Level 3 (Einleitung)

Funktion und Genese

 

Das Problem der scheinbaren Irrelevanz

Eine weitere Möglichkeit, Intelligibilität zu generieren und damit das Verhalten zu erklären, besteht darin, daß man ihm irgendeine Funktion zuschreibt: wenn es einem über es hinausweisenden Zweck dient, dann hat es offenbar einen einleuchtenden »Grund« oder »Sinn«. Wozu könnte also ein Ding wie die Homokumulativitätsgier gut sein? Eine Antwort auf diese Frage gibt zwar im Prinzip schon der Grundtext, aber sie ist wieder eher skizzenhaft und läßt sich durch zusätzliche Explikation wahrscheinlich viel überzeugender gestalten.

Die traditionelle Einstellung zu jenen Aktivitäten, in denen ich einen besonders reinen Ausdruck unserer Homokumulativitätsgier erblicke, schwankt zwischen zwei Extremen. Einerseits haben sie die Eigenschaft, daß sie dem naiven Utilitarismus mißfallen. Dieser reduziert nämlich die Funktionalität des Verhaltens auf einen ziemlich eng verstandenen Nutzen, mit dem Spiel und Sport, Schönheit und Kunst, Gefühl und Erlebnis meistens nicht aufwarten können, und daraus folgert er (in einem gewissen Sinne sogar zu Recht), daß er es hier mit einem zwecklosen und somit unbegründeten Luxus zu tun hat, den es entschieden abzulehnen gilt. Doch als sein Gegenspieler meldet sich die Anthropologie der Freiheit zu Wort und stellt sein Argument auf den Kopf: zwecklos heißt zweckfrei, d.h. gerade indem es nichts nutzt und niemandem außer sich selbst zu dienen scheint, erfüllt solches Verhalten eine überaus wichtige Funktion –nämlich eben die leicht paradoxe Funktion eines Beweises, daß sich der Mensch immer wieder dem Zugriff seiner angenommenen zentralen Determinante entzieht. Bezeichnenderweise ist diese Anthropologie dabei recht pingelig und reagiert auf unsere Tendenz, ursprünglich zweckfreies Verhalten zu instrumentalisieren und daraus einen mehr oder weniger banalen Nutzen zu ziehen, mit heftiger Empörung, weil wir ihr damit offenbar das ganze Konzept vermasseln.

Ich dagegen schließe mich in diesem Streit keiner Seite an, weil es mir bei einem hinlänglich offenen Nützlichkeitsbegriff durchaus möglich erscheint, die Homokumulativitätsgier als nützlich hinzustellen, und zwar begründe ich das mit ihrer voraussichtlichen Rolle bei der Lösung des Problems der scheinbaren Irrelevanz.

Außer Zweifel steht, daß bei weitem nicht alle Verhaltensmöglichkeiten, die theoretisch existieren und sich einem Lebewesen anbieten, funktionell sein können. Sobald es also sein Verhalten selber mitzugestalten beginnt, muß es eine Strategie entwickeln, die es ihm gestatten wird, mit tatsächlich irrelevanten Handlungssuggestionen, von denen es sich unter keinen Umständen einen Nutzen versprechen darf, fertig zu werden. Wie sieht eine solche Strategie aus? Als erstes muß jede Möglichkeit mit einer klaren Bewertung versehen sein; weiß das Lebewesen nicht, ob es sie als potentiell relevant einstufen soll oder nicht, so wird das ganz automatisch durch eine schnelle Abschätzung nachgeholt. Und die festgestellte Irrelevanz löst bei ihm eine recht spezifische, unverwechselbare Reaktion aus, nämlich die des »Darübergleitens«: seine Aufmerksamkeit wird einfach unfähig, bei dieser Möglichkeit stehenzubleiben und sie im Brennpunkt einzufangen, sie findet an ihrer spiegelglatten Oberfläche gleichsam keinen Halt und ist daher gezwungen, sie zu übergehen – oder strukturalistisch ausgedrückt, der Möglichkeit wird eine typische Hintergrundfunktion zugewiesen. Das Ergebnis ist eine Entlastung, ohne die kein sinnvolles Verhalten denkbar erscheint.

Allerdings hat diese Regelung einen großen Haken. Sie nimmt stillschweigend an, daß das Dilemma relevant/irrelevant stets auf Anhieb gelöst werden kann, aber in Wahrheit ist das eher ein glücklicher Zufall, mit dem man beileibe nicht in allen Situationen rechnen darf. Die Bedeutung einer Verhaltensmöglichkeit kann nämlich so gut »verborgen« sein, daß das Lebewesen erst dann eine echte Chance hätte, sie zu durchschauen, wenn es die Möglichkeit gründlich kennenlernen würde, d.h. mit ihr eine ausreichende Menge von Erfahrungen sammelte. Die eben beschriebene Strategie legt ihm jedoch nahe, sie als offenkundig belanglos zu ignorieren,  und es besteht große Gefahr, daß der Prozeß des Kennenlernens überhaupt nicht in Gang kommen wird, was den falschen Anschein der Irrelevanz natürlich verewigen würde. Jeder von uns kennt viele Fälle, in denen genau das Wirklichkeit geworden ist und sich als ein kaum zu überwindendes Hindernis dem Fortschritt in den Weg gestellt hat, also ist das Problem bei allen Korrekturmechanismen, deren Existenz wir hier annehmen werden, noch immer brandaktuell; ohne solche Mechanismen wäre aber meines Erachtens an eine halbwegs adäquate Ausnutzung des vorhandenen Verhaltenspotentials – zumal des menschlichen – ebenfalls nicht zu denken.

Wie soll man sich die postulierte Korrektur vorstellen? Irgendetwas muß offenbar die Blockade unseres Interesses durchbrechen und uns aus unserer Unachtsamkeit wachrütteln: ein Anreiz, ein Motiv, das uns die Verhaltensmöglichkeit trotz ihrer vermeintlichen Nutzlosigkeit so aufregend und verführerisch wird vorkommen lassen, daß wir alles daransetzen werden, sich mit ihr vertraut zu machen. Und ein solches Motiv ist seinerseits mit einer ziemlich exotischen Bedingung verknüpft: es muß auf jene kühle Berechnung pfeifen, die objektiv sogar hinter dem blindesten konsummatorischen Rausch steckt, wenn dieser eine handfeste Funktion erfüllt. Statt dessen muß es die Fähigkeit implizieren, sich ohne jeden Grund für eine bestimmte Möglichkeit zu begeistern, einfach nur »weil es sie gibt«; man könnte auch sagen, daß sein Verhältnis zur Welt von einem recht charakteristischen Erotismus geprägt sein muß.

Das allgemein bekannte Beispiel eines derartigen Mechanismus ist selbstverständlich unsere Neugier. Der Umstand, daß sie neu ist, verleiht  einer eben entdeckten Verhaltensmöglichkeit, ob relevant oder nicht, eine eigenartige Ausstrahlung, die uns zwingt, sie gleichsam überschwenglich zu umarmen und sie mehrmals hintereinander auszuprobieren. In der Anfangsphase der Erfahrungssammlung ist das sicher der beste Anreiz, den man sich vorstellen kann, und es liegt auf der Hand, warum er als erster auftauchte. Doch leider hat seine Wirkung den Nachteil, daß sie – wenn sie nicht durch die andauernde Seltenheit der Möglichkeit gewissermaßen auseinandergezogen wird – verhältnismäßig rasch verpufft; und wenn sich die Möglichkeit in dieser relativ kurzen Zeitspanne nicht als sonstwie empfehlenswert erweist, endet sie nach wie vor auf dem Müllhaufen unseres Interesses. (Die entsprechenden Passagen im Grundtext betonen allerdings zu einseitig die Vergänglichkeit ihrer Blüte, wobei unter den Tisch zu fallen droht, daß die verhängnisvollen Folgen der Markierung »irrelevant« doch schon etwas hinausgeschoben werden.)

Was aber, wenn man die Möglichkeit, um ihre Bedeutung herauszubekommen, noch wesentlich intimer kennenlernen muß, als es diese Zeitspanne zuläßt? Welcher Anreiz könnte an die Stelle der Neuheit treten und den Zustand der grundlosen Faszination weiter verlängern?

Das ist der Augenblick der Homokumulativitätsgier. Für die Anziehungskraft des Homokumulats gilt nämlich vom Typ her dasselbe wie für die Neuheit, d.h. wenn ich von der Mathematik der menschlichen Seele spreche, versuche ich diese Seele nicht als besonders nüchtern berechnend zu bezeichnen, im Gegenteil – die Mathematik fasse ich dabei als ein Werkzeug der blinden Begeisterung und des Erotismus auf. Zugleich wird jedoch ein wesentlicher Unterschied sichtbar: die motivierende Wirkung des Homokumulats ist grundsätzlich nicht zeitlich begrenzt, also kann man sich unter ihrem Einfluß immer wieder mit derselben Möglichkeit befassen, auch nachdem sie den letzten Anflug von Neuheit verloren hat, und folglich jede nur erdenkliche Menge von entsprechenden Erfahrungen sammeln. Dadurch wird das in der Gestalt der Neugier vielleicht erst ansatzweise verwirklichte Prinzip einer nicht von der konkreten Relevanz abhängigen Belohnung sozusagen konsequent zu Ende geführt.

