibt. Die Auffüllung derartiger Löcher (wohlgemerkt mit den richtigen Einheiten) ist eine Voraussetzung für die Lückenlosigkeit des Homokumulats.
Und schließlich kann man sogar in der Ausdehnung als solchen eine Unreinheit erblicken – genauer gesagt: entweder in den Abständen zwischen den Einheiten oder in der Tatsache, daß sich die Einheiten nur zum Teil überlagern. Die Minimierung dieser beiden Komponenten vergrößert die Dichte der Anhäufung als eine mit extensionaler Beschränkung verbundene Abart der Menge, und ihr letztes Ideal ist offenbar makellose Kontinuität bzw. Simultanität; doch wenn sie es verwirklicht, löst sie sich auf in einfache Extensität (Intensität).
IIa. Allen bis jetzt aufgezählten Aspekten ist aber noch immer eines gemeinsam: als Einheit ihrer Anhäufung kann ein in sich ungegliedertes Element fungieren. Daneben gibt es indessen auch solche Aspekte, bei denen sich diese Einheit nur als eine Relation zwischen zwei Elementen denken läßt.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Phänomen der exakten Wiederholung. Darunter verstehe ich eine solche Beziehung zwischen einer hinreichend komplexen »Vorlage« und ihrem »Abbild«, bei der jeder Einzelheit des einen Gebildes eine ganz bestimmte, eindeutig zuzuordnende Einzelheit des anderen entspricht, gewissermaßen als ihr natürliches Paar; mit ein wenig Phantasie könnte man sagen, daß sich zwischen der Vorlage und dem Abbild ein unsichtbares Netz von parallelen Korrespondenzlinien spannt. Dabei ist das, was die Linien miteinander verbinden, von Fall zu Fall recht verschieden: manchmal findet man an ihren Enden zwei identische Details, manchmal aber auch ein völlig ungleiches Paar. Aber wie immer das Verhältnis zwischen den beiden Einzelheiten auch beschaffen sein mag, auf jeden Fall muß es bei allen Paaren der einmal gewählten Regel treu, d.h. gleich bleiben – und diese Gleichheit, nicht der Elemente, sondern der Relation selbst, ist es, die durch ihre Anhäufung eine exakte Wiederholung konstituiert.
Die Homokumulation arbeitet also hier mit einem anderen Material, doch führt sie trotzdem zu grundsätzlich ähnlichen Ergebnissen wie oben. Das wichtigste Kriterium der Exaktheit der Wiederholung ist offenbar die Anzahl der korrespondierenden Einzelheiten (Menge/Dichte), ergänzend kommt aber noch hinzu, daß keine relevante Einzelheit der Vorlage ohne ihre Entsprechung im Abbild bleiben soll (Lückenlosigkeit) und daß andererseits auch das Abbild keine Einzelheiten enthalten darf, denen nichts in der Vorlage entspricht (Reinheit).
IIb. Exakte Wiederholung ist, was man bekommt, wenn man gleiche Relationen sozusagen parallelgeschaltet aneinanderreiht. Dadurch wird aber unser Blick ganz unwillkürlich auf die alternative Möglichkeit ihrer Reihenschaltung gelenkt, und sofort wird klar, daß uns diese Variante vielleicht noch aufregendere Perspektiven eröffnet. Sie zeigt uns nämlich einen Weg, wie man den Unterschied an und für sich – nicht jeden Unterschied, aber immerhin viele – analytisch aufspalten könnte, und ruft uns etwas in Erinnerung, was zwar im allgemeinen nicht unbekannt ist, im vorliegenden Zusammenhang aber doch irgendwie überrascht, nämlich daß sich sogar in der Veränderung Gleiches ansiedeln und anhäufen kann.
Leider läßt gerade die Behandlung dieses Themas im Grundtext besonders viel zu wünschen übrig. Diejenige Spielart der Veränderung, von der wir bei unseren Betrachtungen ausgehen sollten, weil sie uns den Sachverhalt am anschaulichsten vor Augen führt, wird dort überhaupt nicht eindeutig identifiziert. Der beste Name für sie ist vielleicht Kaskade. Eine Kaskade umfaßt einen Anfangszustand A, einen Endzustand B sowie eine Reihe von Zwischenstadien, die durch erkennbare Sprünge untereinander getrennt werden, aber trotzdem von A zu B zu »führen« scheinen. Analysiert man ein solches Gebilde als Form, kommt vertraut Klingendes zum Vorschein: alle Relationen zwischen seinen benachbarten Stadien enthalten substantiell dasselbe, nämlich die Figur des Wegrückens vom Zustand A in Richtung B bzw. umgekehrt, und auch der logische Drang zu ihrer annähernd gleichen Größe als Sprünge ist deutlich zu spüren. Hinzu kommt aber noch die Ähnlichkeit zwischen den benachbarten Stadien selbst – ja sogar die Eckzustände A und B müssen ein Minimum an Verwandtschaft bzw. Kommensurabilität aufweisen, also in bestimmten Elementen oder Aspekten einander gleichen, weil sonst keine Stufenleiter vom einen zum anderen denkbar wäre. (Dem widerspricht nicht, daß solche Leitern oft Gegensätzliches miteinander verbinden; ein Gegensatz drückt eben nahe logische Verwandtschaft aus.) Kurzum, die Kaskade ist ein Homokumulat mit vielen Gesichtern.