Allerdings sind die Bedingungen, die ein Motiv dieser Art erfüllen muß, um der geschilderten Funktion gerecht zu werden, durch das bisher Gesagte noch nicht hinreichend präzisiert. Einerseits ist die von ihm ausgehende Verlockung logisch unvereinbar mit irgendwelchen inhaltlichen Begrenzungen: grundsätzlich müssen alle Verhaltensmöglichkeiten, die uns zugänglich sind, als potentiell relevant behandelt werden, und in der Tat sind sowohl Neuheit wie auch Homokumulativität universale Eigenschaften. Das bedeutet jedoch nicht, daß sich das Lebewesen wirklich mit jeder Möglichkeit jedesmal, wenn sie am Horizont auftaucht, befassen kann, denn dafür tauchen in einer halbwegs normalen Situation viel zu viele auf einmal oder dicht hintereinander auf; wenn überhaupt, hat es bestenfalls Zeit, sich einigen wenigen zu widmen, und dadurch ist es bei allem Erotismus gezwungen zu wählen.

Theoretisch kann eine Wahl durch zwei Faktoren gesteuert werden, entweder durch den Zufall oder durch irgendeine Gesetzmäßigkeit, und in unserem Fall geschieht offenbar das letztere, denn Neuheit und Homokumulativität sind klar definierbare Kriterien oder »Filter«, die den Spielraum auf eine eindeutige Weise einengen. Daraus ergibt sich schon an sich der Vorteil, daß man die meisten Handlungssuggestionen weiterhin nicht zu berücksichtigen braucht, d.h. bei einer solchen Generalisierung des Interesses bleibt ein Großteil des vorhin postulierten Entlastungseffekts erhalten, während er bei einer zufälligen völlig verlorenginge und das Lebewesen ohne jeden Kompaß im Dickicht der Möglichkeiten stehenließe. Doch die Einengung darf, wie gesagt, keinen Inhalt ausschließen, oder mit anderen Worten, sie muß Diskrimination mit strenger Indiskriminativität vereinen, und das gelingt wahrscheinlich keinem anderen als einem formalen Filter in unserem Sinne des Wortes, das sich nicht um das Was schert, sondern lediglich ums Wieviel (wenig von etwas = Neuheit, viel von etwas = Homokumulat).

Einen wirklichen Sinn hat aber der ganze Auswahlmechanismus natürlich nur, wenn er quer durch das Möglichkeitsfeld einen »richtigen« Trennungsstrich zieht und es in zwei solche Klassen von Verhaltensideen aufteilt, die die jeweils praktizierte Art der Behandlung auch tatsächlich verdienen, d.h. die gewählten Möglichkeiten sollten unsere Aufmerksamkeit und unseren in sie investierten Erotismus mit einem signifikant größeren Nutzen belohnen als die übergangenen – denn ohne die damit verbundene Funktionalitätsverdichtung würde das Verfahren vermutlich gar nicht die Rentabilitätsschwelle überschreiten.

Ist Neuheit ein derartiges Filter? Wir wissen, daß sich Verhaltensmöglichkeiten mit extrem ungleicher Häufigkeit anbieten, einige immer wieder und andere (wahrscheinlich die meisten) fast nie. Würde unser Interesse dem keine Rechnung tragen und z.B. jede Möglichkeit ohne Unterschied bei jedem hundertsten Auftauchen aufgreifen, dann hätten die selteneren praktisch keine Chance, aufgegriffen zu werden – besonders noch wenn man bedenkt, welches Mißtrauen das Lebewesen von Haus aus allem Ungewöhnlichen entgegenbringt. Hier ist sicher eine Gegenmaßnahme angezeigt, die die Aussichten der einzelnen Möglichkeiten besser ausgleichen würde, und genau das geschieht durch die Neugier; diese stellt nämlich die normale Reaktion des Lebewesens auf den Kopf und läßt ausgerechnet Ungewohntes, möglichst Seltenes oder, noch besser, bisher nie Dagewesenes besonders reizvoll erscheinen. Das ist also durchaus sinnvoll, oder in der Diktion des Grundtextes, die Neugier stellt eine äußerst nützliche »generelle Repertoirestrategie« dar.

Was durch sie geregelt wird, ist allerdings nur die Auswahl zwischen verschiedenen Inhalten. Ein ähnlich funktionalitätsverdichtender Eingriff läßt sich aber grundsätzlich auch in der dazu komplementären Richtung denken, nämlich bei der Auswahl zwischen verschiedenen Ausprägungen desselben Inhalts, die möglicherweise ebenfalls in zwei allgemeine Klassen von signifikant differierender Relevanz zerfallen. Und meiner Meinung nach ist gerade die Homokumulativität jenes Filter, dem es gelingt, eine solche Trennung herbeizuführen. Demzufolge wäre die Homokumulativitätsgier, d.h. die Vorliebe für extreme Anhäufungen von Gleichem, eine genauso verdienstvolle generelle Repertoirestrategie wie die Neugier und dem Menschen stünden gleich zwei solche Strategien zur Verfügung. Die Leichtigkeit und innere Notwendigkeit, mit der sich das demonstrieren läßt, sind die wichtigsten Kennzeichen des zweiten Hauptarguments, mit dem ich meine Hypothese zu untermauern versuche.

 

Homokumulat als Selektionskriterium

In einer ersten Annäherung kann man die Behauptung schon rein empirisch beweisen, denn im Grunde bedarf es keiner besonderen Theorie, um einzusehen, warum die größten Anhäufungen von Gleichem als Handlungsmöglichkeiten zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Jeder von uns weiß aus eigener Erfahrung, daß die Intensivierung, Extensivierung, Bereinigung… einer Verhaltensweise ihre Wirkung steigert oder überhaupt erst einsetzen läßt; und wenn man für das Phänomen unbedingt eine Erklärung haben will, findet man sie in der einfachen Feststellung, daß die Homokumulation zu einer immer besseren Ausnutzung des spezifischen Potentials dieser Verhaltensweise führt. Ist also bei den irrelevanten Möglichkeiten ein Sieb am Werk, das unter ihren verschiedenen Ausprägungen stets die homokumulativste heraussiebt, dann ist sein allgemeiner Effekt eine entsprechend gründliche Erforschung desselben Potentials ohne Rücksicht darauf, ob es ausgenutzt werden kann oder nicht – und das ist offenbar wieder eine recht vernünftige Vorkehrung.

Der Genauigkeit halber muß ich gleich hinzufügen, daß der Effekt eigentlich nur einen Teil des eben erwähnten Potentials erfaßt. Durch die Anhäufung wird nämlich die Verhaltensweise sich selbst immer mehr zur einzigen Umgebung und man erfährt immer weniger über die Möglichkeiten ihrer Kombination mit anderen Verhaltensweisen. Doch dafür hat ihre Isolierung in einem reinen, unvermischten Konzentrat die Kraft einer Methode; das Möglichkeitsfeld wird gerade dank dieser Einschränkung »durchorganisiert« auf eine Art, die sich mit der entsprechenden Leistung der Neugier vergleichen läßt, nur mit dem Unterschied, daß sie eine andere Dimension betrifft. Die Strategie ist sozusagen nicht horizontal, sondern vertikal ausgerichtet: sie verbohrt sich in eine bestimmte Möglichkeit mit dem offenkundigen Ehrgeiz, bis auf ihren Grund vorzudringen und wirklich alles herauszuholen, was in ihr steckt.

Die interessanteste Folge ist wahrscheinlich jene allein dem Homokumulat vorbehaltene Entwicklungsdynamik, die ich im Grundtext unter der Bezeichnung »Extremalisierungsprozeß« zusammenfasse. Was wir von einer Möglichkeit kennen, ist angesichts dieser Dynamik im Prinzip nur das aktuelle Durchgangsstadium einer langen formalen Geschichte, d.h. einer Serie von konkreten Zufällen, in denen der allgemeine Trend zu immer größerer Anhäufung seinen Niederschlag gefunden hat und auch weiterhin finden wird, solange nicht das mehr oder weniger ungewisse theoretische Maximum der Anhäufbarkeit erreicht ist.

Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Homokumulativitätsgier oft in einem Kontext wirksam wird, der unserer Rahmendarstellung zu widersprechen scheint. Weil sie nämlich definitionsgemäß keinen Inhalt verschmähen darf, kann sie sich im Endeffekt nicht nur auf jene Möglichkeiten beschränken, die dem Menschen belanglos vorkommen, sondern muß sich zwangsläufig auch in Verhaltensweisen einmischen, deren Relevanz niemandem verborgen geblieben ist und längst ausgenutzt wird; ja vielfach ist das wahrscheinlich sogar die Hauptform, in der sie sich Geltung verschaffen kann. Auf den ersten Blick ergibt der geschilderte Übersprung keinen Sinn, weil in solchen Fällen immer schon ein inhaltsspezifisches Motiv da ist und alles Nötige regelt. Doch wenn wir genauer hinschauen, ändert sich manchmal das Bild.

Im vorigen Kapitel habe ich mich darüber beklagt, wie sehr ein inhaltlich bedingtes Streben nach extremer Homokumulativität die Identifikation der Homokumulativitätsgier erschwert. Einschränkend muß ich jedoch nachtragen, daß beide Extremalisierungstendenzen zusammen lediglich einen Teil unseres Verhaltens erfassen und prägen. Das Prinzip ist also nicht allgegenwärtig; überhaupt darf man die Extremalregelung nie als »selbstverständlich« voraussetzen! Der Vergleich mit dem Tier zeigt, daß sie nur beim Menschen eine derart große Rolle spielt (also erst, seit es die Homokumulativitätsgier gibt bzw. umgekehrt, eine Korrelation, die man sich merken sollte), während herkömmliche Verhaltensmechanismen – und man findet auch noch beim Menschen viele, die nach demselben Muster aufgebaut sind – mit einer ganz anderen Art der Steuerung arbeiten, die von einem (nicht extremen) Sättigungspunkt ausgeht. Bis zu diesem Punkt kann irgendetwas angehäuft werden, doch wenn er einmal erreicht ist, heißt es »halt, das genügt«, und damit kommt der Extremalisierungsprozeß schon in den ersten Ansätzen zum Stillstand.

Was liegt aber nun jenseits des Sättigungspunktes? Die Antwort ist klar: dort erstreckt sich das weite Feld einer typischen Irrelevanz, die sich in diesem besonderen Fall eben nicht auf den Inhalt als solchen bezieht, sondern nur auf bestimmte Stufen seiner Anhäufung. Ein beträchtliches Stück seines Potentials wird also weder genutzt noch erforscht, weil dazu keine Notwendigkeit zu bestehen scheint.

Wie überall kann es sich indessen auch hier um eine trügerische Irrelevanz handeln, d.h. die Möglichkeit würde bei einer energischeren Homokumulation doch wesentlich mehr hergeben; vor allem denke ich dabei natürlich an einen signifikant höheren Grad derselben Wirkung, obwohl sich gelegentlich sogar völlig neue Wirkungen einstellen dürften. Aber dazu kommt es nicht, weil der Nutzen nur unvollständig erkannt und/oder seine Abschöpfung zu schwach abgesichert wird – typische solche Situationen sind z.B. eine oberflächliche Nachahmung oder ein von anderen aufgezwungenes Verhalten, wo man mit äußerst niedrigen und vielleicht verhängnisvoll inadäquaten Sättigungspunkten rechnen muß. Allem Anschein nach setzt der inhaltlich motivierte Anhäufungsvorgang sogar sehr oft objektiv zu früh aus, und wenn sich da die Homokumulativitätsgier einschaltet, wirkt sie wie ein speziell für derartige Fälle geschaffenes Gegengewicht, das keine Erschlaffung gelten läßt und die Erforschung der Möglichkeit bis zum Ende voranzutreiben versucht, was mehr oder weniger automatisch eine bessere Ausnutzung nach sich zieht. Unter diesen Umständen kann also eine Intervention unseres Motivs durchaus Positives ausrichten.

Leichter zu überblicken sind aber seine Auswirkungen zweifellos dort, wo die beiden charakteristischen Phasen des Schicksals einer scheinbar irrelevanten Möglichkeit in exemplarisch reiner Form zum Ausdruck kommen, weil wir an einer Verhaltensidee hängenbleiben, über deren Nützlichkeit wir tatsächlich nichts wissen und sie daher auch nirgendwo einspannen können, d.h. ihre Geschichte enthält zunächst einmal einen Abschnitt, in dem sie als Möglichkeit rein theoretisch bleibt; dann aber stellt sich unversehens heraus, daß sie irgendein Problem wesentlich besser löst als alle bisherigen Versuche oder sogar als erste mit ihm fertig wird, was uns natürlich keine andere Wahl läßt, als gerade sie anzuwenden. (In diesem Fall stehen also bisher unbekannte Arten von Wirkungen im Vordergrund.)

Wie könnte sich unsere Homokumulativitätsgier bei solchen Entwicklungen Verdienste erwerben, die für andere Motive unerreichbar bleiben? Tatsache ist, daß vom Zufall angeschwemmte Verhaltensideen im Durchschnitt ziemlich kleine Homokumulate ergeben, wahrscheinlich noch viel kleinere als die durch verschiedene Sättigungspunkte begrenzten Anhäufungsprozesse. Und auf der anderen Seite liegt die Funktionalitätsschwelle gerade in dieser Hinsicht oft verdammt hoch – so hoch, daß spontan auftretende Anhäufungen sie allesamt nicht erreichen und sich erst eine ausgesprochen »hochgezüchtete« Version der Verhaltensmöglichkeit diesbezüglich eine reelle Chance ausrechnen kann. Die Frage ist allerdings, warum man sich die Mühe machen sollte, eine für nutzlos gehaltene Möglichkeit im Sinne der Extremalisierung hochzuzüchten, und darauf hat die Homokumulativitätsgier eine Antwort: weil das Extrem in sich selbst eine Belohnung darstellt. Deshalb wird es also ganz unabhängig von irgendwelchen Nützlichkeitserwägungen angestrebt, und nachdem es erreicht ist, funktioniert es gleichsam wie ein eingelagertes Fertigteil, das immer wieder auf sich aufmerksam macht und geduldig auf seinen Einbau wartet.

Neben diesen beiden paradigmatischen Situationen muß übrigens noch ein unausbleiblicher Nebeneffekt erwähnt werden, der die Funktionalität des hier postulierten Motivs zwar höchstens sekundär vergrößert, aber immerhin viele Zusammenhänge erklärt. Auch ein nützliches Verhalten ist manchmal in einigen Beziehungen streng determiniert und in anderen weder an einen bestimmten Inhalt noch an eine besonders hohe Stufe seiner Anhäufung gebunden, und bei Einzelheiten der letzteren Art kommt es zu einer sogenannten arbiträren Funktionszuweisung, d.h. man kann im Prinzip die entsprechenden Leerstellen ausfüllen, womit immer man will – die Wirkung wird dadurch nicht spürbar beeinträchtigt. In der Praxis sind jedoch trotzdem statistische Verdichtungen zu beobachten, die man nicht dem Zufall zuschreiben kann, und eine davon besteht darin, daß sich die gewählten Lösungen unverhältnismäßig oft durch extreme Homokumulativität auszeichnen. Was solche Lösungen von vornherein privilegiert, ist natürlich der formale Reiz der Anhäufung, der offensichtlich auch hier für eine von der eigentlichen Funktion unabhängige Belohnung sorgt (und dadurch die Funktion unter Umständen zusätzlich absichert).

Das waren einige »impressionistische« Beobachtungen, die den Leser in die Problematik einführen sollten. Nun ist es aber an der Zeit, sie in eine theoretisch stringentere Sprache zu übersetzen.

Zu den charakteristischen Eigenschaften der Anhäufung von Gleichem gehört der Umstand, daß sie ein Aggregat darstellt, zu dem nur eine unter den unzähligen möglichen Kombinationen von Elementen führt. Durchgehende Gleichheit ist das einfachste Ordnungsprinzip, das sich denken läßt, und im Homokumulat wird dieses Prinzip mit einer Konsequenz verwirklicht, die jeden Zufall, d.h. jede Unordnung ausschließt. Für solche Phänomene gibt es jedoch eine konventionelle Bezeichnung: das Homokumulat ist ein Gebilde, innerhalb dessen die Entropie (als die Anzahl der möglichen alternativen Zustände des Aggregats) den Wert null aufweist. Und damit wird klar, daß die Dinge, die ich unter meinem Grundbegriff subsumiere, in eine physikalisch-kosmologische Dimension hineinragen.

Was uns dazu wahrscheinlich als erstes einfällt, sind die allgemeinen, fast philosophischen Implikationen des zweiten Gesetzes der Thermodynamik: vor unserem Auge erscheint das Bild vom Lebewesen als einem einsamen Schwimmer, der gegen den unerbittlichen Strom der zunehmenden Entropie ankämpfen muß, und irgendwie leuchtet es ein, daß ihm solche offenbar noch nicht vom Universaltrend befallenen Inseln bei seinen Bemühungen ungemein entgegenkommen. Aber der Sachverhalt läßt sich noch wesentlich präziser ausdrücken, wenn man seine rein praktische, technologische Seite hervorkehrt und sich daran erinnert, daß der Begriff der Entropie als der letzte theoretische Niederschlag jener Probleme auftauchte, auf die die frühen Ingenieure bei der Verbesserung der Leistung der Dampfmaschine gestoßen sind. So gesehen ist eine Anhäufung von Gleichem als entropiefreies Gebilde ein Aggregat, dessen Energie zur Gänze in Arbeit umgesetzt werden kann, und mithin unter allen vergleichbaren Aggregaten das potentiell effizienteste.