Verliert man das nicht aus dem Sinn, dann werden auch andere Varianten der Veränderung leicht durchschaubar. So können z.B. die eben geschilderten Sprünge derart klein ausfallen, daß sie sich unserem Unterscheidungsvermögen entziehen und wir nur noch ein Kontinuum, also einen stufenlosen Weg von A zu B wahrnehmen. Erst das ergibt einen echten fließenden Übergang, den ich im Grundtext noch nicht richtig von der Kaskade trenne (und übrigens auch nicht zu den primären Aspekten zähle). Die Kaskade ist eine weitere Unterform der Menge oder Dichte, deshalb tritt ihre kumulative Struktur deutlich hervor; der fließende Übergang hingegen erinnert eher an reine Extensität und hat auch mit demselben Problem zu kämpfen, nämlich daß er der naiven Beobachtung ungegliedert vorkommt. Doch analytisch kann man ihn nur als einen Sonderfall der Kaskade auffassen – darüber besteht wohl kein Zweifel.
Eine gewisse Rechtfertigung für seine Zurücksetzung im Grundtext sehe ich höchstens darin, daß für unser subjektives Empfinden sowohl die Kaskade wie auch der fließende Übergang seltene Nebenformen der Veränderung darstellen. In aller Regel vollzieht sich der Wechsel vom Zustand A zu B für uns in einem einmaligen Sprung. Dabei wird freilich das Innenleben des Unterschiedes rein introspektiv vollends unsichtbar und der Eindruck der Unzusammengesetztheit noch viel aufdringlicher. Aber wie bei der Intensität gilt, daß wir Unterschiede, deren analytische Aufspaltung möglich ist, vielfach weit unterhalb des Bewußtseins analysieren müssen, und obwohl wir in dem Fall keine Ahnung haben, wie sich so etwas neurophysiologisch abspielt, gibt es grundsätzlich auch hier keine andere Möglichkeit als die, den Sprung in kleinere Einheiten gleichen Inhalts und tendenziell gleicher Größe zu zerhacken. Das Ergebnis ist natürlich wieder eine Kaskade – also haben wir im Prinzip recht, wenn wir uns den Sprung als eine Zusammenziehung und Überlagerung aller Relationen zwischen den benachbarten Stufen dieser Kaskade in einem Punkt vorstellen. Die Kaskade und der fließende Übergang sind extensionale Gebilde, die abrupte Veränderung ein intensionales.
Geht es dabei um einen Punkt im physischen Raum und/oder der Zeit, der zwei unmittelbar angrenzende Zustände trennt und verbindet, dann führt eine Massierung der Relationseinheiten nach dem oben beschriebenen Muster zum äußeren Erscheinungsbild einer scharfen Kontur. Aber selbst diese, in einem gewissen Sinne noch immer handgreifliche Ausprägung des Sachverhalts ist für uns keine unerläßliche Bedingung und Stütze, weil wir auch nicht angrenzende Zustände in einem weitgehend verblaßten Punkt des abstrakten logischen Raumes nebeneinanderstellen bzw. bei angrenzenden von ihrer Berührung absehen können. Was unter solchen Umständen vom Sprung übrigbleibt, ist ein bloßer Kontrast. Der Kontrast ist also in meinen Augen gleichsam das letzte Derivat der Kaskade. Die Rückführung dieser Eigenschaft auf eine Anhäufung von Gleichem dürfte am meisten befremden, doch ihr liegen ähnlich zwingende Schlußfolgerungen zugrunde wie bei allen anderen hier erörterten Aspekten. Selbstverständlich muß aber der Kontrast bei einer derartigen Auslegung streng unterschieden werden von einem einfachen, nicht unterteilten Unterschied oder Gegensatz.
Einige Abgrenzungen
Eine weitere bewährte Präzisierungsmethode, deren ich mich im Grundtext viel zu spärlich bediene, ist die Abgrenzung meines zentralen Begriffs gegen andere, auf diese oder jene Weise benachbarte Begriffe.
(1) Die Anhäufung von Gleichem ist für mich eine Gegebenheit aus dem Bereich der Form, d.h. in dieser sehe ich den allgemeineren Gattungsnamen für die untersuchte Erscheinung. Den Ausdruck habe ich beibehalten, obwohl ich ihn anders und wahrscheinlich auch viel breiter definiere als verschiedene bestehende Überlieferungen (so ist z.B. die Steigerung in meinen Augen eine typisch formale Operation); und am leichtesten definiere ich ihn durch einen Vergleich mit dem Inhalt.
Inhalt und Form sind nach meinem Dafürhalten die Produkte zweier unterschiedlicher Organisationsformen der Wahrnehmung. Was beim Inhalt wahrgenommen wird, ist die Spezifizität eines bestimmten Etwas auf dem Hintergrund des Anderen, des »Restes der Welt«, d.h. eines Differenzgefüges, durch das die Spezifizierung überhaupt erst möglich wird – diese primitive Dyade ergibt wahrscheinlich die einfachste Art, auf die die Wahrnehmung organisiert werden kann. Die Form hingegen bringt ein drittes Element mit ins Spiel, nämlich die Perzeption der Gleichheit zweier oder mehrerer Etwas. Die Gleichheit ist also für mich die ausschlaggebende und kennzeichnende Ingredienz der Form, der wir bei einer rein inhaltlichen Wahrnehmung nicht begegnen. Andererseits impliziert aber eine formale Perzeption stets beide oben genannten Elemente der inhaltlichen, weil man Gleichheit nicht wahrnehmen kann erstens ohne eine Spezifizierung dessen, was gleich sein soll, und zweitens ohne den dafür notwendigen Hintergrund des Anderen. Die Strukturformel dieser Perzeptionsart ist demzufolge die Triade »Etwas + Gleiches + Ungleiches«.
Strenggenommen ist eine formale Wahrnehmung immer sekundär und abhängig von entsprechender inhaltlicher Vorarbeit; rein inhaltliche Wahrnehmungen sind zumindest grundsätzlich möglich, während es rein formale gar nicht geben kann. Deshalb möchte ich schon hier unterstreichen, daß es aber der Form auf bestimmten Ebenen der Informationsverarbeitung allem Anschein nach trotzdem gelingt, sich vom Inhalt zu emanzipieren. Dabei erhält die konkrete Spezifizität dessen, was gleich bzw. nicht gleich ist, den Status einer rein technischen Voraussetzung, die ruhig in Klammern gesetzt und vergessen werden darf, woraus sich eine sehr charakteristische inhaltliche Indifferenz ergibt. In diesem verselbständigten Zustand kann man die Form endgültig definieren als die logische Klasse aller Phänomene, die sich auf Gleichheit und/oder Verschiedenheit zurückführen lassen. Kurzum, das Wesen der Form ist nach meiner Interpretation der Vergleich an und für sich. Und weil Gleichheit und Verschiedenheit universale Kategorien sind, hat jedes erdenkliche Ding seine »Form«, genau wie jedes seinen Inhalt hat – wir sprechen von zwei Gesichtern derselben Information.
(2) Aufmerksamere Leser dürften sich allerdings fragen, ob das, was ich als Form bezeichne, nicht eher der Struktur in bestimmten (z.B. informationstheoretischen) Auslegungen dieses Begriffs ähnelt. Mag sein; aber ich will dem Ausdruck einfach auf keinen Fall eine terminologisch tragende Rolle zuteilen, um ja nicht falsch verstanden zu werden.
Der Unterschied zwischen dem Strukturalismus und mir ist nämlich, wie gesagt, ein Unterschied in der Grundtendenz bzw. in der allgemeinsten Vorstellung vom Ergebnis, das durch eine Untersuchung wie die vorliegende erzielt werden soll. Die Generalbotschaft jedes echten Strukturalismus lautet »die Dinge sind unendlich kompliziert«, während sie mir entweder schlechtweg einfach oder aus einfachen Elementen zusammengesetzt vorkommen. Damit will ich wohlgemerkt keinen Streit anzetteln und die konkreten Leistungen des Strukturalismus irgendwie schmälern, aber vielfach hat sich auch die Simplizitätsannahme als fruchtbar erwiesen, also verdient sie wenigstens eine faire Chance.
Der Gegensatz, von dem ich spreche, kommt vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck, wenn man versucht, das Homokumulat selbst als eine Struktur aufzufassen. Theoretisch ist das zwar ohne weiteres möglich, doch erweist sich die Anhäufung von Gleichem als die trivialste aller denkbaren Strukturen; mancher Strukturalist dürfte ihr das Recht auf diesen hehren Titel sogar rundheraus absprechen, vor allem aber dürfte er in ihr das letzte sehen, was imstande wäre, sein Interesse zu wecken. Und die Natur meines Grundbegriffs bestimmt im voraus, wozu sich meine Theorie eignen wird: von der Komplexität der Welt hat ein derartiger Begriff keine Ahnung, doch dafür entpuppt er sich meiner Meinung nach als ein brauchbarer Schlüssel zum Verständnis vieler elementarer Erscheinungen, die vom Strukturalismus als solche gar nicht richtig bemerkt werden.