Demzufolge ist die Selektion nach dem Kriterium der Homokumulativität nichts anderes als eine Auswahl der wirksamsten Variante jeder Verhaltensmöglichkeit. Und Wirksamkeit zählt zweifellos zu den wichtigsten Bedingungen, die die Umwelteingriffe des Lebewesens erfüllen müssen; das ist das eigentliche Ziel und der Ursprung aller Intensivierung, Extensivierung, Bereinigung… des Verhaltens, sei sie nun inhaltlich oder formal motiviert.

Freilich muß ich dieses Lob etwas einengen. Ich spreche nur von einer ganz bestimmten Art der Wirksamkeit, die sich normalerweise auf eine Verstärkung des Effekts der ersten Einheit einer Anhäufung nach dem Grundsatz »Gleiches bewirkt Gleiches« beschränkt. Dabei ist die Wirkung einer zusätzlichen Einheit im allgemeinen Durchschnitt wahrscheinlich auch gleich groß wie die der vorherigen (= additive Synergie), was allerdings nicht ausschließt, daß bestimmte Einheiten wegen einer Stockung gar nichts bewirken und andere unverhältnismäßig viel (= multiplikative Synergie). Ab und zu geschieht aber noch etwas: es wird eine tückische Implikation der Steigerung sichtbar. Die beharrliche Anhäufung einer Komponente bedeutet eine latente Bedrohung für das bestehende Gleichgewicht, d.h. sie hat etwas Provokatives an sich, und wenn die Provokation gelingt und das Gleichgewicht tatsächlich zerstört wird, kommt es zu einer breiteren Umstrukturierung, die dem Menschen völlig neue Horizonte eröffnen kann (darauf bezieht sich unter anderem eine eigene, im Grundtext ausführlich dargelegte Nebenhypothese über sogenannte formal-homokumulierende Erfindungen), obwohl sie ihn manchmal wohl eher in große Schwierigkeiten bringt.

Alles in allem haftet dieser Unterform der Effizienz etwas Elementares, um nicht zu sagen: Primitiv-Keulenartiges an, und es gibt vermutlich nicht sehr viele Situationen, in denen man sie ohne Vorbehalt empfehlen könnte. Damit paßt es zusammen, wenn wir bei der Betrachtung von Verhaltensweisen, die eine Funktion wirklich optimal erfüllen, feststellen, daß sie meistens verschiedene Einzelmaßnahmen zu einem Paket zusammenschnüren. Soll die ideale Effizienzformel genannt werden,  dann gebührt der erste Platz eindeutig dem Schlagwort »kombiniere  Ungleiches« und allenfalls der zweite der Aufforderung »häufe Gleiches an«.

Doch leider können wir mit dem gutgemeinten Rat kaum etwas anfangen, weil die Formel nicht vollständig ist. Es läßt sich nämlich nicht einfach jede Maßnahme mit jeder anderen verknüpfen; wenn die Kombination einen Sinn ergeben soll, muß sie schon eine von den »richtigen« sein, und in diese Klasse fällt nur ein Bruchteil der theoretisch möglichen Kombinationen. Das gesuchte Rezept sollte also spezifizieren, welches Verhaltenselement B auf das Element A zu folgen hat, und dafür gibt es keine Universalregel, die unter allen denkbaren Umständen Effizienz gewährleisten würde. Außerdem sind die einzelnen Elemente der Kombination an und für sich oft kleine Homokumulate, was die zusätzliche Frage aufwirft, wie groß diese Homokumulate sein sollen, d.h. wie lange man Gleiches anhäufen darf und wann man zu einer anderen Maßnahme übergehen muß. Auch dafür ist kein allgemeiner Algorithmus bekannt, oder mit anderen Worten, es existiert keine komplexere Form (bzw. »Struktur«), auf die wir uns bei der Funktionalitätsbeurteilung automatisch verlassen könnten. Kurzum, die richtige Kombination von Verschiedenem müssen wir grundsätzlich von Fall zu Fall aufs neue (»punktuell«) herausfinden – da bietet sich eben keine generelle Strategie an.

Bei der Anhäufung von Gleichem gibt es hingegen keine derartige Ungewißheit, weil auf das Verhaltenselement A nur ein Element folgen kann, nämlich immer wieder A. Das Rezept ist also schon als solches hinreichend spezifiziert und kann sofort als Stanzform bei der Produktion von Verhaltensmöglichkeiten eingesetzt werden. Und seine Produkte werden im Prinzip in allen noch so unterschiedlichen Kontexten dieselbe Wirksamkeit entfalten, weil hinter ihnen eine vollkommen abstrakte, mathematische Charakteristik steht, die gar nicht versucht, irgendeiner konkreten Situation und ihren ganz besonderen Anforderungen gerecht zu werden, sondern sich auf die Beachtung eines universalen physikalischen Gesetzes beschränkt. Das ist zunächst einmal der Beweis, daß eine allgemeine Lösung des Effizienzproblems in der Tat möglich ist – aber eben nur eine, und diese ist schon allein deswegen die beste, die es gibt: indem sie jede Verhaltensmöglichkeit von vornherein zum Extrem treibt, tut sie anscheinend alles, was sich in dieser Hinsicht vorsorglich unternehmen läßt. Hinzu kommt aber noch, daß die Anhäufung von Gleichem eine unübertrefflich einfache »Anweisung« darstellt. Den Wert einer solchen Anweisung kann man ungeachtet aller oben geäußerten Bedenken nicht hoch genug einschätzen, also ist das Homokumulat ein überaus zweckmäßiges Filter.

Damit läßt sich zugleich auch unsere Rehabilitation der Gleichheit als solchen zu Ende führen: das Phänomen ist offenbar nicht nur theoretisch interessant, noch viel wichtiger ist nach all dem Gesagten seine praktische Bedeutung. Sicher, die Quelle der (Shannonschen) »Information« bleibt die Verschiedenheit (Entropie); sie spielt in unserem durch die Informationstheorie geprägten Weltbild die Rolle der eigentlichen Substanz und genießt auch dementsprechende Privilegien. Aber die allgemeine Effizienzformel basiert genau im Gegenteil auf reiner Gleichheit (und enthält, immer nach Shannon, so gut wie keine Information – darum kommt sie uns so einfach vor!). Dieser Umstand, der in der heutigen Diversitätseuphorie ganz untergeht, macht die Gleichheit der Verschiedenheit definitiv ebenbürtig, wie sie es bisher wohlgemerkt auch immer war. Ihre Funktion liegt nicht nur darin, daß sie uns auf Schritt und Tritt Einsparungen durch Vernachlässigung ermöglicht, sie liefert uns auch einen Generalschlüssel für wirksames Verhalten, und wir haben keinen Grund, ihr das mit jener Geringschätzung zu vergelten, die der Begriff »Redundanz« zum Ausdruck bringt.

 

Nutzlose und schädliche Nebenprodukte

Aus unseren Erfahrungen mit der Neugier geht allerdings hervor, daß trotz der durch entsprechende Filter zu erreichenden Funktionalitätsverdichtung kaum alle Produkte einer generellen Repertoirestrategie jedes für sich genommen nützlich sein dürften, obwohl sie so behandelt werden müssen, als ob sie es wären, weil das Problem ja gerade darin besteht, daß sie Nutzlosigkeit nur »vortäuschen« könnten. Von den theoretisch denkbaren Verhaltensinhalten sind wahrscheinlich nur einige wenige wirklich unersetzlich in dem Sinne, daß sie dem Lebewesen etwas ermöglichen, was ihm kein anderer Inhalt ermöglicht, und auch das Kriterium der Homokumulativität enthält nicht die mindeste Angabe darüber, welche das sind, weil es sich wie sein Gegenstück, nämlich die Neuheit, in einem allgemeinen, inhaltsneutralen heuristischen Wink erschöpft. Dem Rest, d.h. der überwiegenden Mehrheit der potentiellen Verhaltensinhalte bleibt also nur die Aussicht auf eine fakultative (arbiträre) Ausnutzung, aber vielen Neuheiten wird selbst die nie zuteil. Bei den Homokumulaten, die ungleich länger in einer Kultur herumhängen, ist die Lage vielleicht weniger eindeutig, doch kennt zumindest unsere Kultur sehr wohl Anhäufungen von Gleichem, die entweder gar nicht oder höchstens ganz am Rande einem konkreten Zweck dienen. Dadurch zerfallen aber die Früchte der Homokumulativitätsgier in zwei Klassen, deren Reflexion sich recht unterschiedlich gestaltet.

Funktional eingespannte Möglichkeiten mobilisieren natürlich allerlei inhaltliche Beweggründe; die Funktion ist die Hauptquelle der inhaltlichen Versteifung unseres Verhaltens. Und die kasuistische Logik dieses Inhalts verpflichtet so sehr, daß sie jeden anderen, zusätzlichen Anreiz entbehrlich zu machen scheint, was zwangsläufig zu Schwierigkeiten bei der Konkretisierung meines grundsätzlichen Funktionalitätspostulats führen muß. Welche tatsächlich nützlichen Verhaltensweisen verdanken wir eindeutig unserer Homokumulativitätsgier und keinem anderen Motiv? Der Grundtext widmet dieser vertrackten Frage etliche Seiten.