Ich plädiere also in diesem Fall für Teilung der Aufgaben und gegenseitige Ergänzung. Dem widerspricht zwar auf den ersten Blick der Umstand, daß ich die Unverfrorenheit besitze, mit meinem Werkzeug, wie es nun einmal ist, auch in äußerst paradigmatischen »Strukturen«, nämlich ästhetischen Kompositionen herumzustochern. Dadurch entsteht der Eindruck, als würde sich der Gegenstand meiner Untersuchung zumindest teilweise mit dem des Strukturalismus überlappen und mich der unmittelbaren Konkurrenz dieser Denkschule aussetzen. Doch der Eindruck ist falsch, denn in Wirklichkeit sehe ich dort, wo es der Strukturalist mit einem unlösbar verfilzten Ganzen zu tun hat, etwas völlig anderes, nämlich eine Ansammlung von mehr oder weniger autonomen Bestandteilen, und beschränke mich in meinen Erörterungen nur auf sie. Um das Unorthodoxe an meinem Blickwinkel herauszustellen und den holistischen Bann, der zu einer regelrechten Blindheit fürs Elementare führen kann, von vornherein zu brechen, bezeichne ich solche Ansammlungen jedoch lieber mit einem anderen, neutraleren Ausdruck als Informationsklumpen.
(3) Das Homokumulat ist also, nochmals, ein besonderer Fall von Form, und seine Besonderheit besteht darin, daß wir für seine Beschreibung lediglich eine von den beiden formalen Relationen benötigen – daher übrigens auch seine Einfachheit bzw. Trivialität. Allerdings gibt es für den Sachverhalt einer Anhäufung von Gleichem schon andere Namen, von denen Redundanz wahrscheinlich am modernsten klingt. In substantieller Hinsicht ist demzufolge die Redundanz ein Synonym für den zentralen Begriff meiner Theorie, und daraus ergibt sich eine Verwechslungsgefahr, der ich im Grundtext bei allen guten Vorsätzen vielleicht noch immer nicht weit genug aus dem Weg gegangen bin. Darum muß ich so deutlich, wie es nur geht, hervorheben, daß in Wirklichkeit zwischen den beiden ein unüberbrückbarer Abgrund klafft, denn sie stehen unter diametral entgegengesetzten Vorzeichen.
Zur Gleichheit sind offenbar zwei völlig verschiedene Einstellungen möglich, von denen der Ausdruck »Redundanz« die rational und emotional negative verkörpert. Die Wiederholung von Gleichem stellt für ihn ein minderwertiges Phänomen dar, das höchstens Verachtung verdient, und deshalb ist er erstens bestrebt, sie in der Praxis auf das allernötigste Mindestmaß zu beschränken oder, noch besser, ganz auszuschließen, und zweitens unfähig, in ihr ein ernsthaftes theoretisches Problem zu erblicken. Diese Haltung ist es also, die jeden Versuch einer gründlicheren Reflexion der Gleichheit unterbindet und an der entsprechenden Stelle einen typischen blinden Fleck erzeugt.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Schicksal jener alten Formel, die Schönheit mit Ordnung gleichsetzt. Die sogenannte informationstheoretische Ästhetik konnte sich natürlich nicht der Erkenntnis verschließen, daß Ordnung Redundanz bedeutet, und das ließ ihr wiederum keine andere Wahl als zu folgern, daß Redundanz gefällt. Doch bei einer negativen allgemeinen Bewertung der Gleichheit ergab dieser Schluß ganz offensichtlich keinen Sinn, und daher hat man ihn – nach dem Grundsatz, daß nicht sein kann, was nicht sein darf – irgendwie überspielt und sich aus seinen Konsequenzen herausgeschmuggelt (sehr aufschlußreich sind z.B. die entsprechenden Passagen bei Bense), mit dem Ergebnis, daß die Gelegenheit, in Richtung meiner Theorie vorzustoßen, ungenutzt geblieben ist.
Sicher läßt sich ein Zusammenhang nennen, in dem die Gleichheit mit vollem Recht so stiefmütterlich behandelt wird. Im Grundtext definiere ich ihn als unzusammenhängende Wiederkehr; genauer wäre es vielleicht, von einer solchen Auffassung des Gleichen zu sprechen, der es nicht auf eventuelle synergetische Effekte ankommt. Unter diesen Bedingungen kann man mit der Gleichheit tatsächlich nichts Besseres anstellen als sie eben aussondern, z.B. durch die Extraktion einer Gesetzmäßigkeit oder die optimale Auslastung eines Nachrichtenkanals nach den Regeln der Shannonschen Theorie – in beiden Fällen ist nämlich die Wiederholung von Gleichem eine Quelle möglicher Ersparnis. Das einzige, wogegen ich mich wehre, ist das einseitige Überhandnehmen dieser negativen Einstellung, eine Tendenz, die gerade für unsere Zeit besonders charakteristisch zu sein scheint und am schönsten durch den Brauch der eben erwähnten Informationstheorie symbolisiert wird, ihre Art von Information als Information schlechthin und die einzige, die es wirklich gibt, zu verkaufen (bis heute versieht sie in ihrem unglaublichen Hochmut den Begriff mit keinem einschränkenden Qualifikator!), was die Gleichheit zu einem reinen Abfallprodukt degradiert.
Ich behaupte hingegen, daß es eine Situation gibt, die zwangsläufig eine ganz andere, nämlich positive Bewertung des Phänomens erfordert. Die Behauptung impliziert unter anderem, daß es sich lohnen kann, eine bestehende »Redundanz« zu maximieren, weil die Gleichheit nicht immer nur als unnötiger Ballast fungiert, sondern manchmal auch als ein wichtiges generatives Prinzip (denken wir nur an die Steigerung, die wir eigentlich als bloße Redundanzvermehrung interpretieren müßten). Dazu komme ich noch zurück, schon jetzt aber läßt sich feststellen, daß das Phänomen durch diese Rehabilitation auch wieder interessant wird als Gegenstand des Nachdenkens, und dabei taucht eine bemerkenswerte Frage auf: ist die Wiederholung von Gleichem nicht etwas so Fundamentales, daß man darin eine besondere, selbständige Art von Information erblicken muß, die sich eine eigene Theorie verdient hat? Wenn ja, dann kann das vorliegende Buch auf jeden Fall einige Grundelemente dazu beisteuern.
Doch die Redundanz wird sagen: nur über meine Leiche, d.h. die oben skizzierten positiven Inhalte lassen sich einfach nicht durch diesen Begriff ausdrücken; wir brauchen offenbar einen anderen, und genau das ist die »Homokumulativität«. In ihr steckt also durchaus eine polemische Spitze.
(4) Der nächste Hintergrund, auf dem man die Anhäufung von Gleichem schärfer umreißen kann, ist der Tatbestand der Neuheit. Als neu wird bezeichnet, was von allem schon Dagewesenen verschieden ist, d.h. auch dieser Tatbestand läßt sich durch eine einzige Relation beschreiben. Allerdings ist die Relation weniger typisch und ausschließlich formal als die der Gleichheit, und man könnte auf den Gedanken verfallen, daß die Neuheit nur eine etwas paradoxe inhaltliche Spezifikation darstellt. Doch in ihrer »Vorgeschichte« spielt das scheinbar nicht involvierte Gegenteil der Verschiedenheit sogar die Hauptrolle: konstitutiv für die Neuheit ist nämlich eine ausdrückliche Überprüfung, ob etwas wirklich keinem bekannten Ding gleicht – erst eine negative Antwort auf diese Frage macht sie zu dem, was sie ist. Dieser entscheidende Umstand in der Organisation ihrer Wahrnehmung macht klar, daß es sich auch bei ihr um eine geradezu paradigmatische Form handeln muß. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Form radikal zu vereinfachen, und Neuheit ist eine von ihnen, also das Gegenstück zum Homokumulat. Schon das bedeutet Identität auf der nächsthöheren Ebene; aber die Parallelen reichen noch erheblich tiefer.
Man kann sich die Neuheit als den äußersten Punkt einer Linie vorstellen, die das allmähliche Verschwinden von Gleichem veranschaulichen soll. Sein Manko macht sich schon bei der Seltenheit eines nur hier und da anzutreffenden Etwas bemerkbar (aus Erfahrung wissen wir, daß Seltenheit ähnlich wie Neuheit wirkt) und erreicht einen provisorischen Höhepunkt beim Unikat. Allerdings nehmen wir auch ein Unikat, das nicht ganz flüchtig ist, immer wieder wahr – gerade solche Wiederholungen ergeben die vielleicht hartnäckigste Quelle der Gleichheit. Deshalb ist eine verläßliche Garantie für ihre Abwesenheit und ein unmißverständliches Extrem der geschilderten Linie erst die ontogenetisch erste Wahrnehmung von irgendetwas. Das erklärt den strenggenommen seltsamen Umstand, daß ein von der Substanz her mathematisch-logisches Faktum unter einem »psychologisierenden« Begriff aus der Geschichte der individuellen Erfahrung kursiert.
Und wenn wir Gleiches anhäufen, müssen wir uns irgendwo auf derselben Linie befinden, nur mit dem Unterschied, daß wir ihrem anderen Ende zustreben, d.h. Bereiche zu schaffen oder zu entdecken versuchen, wo die Gleichheit zumindest örtlich die Oberhand gewinnt und die Verschiedenheit mehr oder weniger vollständig verdrängt. Als einen ersten Erfolg empfinden wir dabei Inseln des Gleichen, die sich im quantitativen Vergleich mit entsprechenden Erfahrungswerten als überdurchschnittlich groß erweisen, das wirkliche Ende der Linie wird aber erst mit der größten denkbaren bzw. realisierbaren Anhäufung erreicht; natürlich ist besonders die letztere gewöhnlich nicht unbegrenzt. Kurzum, Neuheit und Homokumulat sind zwei Extremwerte einer Funktion.