Im Gegensatz dazu werden die nicht eingespannten Möglichkeiten von keiner ähnlich zwingenden Erklärung in Beschlag genommen, ja an der betreffenden Stelle tut sich eine spürbare Lücke auf. Isoliert betrachtet bringen sie offenbar absolut keinen Vorteil; ist es also nicht sinnlos, sich mit ihnen zu befassen? Der Eifer, den sie auslösen, spitzt jenes motivationspsychologische Rätsel, das sich aus der inhaltlichen Unbestimmtheit unseres Verhaltens ergibt, gleichsam weiter zu. Das macht derartige Verhaltensideen recht auffällig und verlockend als Mittel der Beweisführung: je verrückter der Gegenstand unseres Welterotismus (nach utilitaristischen Maßstäben), desto überzeugender bestätigt er die Existenz eines anderen Motivationsprinzips. Und die Identifikation des von uns postulierten Motivs ist in solchen Fällen relativ am einfachsten. Aus allen diesen Gründen zusammen kommen die beiden Klassen von Möglichkeiten in meinen Analysen bei weitem nicht gleich gut zum Ausdruck – die unausgenutzten überwiegen so stark, daß sie das Gesamtbild unserer Homokumulativitätsgier wohl ziemlich bedenklich verzerren.

Doch wenigstens auf der Ebene der Theorie kann ich das korrigieren und einen Zusammenhang zwischen nützlichen und nutzlosen Anhäufungen von Gleichem herstellen, der die letzteren auf einem Umweg dennoch an das Zweckmäßigkeitsprinzip ankoppelt und ihnen ermöglicht, zumindest indirekt an der sich daraus ergebenden Intelligibilität zu partizipieren: sie sind nichts anderes als unvermeidliche Nebenprodukte eines inhaltlich indiskriminativen Umgangs mit Möglichkeiten, »Abfälle«, die sich bis jetzt keine richtige Aufgabe angeln konnten (was aber immer noch geschehen kann) und deshalb sozusagen die Effizienz im Leerlauf verkörpern. Soweit also Phänomene wie Spiel und Sport, Schönheit und Kunst, Gefühl und Erlebnis auf unsere Homokumulativitätsgier zurückzuführen sind, kann man sie als den sichtbaren Teil eines Eisberges auffassen, der als Ganzes durchaus einen utilitären Sinn hat, nur muß man diesen Sinn oft auf der Ebene des generativen Mechanismus als solchen suchen und nicht auf der Ebene seiner einzelnen Ergebnisse.

Wenn wir aber schon von seinen Nebenprodukten sprechen, dann gebührt unser Hauptaugenmerk einer anderen Gruppe von Verhaltensmöglichkeiten, die wir bisher der Einfachheit halber ausklammerten, nämlich solchen, die entweder dem Verhaltenssubjekt selbst oder seinen Mitmenschen eindeutig schaden. Inwiefern verändert sich seine Beziehung zu dieser Gruppe unter dem Einfluß seiner Homokumulativitätsgier? Zunächst einmal muß man analog zu unerkannter Nützlichkeit mit einer ebenso unerkannten Schädlichkeit rechnen, die sich für das ahnungslose Subjekt unter einem trügerischen Anschein der Harmlosigkeit (Irrelevanz in negativer Richtung) verbirgt. Außerdem gibt es erfahrungsgemäß viele wirklich irrelevante, d.h. an sich harmlose Möglichkeiten, die mit einer falschen Nützlichkeitserwartung verknüpft werden und uns dadurch zu einer unfruchtbaren, also im Endeffekt dennoch schädlichen Investition von Zeit und Energie verleiten. Dabei zeigt sich oft, daß die formale Belohnung durch eine extreme Anhäufung von Gleichem die richtige Beurteilung des Nutzens erheblich erschwert (wenn sie nicht sogar selber den ganzen Irrtum heraufbeschwört) und deshalb auch für den entsprechenden Teil des Schadens einstehen muß.

Am überraschendsten sind jedoch die voraussichtlichen Folgen im Falle einer klar erkannten Schädlichkeit. Die Homokumulativitätsgier muß man sich, nochmals, als ein generelles Motiv vorstellen, das jede extreme Anhäufung erstrebenswert erscheinen läßt; und wenn wir diese Generalität ernst nehmen, dann duldet sie natürlich keine Ausnahme, auch nicht bei Inhalten mit einem deutlich negativen Vorzeichen. Demgemäß mindert die Erkenntnis des Schadens nicht im geringsten die formale Faszination des Verhaltens, das ihn verursacht! Und das zu erwartende Gesamtergebnis aller drei Punkte ist eine sinnwidrige Begeisterung für zahllose Möglichkeiten, die man in Abwesenheit eines solchen Motivs glücklich umgehen würde.

Der tatsächliche Stand der Dinge bestätigt diese Prognose. Wenn man nämlich das lange Register unserer bedauerlichen Neigungen durchkämmt, stößt man immer wieder auf Verhaltensweisen, die erst dann richtig logisch werden, wenn man ihnen das Element einer von allen Inhalten losgelösten Jagd nach Intensität, Extensität, Reinheit und ähnlichen Zielen unterlegt – d.h. es läßt sich schon bei den heutigen Identifikationsmöglichkeiten mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit behaupten, daß der »abstrakte« Reiz der Anhäufung von Gleichem an ihrer motivativen Begründung zumindest mit beteiligt sein muß. Das genaue Ausmaß der Erscheinung kann freilich nur den Analysen selbst entnommen werden; wenn ich mich auch hier auf ein paar Stichworte beschränke, spannt sich der Bogen einer möglichen intrinsischen Anziehungskraft des Negativen als Form von unserer Destruktivität und dem Aberglauben über unsere Habgier bis hin zum Drogengenuß und zum Selbstmord.

Das von mir angenommene Motiv hat also nicht nur garantiert erfreuliche Auswirkungen; einige von seinen Konsequenzen sind vielmehr in höchstem Maße problematisch und kennzeichnen es als ein ausgesprochen zweischneidiges Schwert. Das ist offenbar der Preis für den Nutzen, einstweilen zwar allem Anschein nach kleiner als dieser, aber nichtsdestoweniger besorgniserregend hoch. Und man kann nicht das eine vom anderen trennen – man kann nur beides nehmen oder lassen.

Natürlich erregt schädliches, d.h. die Interessen der Gemeinschaft oder sogar jemandes eigenes Wohl gefährdendes Verhalten noch viel mehr Aufsehen als solches, das lediglich auf eine neutrale Art nutzlos bleibt: schließlich ist das der unverständlichste und schmerzlichste Punkt der gesamten Anthropologie. Hier verwickelt sich meine Theorie wieder in eine große Debatte, die die meisten Gemüter wahrscheinlich sogar stärker erhitzt als jene über Freiheit und Determination. Und ich kann zu dieser Debatte durchaus etwas beisteuern, nämlich den schon auf den vorangehenden Seiten zur Sprache gebrachten Gedanken, daß bei einer generellen Vorgangsweise eben zwangsläufig immer wieder danebengegriffen wird.

Genaugenommen operierten wir bei der Beschreibung der guten Dienste unserer Homokumulativitätsgier mit zwei Arten von Funktionalität, zum einen mit der Zweckmäßigkeit nach den Maßstäben einer einzelnen Situation und zum anderen mit der Zweckmäßigkeit nach den Maßstäben eines allgemeinen Naturgesetzes. (Vielleicht könnte man auch einfach von inhaltlicher und formaler Zweckmäßigkeit sprechen.) Der deutliche Unterschied, der zwischen diesen beiden Arten besteht, verwandelt sich anscheinend leicht in einen offenen Gegensatz und führt zu einer Kollision, bei der die grundsätzliche Nützlichkeit des dargelegten Prinzips mit seiner Schädlichkeit in einem konkret gegebenen Kontext zusammenprallt. Doch offenbar ist die globale Funktion wichtiger als die lokale Disfunktion; sie deckt solche »gelegentlichen« Negativitäten genauso wie Fälle eines fehlenden Nutzens, gleichsam wie ein Hut, unter dem sich alles nur Erdenkliche verbergen kann – und das ist eine Herleitungsmöglichkeit, die einiges besser begreiflich macht und dadurch so manche Erklärungsnot lindert.

Im allgemeinen ist das Vermeiden von schädlichem Verhalten ebenso lebensnotwendig wie das Praktizieren von nützlichem. Darauf beruhen erstens unzählige inhaltliche Spezifizierungen (»du sollst das und das nicht tun«) und zweitens eine generelle Attitüde der Vorsicht und des Mißtrauens, so charakteristisch für die Mehrheit des Lebendigen. Aber schon die Neugier bedeutet, wie gesagt, eine Negation dieser Haltung, weil sie ein ganz anderes, nämlich pauschal »erotisches« Verhältnis zur Welt einführt. Aus der Sicht der traditionellen Einstellung könnte man vom drohenden Verlust eines natürlichen Schutzmechanismus sprechen oder von einer sekundären Naivität, die sich unweigerlich von Zeit zu Zeit rächen muß. Und mit dem Auftauchen der Homokumulativitätsgier wird alles noch viel schlimmer: die Verhaltensmöglichkeiten lassen den Menschen nicht so schnell wieder los, und dabei gilt die Effizienzregel selbstverständlich auch für den Schaden, den eine schädliche Anhäufung von Gleichem anrichten kann. Ja die Verschärfung der Problematik im Vergleich zu einfacher Neugier ist nach meinem Befund so einschneidend, daß man in der Homokumulativitätsgier bei all ihren Vorteilen eine neue, spezifisch menschliche Quelle des Bösen erblicken muß.

An sich ist der Gedanke, daß aus der Form Böses erwachsen kann, übrigens nicht ganz unbekannt. In gewisser Weise antizipiert ihn schon die alte Klage darüber, daß der Mensch jedes Gefühl für das richtige Maß verloren hat. In dieser Interpretation erhält die Mäßigung, d.h. der Verzicht auf extreme Anhäufungen von Gleichem, den Status eines mit äußerster Anstrengung vielleicht doch noch zu erreichenden ethischen Ideals, was aus der Perspektive eines hemmungslosen Homokumulativitätsjägers auch stimmen dürfte, und die Begründung der Klage enthält die bisher beste Beschreibung unserer Homokumulativitätsgier; unter diesem Aspekt ist sie der Reflexion wohl am leichtesten zugänglich. Aber Sätze sind geduldig, und so läßt sich auch eine diametral entgegengesetzte Ethik entwerfen, die das Extrem verherrlichen und jede Mäßigung mit Spott und Hohn überschütten wird. Die moderne Kunst ist zum Beispiel voll von derartigen Szenen – ja es gibt kaum einen Topos, der für sie charakteristischer wäre. Die dadurch vollzogene Umkehrung der Vorzeichen, selber ein Kind der Homokumulativitätsgier bzw. ihrer kulturellen Rationalisierung, stellt einen folgerichtigen Bestandteil jenes breiteren Programms dar, das sich die radikale Fraktion des heutigen Zeitgeistes auf ihre Fahne geschrieben hat, nämlich der vollständigen Befreiung der menschlichen Begierde.

Doch das Ergebnis von gewissen Teilerfolgen ihres Feldzugs ist eine ziemliche Enttäuschung und oft eine regelrechte Karikatur der hochgeschraubten Erwartungen. Man versucht zwar diese Enttäuschung zu überspielen, indem man sich hartnäckig irgendwelche utopischen Situationen ausmalt, in denen angeblich alles ganz anders ausfallen würde, aber der tatsächliche Rechenfehler steckt höchstwahrscheinlich in der dogmatischen Annahme, daß unsere Gelüste »eigentlich« nur gut, d.h. moralisch einwandfrei sein können. Die Homokumulativitätsgier ist sicher ein Faktor (unter vielen), der die Richtigkeit dieser Annahme bezweifeln läßt, und eine typische Kontraindikation gegen freie Wunscherfüllung. Sie gibt nämlich tendenziell allen unseren Wünschen eine besondere Farbe und bestimmt den vermutlich wichtigsten Aspekt ihrer notorisch ungewöhnlichen Natur, weil sie, wie schon gesagt, jeden bestehenden Sättigungspunkt relativiert und ihn gewissermaßen in ein ausgeblichenes Stoppschild verwandelt, das immer öfter übersehen wird. Außer diesem Punkt kennen unsere Begierden jedoch gar nichts, was sie überzeugen könnte, daß sie wirklich an ihrem endgültigen Ziel angelangt sind: sie sind verdammt dazu, immer weiter ins Unendliche zu expandieren.

Deshalb »braucht« der Mensch grundsätzlich das gesamte existierende Quantum jedes materiellen oder immateriellen Dinges, das sich irgendwie denken läßt – also praktisch die ganze Welt – für sich allein und kann definitionsgemäß nie von irgendetwas genug kriegen. Eine solche Begierde radikal zu befreien hieße offensichtlich, alle Teufel von der Kette zu lassen. Das einfache Prinzip der uneingeschränkten Bedürfnisbefriedigung (falls es so etwas überhaupt geben sollte) kommt also für einen Homokumulativitätsjäger zweifellos nicht in Frage; seine Impulse müssen ständig kontrolliert und immer wieder rechtzeitig unterdrückt werden.

Konkrete Agenturen, die eine solche Aufgabe übernehmen können, sind andere Motive im Menschen selbst, meist stärker als seine Homokumulativitätsgier, andere Mitglieder der Gruppe oder der unpersönliche Druck der Gruppe als Ganzen bzw. ihrer Kultur, die dieses Motiv sonst nie so indiskriminativ in Schutz nimmt wie die heutige Ideologie der Befreiung der Begierde. Traditionell werden meist viele von seinen Erscheinungsformen heftig kritisiert oder einfach im Keim erstickt, zumindest bei gewöhnlichen Mitgliedern der Gruppe – einige wenige Privilegierte verschaffen sich dabei freilich oft einen Ausnahmestatus.

Im großen und ganzen verfehlt die Kontrolle auch nicht ihre Wirkung. In der Mehrzahl der Beobachtungsfälle erweist sich das Motiv als zufriedenstellend gezähmt und weicht dem Druck; bei vielen Erwachsenen hätte man sogar Grund, es als endgültig abgestorben einzustufen. Aber verlassen kann man sich auf solche Erfahrungen nie, denn ein gewisser Prozentsatz der unerwünschten Nebeneffekte scheint der Überwachung praktisch überall zu entgehen. Darum könnten frustrierte Perfektionisten leicht auf den Gedanken verfallen, hart durchzugreifen und die Homokumulativitätsgier ein für allemal auszurotten, koste es, was es wolle. Aber erstens ist das offenbar genauso unmöglich wie ein Stehaufmännchen flachzulegen und zweitens darf es wegen der vorherrschenden Nützlichkeit des Motivs auch gar nicht geschehen, d.h. die Kontrolle muß ihre Ambitionen zurückschrauben auf eine mehr oder weniger lückenhafte Schadensbegrenzung.

Das Böse, von dem wir sprechen, ist nur das andere Gesicht des Guten; beide entspringen derselben Quelle. Deshalb dürfen wir den hier postulierten Beweggrund weder unkritisch billigen und gewähren lassen noch in Bausch und Bogen verdammen und knebeln. Für unser Verhältnis zu ihm gibt es einfach kein bequemes Patentrezept, das wir in allen Situationen anwenden könnten, sondern wir müssen uns von Fall zu Fall aufs neue entscheiden: ist eine ganz bestimmte Verhaltensidee nützlich, dann soll die Homokumulativitätsgier – unsere und fremde – freie Bahn haben, ist sie jedoch schädlich, so muß man sich mit aller Kraft gegen dasselbe Motiv stemmen. Der Haken an der Sache ist allerdings, daß wir definitionsgemäß nicht wissen können, in welche Klasse wir die Idee einreihen sollen, und die Pointe einer generellen Repertoirestrategie ist ja gerade der Verzicht auf jede voreilige Bewertung, weil sich sogar hinter dem Anschein der Schädlichkeit ein so großer Nutzen verbergen kann, daß sich das Risiko lohnt! Ist es also überhaupt möglich, zu einem solchen Motiv die richtige Einstellung zu finden?

Auf den ersten Blick würde man das eher bezweifeln, weil die Praxis zu wilden Ausschlägen des Pendels neigt und das typische Bild einer Regelung bietet, die keine unumstrittene Richtgröße kennt: manchmal sind wir Zeugen von waghalsigen Vorstößen, die ohne Rücksicht auf Gefahr und ungeachtet aller partiellen Katastrophen eine Möglichkeit bis zum letzten erforschen, doch ebensooft begegnen wir einer reichlich übertriebenen und unnötigen Vorsicht, die vor dem eigenen Schatten zurückschreckt. Dabei sind die Rollen meist so verteilt, daß sich einige Mitglieder der beobachteten Gruppe auf die erste Reaktion spezialisieren und andere auf die zweite, je nach der individuellen Stärke ihrer Homokumulativitätsgier oder ihrer allgemeineren »Vitalität«, obwohl auch eine von diesen Reaktionen die Oberhand gewinnen und entweder den Leichtsinn oder die Hemmung einer ganzen Kultur als offizielles Leitbild aufdrängen kann.

Wenn wir jedoch beide Reaktionen nebeneinanderstellen und sie zu einer größeren zusammengehörenden Einheit verbinden, dann fällt die Antwort auf die oben formulierte Frage ganz anders aus. Wir erhalten nämlich eine Kombination, die den blinden Versuch mit einer kollektiven Versicherung gegen Irrtum vereint. Die für den einzelnen unlösbare Aufgabe, sich seiner Homokumulativitätsgier gegenüber »richtig« zu verhalten, kann also offenbar von einer Gruppe von einzelnen gelöst werden, deren Handlungen einander ergänzen. Bedingung dafür ist allerdings, daß sich die Mitglieder der Gruppe in ihrer Veranlagung deutlich genug unterscheiden; der wahre Sieger ist eine ausgewogene Mischung von Abenteurern und Angsthasen.