(5) Damit können wir schließlich auch unser Verhältnis zu einem dritten Synonym für Homokumulativität und Redundanz, nämlich zum Begriff der Quantität klären. Quantität ist offenbar ebenfalls ein Phänomen, das sich ohne ein Minimum an Gleichheit zwischen den von ihr in einen Topf geworfenen Elementen nicht denken läßt, und zugleich ist der Begriff nicht mit jenen negativen Konnotationen behaftet, die ich an der Redundanz bemängele. Warum verwende ich also nicht einfach diese Bezeichnung und erspare mir meine bisweilen doch etwas zungenbrecherische Neubildung?
Dafür habe ich zwei Gründe. Erstens finde ich den Ausdruck zu neutral: er sagt zwar über die Anhäufung von Gleichem nichts Schlechtes, aber auch nichts Gutes, nichts Begeistertes und Begeisterndes aus, und er verfehlt das Wesentliche daran, nämlich die eben beschriebene Tendenz zum Extrem, die ich schon für so wichtig halte, daß sie vom Grundbegriff meiner Theorie wenigstens angedeutet werden muß. Nicht jede Quantität ist ein Homokumulat, und das Verhältnis zwischen den beiden ist auch nicht linear proportional und läßt keine mechanischen Schlüsse zu; manchmal ist ein Extrem oder der Unterschied zwischen ihm und dem Durchschnitt quantitativ äußerst klein, während in anderen Fällen Tausende von Einheiten anhäufungsmäßig gar nichts bedeuten.
Vor allem aber ist mein Begriff enger als der der Quantität, weil er lediglich eine von ihren möglichen Arten bezeichnet. Das Homokumulat selbst und alle konkreten steigerungsfähigen Eigenschaften, die es in sich zusammenfaßt, beziehen sich nämlich auf natürliche Quantität, d.h. solche, die uns entweder unmittelbar sinnlich oder aufgrund einer einfachen Analogie gegeben ist und nicht erst durch irgendwelche Kunstgriffe ermittelt werden muß. Artifizielle Quantität (einschließlich der meisten »natürlichen« Zahlen) ist eine scharfsinnige Errungenschaft unserer kollektiven Intelligenz bzw. unserer Kultur, während ich über etwas Primitives, in aller Regel Unbewußtes und größtenteils Angeborenes spreche. Am deutlichsten wird der Unterschied, wo er einen quantitativen Gegensatz impliziert: so bedeutet z.B. im natürlichen Kontext Homokumulat »viel« und Neuheit »wenig von etwas«, wenn man aber beide Begriffe nach dem Shannonschen Rezept künstlich zu quantifizieren versucht, wendet sich das Blatt und eine einzige Neuheit kann mühelos mehr »Information« enthalten als ein Homokumulat mit tausend Einheiten (das es auf knapp zehn Bit bringt), was unserer instinktiven Auffassung sichtlich widerstrebt.
Gewöhnlich sind jedoch zwischen den beiden Quantitätsarten interpretative Übergänge möglich, wobei die Naturalisierung eine trocken rationale und abstrakte Zahl mit anschaulichen und gefühlsträchtigen Elementen anreichert, freilich bei entsprechendem Präzisionsverlust – und umgekehrt.
Phänomenologie des Homokumulats
Was könnte man als Theoretiker mit dem Homokumulat anfangen, d.h. in welchen Diskurs läßt sich der Begriff einbinden? Ich sehe vor allem die Möglichkeit einer systematischen Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem allgemeinen Prinzip der Anhäufung von Gleichem und seinen unzähligen konkreten Erscheinungsformen nach dem Vorbild der oben skizzierten Analyse der primären Aspekte. Das Ergebnis wäre eine Phänomenologie der natürlichen Quantität und gleichsam eine psychologisierende Art von Mathematik, die zwar nichts ausrechnen würde und ohne allen traditionellen Apparat, d.h. ohne Meßaufzeichnungen, Prozente, algebraische Formeln usw. auskäme, die aber trotzdem den ganzen Geist des Mathematischen verkörperte und der Psychologie eine neue Gelegenheit böte, sich zu diesem Geist zu bekehren.
Doch welchen Umständen haben wir es zu verdanken, daß es eine solche Möglichkeit überhaupt gibt? Warum tritt uns die Anhäufung von Gleichem in so abwechslungsreichen Gestalten entgegen? Bei der Neuheit kann man nämlich kaum ähnliches beobachten.
Der augenblickliche Stand der Reflexion dieser beiden, an sich eng verwandten Besonderheiten der Form ist offenbar grundverschieden. Während die Idee der Neuheit schon lange in Umlauf und jedermann vertraut ist, entdecke ihre Entsprechung auf der anderen Seite, nämlich den allgemeinen Begriff des Homokumulats, in einem gewissen Sinne erst ich. Natürlich ist das Phänomen der Anhäufung von Gleichem nicht unbemerkt geblieben, doch wurde es bisher unter anderen generischen Namen erfaßt, denen die richtigen Konnotationen fehlten (Quantität), wenn sie nicht sogar falsche, irreführende hervorkehrten (Redundanz), und deshalb kam es niemandem wirklich klar zu Bewußtsein, worum es eigentlich geht. Entsprechende Bedeutungsnuancen enthielten erst die Bezeichnungen für einzelne Sonderaspekte dieses Geschehens, das faktisch vor allem durch sie zur Reflexion gelangte. Das Problem bei derartigen Bezeichnungen ist aber wiederum, daß sie das, worum es geht, nur in konnotativer Form andeuten können, und ein solcher Wink ist für eine echte Durchdringung der Zusammenhänge zuwenig.