 

Eine angeborene Disposition?

Zu den Vorteilen der Methode, die ein Verhalten durch seine Funktion zu erklären versucht, gehört unter anderem der Umstand, daß man sich von ihr gewisse Hinweise über seine Entstehung beim Individuum und bei der ganzen Spezies versprechen darf: dient das Verhalten einem bestimmten Zweck, dann war dieser voraussichtlich auch die treibende Kraft im Hintergrund seines Werdegangs.

Wo könnte also ein so ungewöhnliches Motiv wie die Homokumulativitätsgier herrühren? Welche Prozesse setzten es und setzen es noch heute immer wieder in die Welt? Die genaueste Antwort auf solche Fragen ließe sich natürlich aus der Art und Weise seiner neurophysiologischen Verankerung ableiten. Da wir aber die nicht kennen, bleibt uns nur die Möglichkeit, aus gewissen äußeren, d.h. der Beobachtung unmittelbar zugänglichen Merkmalen des homokumulativitätsgierigen Verhaltens entsprechende Rückschlüsse zu ziehen. Im Grundtext spiele ich verschiedenste Argumente dieser Art durch; hier kann ich vielleicht noch eins nachtragen.

Unter den Erfahrungen, die einzelne Menschen und ganze Gruppen mit extremen Anhäufungen von Gleichem machen, sind viele unausbleiblich negativ. Das beginnt schon bei unseren frühesten Erlebnissen eines rein physiologischen Unbehagens und zieht sich hin bis zur abstrakten Erkenntnis der Sinnlosigkeit oder Schädlichkeit einer Verhaltensweise. Und solche Erfahrungen sind im Durchschnitt mindestens ebenso einprägsam wie ihre angenehmen Gegenstücke; wahrscheinlich wühlen sie uns sogar wesentlich stärker auf. Im Lichte dieser Tatsachen wird die vorbehaltslos positive Verallgemeinerung bzw. das blinde Vertrauen in das Extrem, das den Kern der Homokumulativitätsgier ausmacht, zu einem ziemlichen Mysterium. So etwas kann es offenbar nur dann geben, wenn die negative Empirie mit eiserner Konsequenz ignoriert wird: der Mensch muß über sie hinweggehen, als ob sie nicht vorhanden wäre, denn sonst würden sein »erotisches« Verhältnis zum Phänomen der Anhäufung in kürzester Zeit allerlei Zweifel zerfressen.

Irgendetwas ist also imstande, eine von den beiden Seiten unserer Erfahrung einfach wegzuzaubern und uns gegen ihre emotionalen Auswirkungen zu immunisieren. Auf jeden Fall muß das eine Instanz sein, die selber außerhalb der Erfahrung steht und nicht von ihr abhängig ist. Weil aber der Begriff der Erfahrung alles umfaßt, was uns auf dieser Welt zustößt, bleibt anscheinend nur eine Auslegung übrig: wir müssen einen Ansatz zu dem hier postulierten Motiv schon auf die Welt mitbringen.

Daher meine Vermutung, daß wir es mit einer angeborenen Disposition zu tun haben, also mit einem Programm in unserem Genom, das zumindest in groben Zügen die Anleitung zum Aufbau des entsprechenden neurophysiologischen Mechanismus enthält und seinerseits das Produkt einer Mutation oder einer Gruppe von Mutationen darstellt, die sich im Sinne der Erschaffung einer Überlebensnische – oder, wie man es früher auszudrücken pflegte, im Sinne der Anpassung – als vorteilhaft erwiesen haben und deshalb durch natürliche Auswahl für die ganze Art charakteristisch geworden sind. Hinsichtlich des Ursprungs besteht demnach ein kategorischer Unterschied zwischen dem Mechanismus als solchem und seinen Ergebnissen, nämlich den konkret erschlossenen Anhäufungen von Gleichem; diese sind selbstverständlich ontogenetisch bzw. kulturogenetisch erworben, während sich die Gier nach ihnen als eine phylogenetische Konstante zu vererben scheint. Man könnte fast von einem »Instinkt« oder einem »automatischen Reflex« sprechen, jedenfalls von einem Faktor, der nichts mit der individuellen Biographie zu tun hat und deshalb ihren entmutigenden Zufällen einen beachtlichen Widerstand entgegensetzen kann.

Eigentlich ist das damit umrissene Entstehungsmodell gar nicht besonders originell. Im wesentlichen habe ich es nämlich von der Neugierforschung übernommen, wo es allgemein akzeptiert wird. Wenn man alle Parallelen zwischen den beiden Motiven auf dem Gebiet der Substanz und der Funktion bedenkt, wird es ziemlich unwahrscheinlich, daß sie ausgerechnet in bezug auf den Ursprung nichts Gemeinsames haben sollten – das ist möglicherweise ein weiterer Umstand, der für meine Variante der Erklärung spricht. Zwar ist die Homokumulativitätsgier allem Anschein nach eine exklusive Besonderheit des Menschen, aber es steht ja nirgends  geschrieben, daß wir die Existenz von rein menschlichen Instinkten a priori ausschließen müßten, zumal da ich bei diesem Motiv wie schon bei der Neugier natürlich nicht jenen klassisch »instinktiven« Algorithmus zu entdecken versuche, der eine ganze Reihe von erstaunlich konkreten inhaltlichen Spezifizierungen zu einer sinnvollen Einheit verschmilzt. Den Berührungspunkt sehe ich nur in der automatischen Reaktion auf einen einzelnen (unverketteten) Schlüsselreiz, der dazu noch äußerst abstrakt bleibt und sich inhaltlich durchaus mit der Idee einer tabula rasa verträgt.

Gewisse moderne Denkschulen würden übrigens die Behauptung, daß die Funktion jener Motor war, der den oben geschilderten genetischen Prozeß mit Energie versorgte, sogar weiter zuspitzen und sagen, daß es dabei um die Erkenntnis der Funktion gegangen ist. Und auf der anderen Seite hat auch das Ergebnis, nämlich das Sammeln von Erfahrungen mit bestimmten Verhaltensmöglichkeiten, ganz offensichtlich etwas Erkennendes an sich. Demnach gibt es also gleich zwei Ebenen, auf denen meine Hypothese mit den Problemen der Kognition in Verbindung gebracht werden kann, erstens die Ortho-Ebene der einzelnen Homokumulate und zweitens die Meta-Ebene der allgemeinen Gier nach solchen Gebilden. Allerdings handelt es sich normalerweise weder hier noch dort um jene orthodoxe Art der Erkenntnis, von der die traditionelle Epistemologie auszugehen pflegt, sondern um zwei jüngere Ausweitungen dieses Begriffs, die aus Angst vor seiner möglichen Verwässerung von vielen abgelehnt werden.

Was beiden vielleicht am meisten abgeht, ist das klassische erkennende Subjekt. Die Erkenntnis, die hinter der Homokumulativitätsgier als solchen steckt, ist nach meinem Dafürhalten eine Leistung unseres Genoms, also ein Teil jener phylogenetischen Weisheit, die allen Menschen schon in die Wiege gelegt wird. Der einzelne bewahrt sie zwar in sich auf und ist rein technisch gesehen ihr »Träger«, aber bis zum vorliegenden Buch hatte er von ihr praktisch keine Ahnung. Nach den Kriterien der orthodoxen subjektbezogenen Erkenntnis bin also in diesem Fall ich der erste, der die ganze vorgeschriebene Prozedur absolviert und das zu Erkennende tatsächlich erkannt hat. Wenn wir jedoch auch nichtklassische Extensionen des Begriffs zulassen, dann verblaßt mein Primat: irgend jemand, nämlich gerade unser Genom, hat die Gegend offenbar schon vor mir durchwandert und würde (wäre er, was er nicht ist) meinen aufgeregten Reisebericht lediglich mit einem gleichgültigen Nicken quittieren, denn für ihn sind die Zusammenhänge, die mir erst durch langjährige Denkanstrengung allmählich bewußt wurden, einfach selbstverständlich. Was braucht unser Genom zum Beispiel die moderne Physik! Auf seine Art ist es längst hinter die allgemeine Form des zweiten Gesetzes der Thermodynamik gekommen und hat sie für seine Zwecke ausgenutzt.

Im ersten Augenblick werden wahrscheinlich nicht wenige bezweifeln, daß so etwas überhaupt möglich ist. Zwar sind wir es schon gewohnt, daß uns die phylogenetische Weisheit der Lebewesen immer wieder überrascht, aber trotzdem, was zuviel ist, ist zuviel! Meine Antwort auf diesen Einwand geht dahin, daß auf der Ebene des mathematischen Modells jedenfalls ein äußerst einfaches allgemeines Rezept für Effizienz existiert; und diese Einfachheit und Anspruchslosigkeit muß grundsätzlich bei jeder Art der »Niederschrift« irgendwie zum Ausdruck kommen, also auch erstens bei der neurophysiologischen Kodierung des Rezepts – über ihre möglichen Elemente ist hier schon einiges gesagt worden – und zweitens bei der Fixierung der Anleitung für eine solche Kodierung in unserem Genom.

Worin die letztere bestehen könnte, das entzieht sich zwar natürlich völlig meiner Einbildungskraft, aber etwas kann man dennoch tun: man kann die Homokumulativitätsgier neben einen klassischen Instinkt stellen und sich fragen, was bei den zumindest ungefähr bekannten Möglichkeiten des Genoms wohl leichter zu reproduzieren sein dürfte, eine Serie von inhaltlichen Spezifizierungen mitsamt ihrer richtigen Reihenfolge oder eine Gruppe von allgemeinen Merkmalen, die die Identifikation der Anhäufung von Gleichem gestatten (wenn dafür überhaupt mehrere Merkmale nötig sind). Ist nicht gerade umgekehrt die zweite Leistung weniger erstaunlich? Zwingt uns nicht eher der klassische Instinkt, dem Genom fast schon übernatürliche Fähigkeiten zuzuschreiben? Und ist also meine Hypothese nach dem Maßstab der Realisierbarkeit des angenommenen genetischen Mechanismus nicht mindestens ebenso wahrscheinlich?

Doch möglicherweise bezieht sich unser Staunen im Grunde gar nicht auf solche Einzelheiten, sondern vor allem auf den Umstand, daß es ein derart einfaches und dabei zweckmäßiges Filter wie die Anhäufung von Gleichem überhaupt gibt. Für diesen Umstand habe ich freilich keine Erklärung parat; die Existenz der Gleichheit in unserem Universum kann ich nur als einen glücklichen Zufall zur Kenntnis nehmen. (Mystiker werden das Homokumulat vielleicht in ihre Sammlung von Beweisen für das sogenannte anthropische Prinzip einreihen, aber das ist nicht meine Wellenlänge.)

Und wie steht es mit jenen Erkenntnissen, die durch einzelne Anhäufungen von Gleichem verkörpert werden? Je genauer man sie betrachtet, desto deutlicher wird es, daß auch ihr Werdegang in den meisten Fällen kaum etwas mit dem orthodoxen Erkenntnisprozeß zu tun hat. Im Mittelpunkt des neurophysiologischen Räderwerks, das zu homokumulativitätsgierigem Verhalten führt, steht offenbar der Genuß, den der Mensch bei der Konsummation einer extremen Anhäufung von Gleichem empfindet, also die reine Lust mit dem voraussichtlichen Status eines primären Bedürfnisses. Die schwer zu erklärende, aber nahezu unwiderstehliche Anziehungskraft dieser »intrinsischen« Belohnung ist gleichzeitig auch alles, was der einzelne normalerweise bemerkt; daß die Sache einen verborgenen Zweck haben könnte, kommt ihm hier viel seltener in den Sinn als bei der Neuheit, wo die Zusammenhänge leichter zu durchschauen sind. Aber das ganze funktioniert trotzdem: indem er ahnungslos – der übliche homo non sapiens (und manchmal insipiens) – jenem konsummatorischen Kick nachjagt, den man der Form abgewinnen kann, wenn man sie nämlich extremalisiert, begibt er sich genau dorthin, wo ihn sein Genom haben will. Die Erkenntnis des Extrems fällt ihm als ein weder beabsichtigter noch überhaupt wahrgenommener Nebeneffekt in den Schoß.

Man könnte fast von einer List unseres Genoms sprechen, das den Formreiz gleichsam als Speck in der Mausefalle benutzt. Wie sehr es dem einzelnen mißtraut und alle Fäden selber in der Hand zu behalten versucht, ist wohl unübersehbar und angesichts der Zweideutigkeit der persönlichen Erfahrung auch vollkommen logisch. Und deshalb hat die Erschließung der einzelnen Homokumulate den Charakter einer spontanen Autoexplikation, bei der lediglich jener unendliche Möglichkeitsreichtum zutage tritt, der sich von Anfang an in der allgemeinen Effizienzformel verbirgt wie der Baum in einem winzigen Samen. Oder mit anderen Worten, ein erkennendes Subjekt ist wieder nicht involviert bzw. nicht notwendig.

Eine weitere Besonderheit des Homokumulats, die den kognitiven Kern der Homokumulativitätsgier noch mehr verschleiert, ist übrigens auch die relative »Primitivität« des psychischen Prozesses, dem es seine Existenz verdankt. Die meisten Anhäufungen von Gleichem sind reine Sinneseindrücke und lassen die typische Komplexität einer orthodoxen Erkenntnisleistung sowie die dazugehörige intellektuelle Anstrengung gänzlich vermissen – oder noch paradoxer, die Anstrengung ist zwar vorhanden, wird aber in einen der eben erwähnten primitiven Sinneseindrücke investiert. Darum ist man geneigt zu sagen: wenn das Erkenntnis sein sollte, dann höchstens von jener niedrigsten Art, für die das Wort eigentlich zu schade ist, weil es mehr ausdrücken kann. (Allerdings gibt es auch eine Gruppe von Fällen, in denen sich die Sphäre der klassischen Erkenntnisakte und der Einflußbereich der Homokumulativitätsgier überlappen. Näheres dazu im analytischen Teil des Grundtextes.)

Unter anderem bietet uns diese Entstehungstheorie eine sehr natürliche Erklärung für die negativen Auswirkungen des von uns postulierten Motivs. Wenn wir die auf den letzten Seiten benutzte Terminologie beibehalten, dann ist jene Erkenntnis des Genoms, von der sich unsere Homokumulativitätsgier herleitet, wie alle anderen Erkenntnisse nur eine Hypothese, d.h. ein Konstrukt ohne Richtigkeitsgarantie. Aufgrund der bisherigen Ergebnisse müssen wir zwar dem Motiv, wie gesagt, zumindest global und gleichsam aus der Vogelperspektive Zweckmäßigkeit zuerkennen: nach unseren Vorstellungen half es der Menschheit, die allgemeine Effizienz ihres Verhaltens zu steigern, und diese Steigerung war sicher ein wesentlicher Bestandteil ihrer Erfolgsgeschichte. (Wie die Zukunft darüber urteilen wird, bleibt allerdings grundsätzlich offen.) Doch bei einem Blick aus der Nähe kommen schon heute viele Einzelheiten zum Vorschein, die die Hypothese in Frage stellen; selbst wenn wir alle Überwachungsinstanzen mit einkalkulieren, auf die sich unsere Homokumulativitätsgier im stillen zu verlassen scheint, wird der Eindruck eines ausgesprochen groben und unvollkommenen Mechanismus kaum weniger stark. Auf der Ebene des konkreten Homokumulats steht unser Genom oft unglaublich dumm da, und das hat für den einzelnen auch hinreichend schmerzliche Folgen. Käme man einem solchen einzelnen mit dem anthropischen Prinzip, so würde er höchstens glauben, daß man ihn verspottet.

Das Phänomen ist bezeichnend für die natürliche Evolution, für die nur die augenblickliche Summe aller Folgen zählt: solange die Bilanz der Art einen Überschuß ausweist, bleibt der selektive Auftrieb erhalten, und da liegt auch die Grenze unserer phylogenetischen Weisheit. Einzelheiten sind für die Evolution völlig uninteressant – sie ignoriert sie genauso souverän wie jener General, der für den Sieg zigtausend Menschenleben opfert, ohne mit der Wimper zu zucken oder sich durch humanistische Proteste aus dem Konzept bringen zu lassen. In diesem Sinne ist also der Januskopf der Anhäufung von Gleichem eine durchaus normale Erscheinung.

Bei dem geschilderten Stand der Dinge überrascht es natürlich nicht, daß wir mit unserer Homokumulativitätsgier sehr leicht in Konflikt geraten und sie als etwas Zwanghaftes zu erleben beginnen, als eine merkwürdige Unfreiheit im Herzen der Freiheit und Beliebigkeit als solchen. Manchmal sehen wir klar und deutlich, daß ein bestimmtes Homokumulat nichts Gutes verspricht und daß wir die Finger lieber von ihm lassen sollten, aber unsere Gier nach ihm bleibt blind und zugleich unerschütterlich überzeugt davon, daß sie recht hat, wie es nun einmal typisch ist für Instinkte, die man seit jeher nicht durch Argumente zur Vernunft bringen kann und die auch stur bleiben müssen, damit sie ihre Funktion erfüllen. Sie verstehen sozusagen nur die Sprache der Macht; reicht die nicht aus, um sie zu bändigen, dann packen sie uns und schleppen uns mit über Stock und Stein bis zu einem oft bitteren Ende. Unter diesen Umständen verwandelt sich die Homokumulativitätsgier schnell in eine fremde, »unmenschliche« Kraft in unserem Innern, die wir gern loswerden möchten, aber nicht können, weil sie stärker ist als wir und mit uns machen kann, was sie will.

Das ganze ist ein altes Lied, das wir schon von anderen angeborenen Motiven her kennen – Spannungen zwischen Natur und Kultur sind eben unvermeidlich. Wenn meine Vermutungen über den Ursprung der Homokumulativitätsgier stimmen, dann haben wir es einfach mit einem weiteren Untersystem jener unpersönlichen Weltmaschine zu tun, in die wir als Lebewesen allesamt eingespannt sind.

 

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