Der Grund für den geschilderten Rückstand dürfte darin liegen, daß die Ausbildung des einen und des anderen Begriffs an den Menschen eben verschieden hohe Anforderungen stellte. Bei der Neuheit war die Aufgabe, wie es scheint, verhältnismäßig leicht, während beim Homokumulat Schwierigkeiten auftauchten, die zu einer weniger konsequenten und unvollständigen Abstraktion dieses Sachverhalts führten. In den oben erwähnten konkreteren Bezeichnungen tritt nämlich die Anhäufung von Gleichem offenbar nicht in wirklich isolierter Form auf, sondern noch immer verklebt mit etwas anderem, das sie für unser Auge recht schwer erkennbar macht; und wie üblich hat sich das ganze zu einer Denkgewohnheit verfestigt, mit der man nur unter großen Anstrengungen brechen kann.
Um die störende Beimischung zu identifizieren, wollen wir noch einmal zu den sogenannten primären Aspekten zurückkehren und uns fragen, worin sie sich vom Homokumulat als solchem unterscheiden. Der Begriff des Homokumulats bezieht sich auf die reine mathematisch-logische Substanz: er definiert zwar eine Besonderheit der Form, aber diese Besonderheit läßt sich nach wie vor mit ausschließlich formalen Mitteln beschreiben. Ausdrücke wie Intensität, Extensität oder Reinheit hingegen enthalten auch schon einige Angaben über die jeweiligen Umstände, unter denen es zur Anhäufung kommt – gerade die Umstände werden unmittelbar benannt (denotiert), während die Anhäufung selbst nur im Hintergrund mitklingt. Sicher sind diese Angaben noch sehr allgemein und rudimentär, aber sie ziehen trotzdem eine klare Beschränkung der Gültigkeit nach sich, denn bei jedem der primären Aspekte lassen sich zahllose Fälle anführen, in denen er keineswegs aktuell werden kann. Solche Eigenschaften sind also nicht mehr streng universal wie das Homokumulat, mögen sie noch so breite Klassen von Erscheinungen umfassen; man spürt schon deutlich ihre Spezifizität im Sinne einer Insel im Meer des Anderen. Und das kann nur eines bedeuten: die Unreinheit, die unsere Reflexion zu lähmen scheint, ist auf den Umstand zurückzuführen, daß wir, um uns unsere formalen Gefühle zu vergegenwärtigen, Ausdrücke benutzen müssen, in denen sich die Form mit Elementen eines konkreten Inhalts vermengt.
Das augenfälligste Ergebnis dieser Sachlage ist natürlich die Verschiedenheit der verwendeten Ausdrücke. Der Begriff »Homokumulat« verbreitet um sich eine Atmosphäre der radikalen Monotonie, denn mathematisch gesehen ist jede Anhäufung von Gleichem eine Anhäufung wie alle anderen. Indirekt (konnotativ) kann sie jedoch, wie wir schon wissen, im Prinzip durch jede steigerungsfähige Eigenschaft bezeichnet werden, und wenn man bedenkt, wieviele solche Eigenschaften es gibt – genug für ein kleineres Wörterbuch –, wird man sich rasch im klaren sein über den nahezu unerschöpflichen Reichtum an Möglichkeiten, die sich da bieten, und das bunte Durcheinander, das daraus resultieren muß. Sobald es einem bewußt wird, was alles das Stichwort »Anhäufung von Gleichem« konkret bedeutet, d.h. welche Unmenge von Gesichtern seine abstrakte Substanz annehmen kann, muß man sich kopfschüttelnd fragen, wie jemand die Gleichheit als etwas Langweiliges und Uninteressantes abtun konnte. Und zunächst stelle ich mir die Phänomenologie des Homokumulats als eine Bestandsaufnahme seiner Variantenfülle vor; in dieser Erscheinungsform wäre sie charakterisiert durch eine divergente Art von Neugier und Liebe zum Detail.
Legt man ein Verzeichnis an, so wünscht man sich freilich, man könnte die Eintragungen auch irgendwie logisch gruppieren, aber ich kenne leider keinen Leitgedanken, der imstande wäre, das gesamte Gewirr der steigerungsfähigen Eigenschaften in diesem Sinne zu ordnen. Die meisten solchen Eigenschaften sind eben nicht das Ergebnis einer weitsichtigen deduktiven Aufteilung des Möglichen, sondern reine Ad-hoc-Erfindungen, d.h. improvisierte Antworten auf irgendwelche punktuellen Bezeichnungsbedürfnisse, die sich nicht um ihren Platz innerhalb des breiteren Ganzen kümmern. Was es mir zu entdecken gelingt, sind höchstens kleinere Inseln der Ordnung, nämlich einzelne Situationen, in denen man von vornherein eine bestimmte Anzahl von Anhäufungsalternativen (meistens zwei) postulieren kann. Und in einem einzigen Fall, nämlich dem der primären Aspekte, scheint sich eine Gruppe von derartigen Dichotomien (Nebeneinander/Übereinander, Expansion nach außen/Expansion nach innen, elementare Einheiten/relationale Einheiten usw.) zu einem angedeuteten System zusammenzuschließen, in dem sie mit vereinten Kräften zumindest nach meinen Erfahrungen das gesamte Feld des Möglichen decken – wenn auch nur auf einer recht abstrakten Ebene –, gleichsam als ein kollektives Äquivalent für den synthetischen Begriff des Homokumulats.
Doch diese Inventur stellt erst eine von den Stoßrichtungen dar, die seine Phänomenologie ausmachen. Ebenso wichtig wie die Verzweigung des einen in vieles ist die umgekehrte Operation, nämlich die Rückführung der steigerungsfähigen Phänomene auf das allgemeine Prinzip der Anhäufung von Gleichem. Dank unserer interpretativen Intervention ist es offenbar möglich geworden, einen Blick hinter die schillernde Oberfläche solcher Erscheinungen zu werfen und ihren formalen Kern genauso konsequent zu isolieren, wie es die »Neuheit« seit jeher tut. Und durch diese scharfe Trennung des Wesentlichen und Akzidentellen kann die Idee der Anhäufung endlich von jenen inhaltlichen Anhängseln befreit werden, die bei der bisher vorherrschenden Art ihrer Reflexion ihre Klarheit trübten bzw. ihren streng mathematisch-logischen Charakter verdeckten – nun läßt sie sich eindeutig identifizieren und von scheinbar Ähnlichem unterscheiden. Der Kern ist übrigens, wie gesagt, bei allen äußeren Erscheinungsformen gleich, d.h. sie konvergieren von vielem ins eine. Deshalb bedeutet ihre Reduktion auf das Homokumulat das Ende der vorhin geschilderten Buntheit; sie impliziert zwangsläufig einen Verzicht auf nuancierte Beobachtung und die Rückkehr zur radikalen Monotonie.
Zum mindesten ist also die Anhäufung von Gleichem ein Berührungspunkt, der bisher Getrenntes miteinander verbindet und in einem Zug zu nennen gestattet, was ich im Grundtext durch das Bild vom Formenbaum auszudrücken versuche. Die entscheidende Frage ist natürlich, wieviel daraus folgt. Habe ich eine zufällige Konvergenz entdeckt, die nie in einen wirklich wichtigen Mechanismus eingebaut wurde und eigentlich nur meinen Spieltrieb befriedigt, oder kommt der Sache eine Bedeutung zu, die es sinnvoll erscheinen läßt, sie einer breiter angelegten Erörterung zu unterziehen? Das vorliegende Buch ist aus dem Glauben entstanden, daß das letztere zutrifft. Und sobald man über die Homokumulativität Hypothesen aufzustellen beginnt, erweist sie sich – im Gegensatz zu den einzelnen steigerungsfähigen Eigenschaften – als theoretisch außerordentlich fruchtbar: sie ermutigt einen zu Schlußfolgerungen, von denen man bisher nicht einmal träumen konnte. Gerade der daraus resultierende Mangel an Kontext machte die Eigenschaften so unscheinbar und ließ sie irgendwo am Rande unserer Aufmerksamkeit dahinvegetieren, aber ich erlöse sie nun aus dieser Verbannung.
Allerdings tue ich das nicht, um sie als bloßen Rohstoff für eine höhere Idee zu behandeln, der gleichsam im Hochofen der Wahrheitsgewinnung verbrennen muß. Wenn man nämlich an den allgemeinen Stand der Reflexion der Anhäufung von Gleichem denkt, kann man die Ebene des Konkreten, nachdem man sie theoretisch aufgearbeitet hat, nicht einfach ein für allemal ausklammern. Sie bleibt bis auf weiteres unentbehrlich, weil der Begriff »Homokumulat« als solcher bei all seinen Verdiensten den Leuten zuwenig sagt, d.h. keine anschauliche Vorstellung und kein Gefühl der Vertrautheit vermittelt. Wenn man ihnen also die dahinter steckende Gedankenwelt wirklich näherbringen will, muß man die Übersetzung vom Besonderen ins Allgemeine schon aus rein didaktischen Gründen immer wieder durch eine Rückübersetzung vom Allgemeinen ins Besondere ergänzen. Deshalb ist es mein Gesamtziel, die Phänomenologie des Homokumulats offenzuhalten und in ihr beides zu vereinen: den Sinn für den Kern und den Sinn für die Schale, theoretische Stringenz und empirischen Überfluß, Mathematik und Psychologie.