Peul Werner, Muenchen D (1995)
DIE VERBURGEERLICHUNG DER BAUERLICHENBAUKULTUR IN OBERBAYERN IM 19. JEHRHUNDERTUNTER DEM EUNFLUSS DES HISTORISMUS
Bauerliche Baukultur - das bedeutet in Bayern etwa den Zeitraum von 1500 - 1900, also 4 Jahrhunderte. Das alteste noch vor Ort stehende Bauernhaus ist mit 1515 datiert, die jungsten, bereits in unserer Denkmalliste verzeichneten Bauernhofe stammen aus der Zeit vor und kurz nach dem II. Weltkrieg.
Die aus diesen 4 Jahrhunderten bauerlicher Baugeschichte noch erhaltenen Stuckzahlen lassen sich mit folgen Volumen-Symbolen veranschaulichen.
16.Jh. - eine Erbse (etwa 0,02%)
17.Jh. - ein Tennisball (etwa 1,98%)
18.Jh. - ein Fussball (etwa 13%)
19.Jh. - ein riesiger Medizinball (etwa 85%)
Es gibt in Bayern mittlerweile ganze Landkreise und Freilichtmuseen, in denen sich nur noch aus dem 19. Jh. Baudenkmaler erhalten haben. Die baulichen Veranderungen innerhalb dieser 4 Jahrhunderte sind umwalzend und durchgreifend, was bleibt, ist das Grundrissprinzip.
Alle oberbayerischen Bauernhoflandschaften sind primare Holzbauregionen - im Gebirge und im Voralpenraum ist der Blockbau dominierend, in den nordlichen Altsiedellandschaften der archaische Standerbau und deer daraus entwickelte Standerbohlenbau. Im Laufe der letzten Jahrhunderte kaam der Mischbau auf: Das Erdgeschoss wurde gemauert, zumeist nachtraglich. Die grosste Umwalzung bauerlicher Baukultur vollzog sich im 19. Jh. Schon ab 1800 wird der Blockbau fast vollstandig vom Massivbau abgelost. Viele der damals bestehenden Blockbauten wurden nachtraglich verputzt, womit auserlich ein Massivbau vorgetauscht wurde. Bis 1830/40 herrschen auch im Massivbau traditionelle nachbarocke, also bauerliche Formen vor. Spatestens seit 1850 tritt eine umfassende Verburgerlichung der Formensprache ein - der Historismus in allen seinen Spielarten wird auch auf dem Lande zur allgemeinen Mode, wobei es zu einer unbekummerten Vermischung nicht nur aller historischen Stile kommt, gelegentlich mischt sich auch altes bauerliches Formengut mit dem Formenschatz aller Neostile von der Neurenaissance uber Neugotik, Neuromanik bis hin zum burgerlichen Neubarock. Die Ursachen sind vielfaltig: - Holzmangel - Raubbau fur die Beheizung der Sudpfannen in den Salinen - fuhrte jahrhundertelang zu Bauvorschriften, die den Einsatzd von Holz einschrankten und zuletztz fast ganz unterbanden. - Die Gebaudebrandversicherung, bis in die jungste Gegenwart ein staatliches Monopol zwang durch ihre Pramienstaffelung zu feuersicherem Bauen.
- Der modische Trend zum Massivbau war besonders ausschlaggebend - in einem alten Holzhaus fuhlten sich nun viele reichere Bauern als ruckstandige Hinterwaldler, jeder trachtete nach einem reprassentativen Steinhaus. Sie um 1850 einsetzende grossburgerliche Mode, sich am Lande Villen fur die "Sommerfrische" zu schaffen, lieferte ebenso Vorbilder fur stadtische Gestaltung wie der Wiederaufbau ganzer Stadte, die nach den letzten grossen Sstadtbtanden um 1850 meist ganzlich in historisierendem Stil erfolgte.
Der Bau der ersten Eisenbahnen sorgte fur Mobilitat: Die landlichen Baumeister holten sich ihre Ideen furs "zeitgerechte" Bauen in den Stadten und auch fremde Baustoffe konnten uber grosere Strecken transportiert werden - z.B. der Mauerziegel.
- Die Verburgerlchung vollzog sich in vielen Schritten. Materielle und funktionelle Anderungen:
- Massivbauweise
- Teilweise enorme Vergroserung des Hauses
- Streckung der Hohenentwicklung
- hohes Dachgeschoss (Mezzanin) mit eigenen querrechteckigen Fenstern
- Vergrosserung der Fenster
- Gestalterische Anderungen
- Die zuvor asymmetrischen Fassaden, aus den, alten Grundriss-Schema abgeleitet, werden nun in eine monumentale Symmetrie gepresst
- die oft ums ganze Haus umlaufenden Holzlauben werden aufgegeben und durch winzige Eisenbalkone in filigranen Konstruktionen ersetzt.
- Die Neostile erobern fast jede Fassade, beginnend mit einfacher derber Eckrustizierung, uber Lisenen - und Gesimsbildungen bis hin zu reeichster Ornamentik in unbekummertem Durcheinander.
- Anstelle punktueller farblicher Akzentuierung oder traditioneller Ornamentik in unbekummertem Durcheinander.
- Anstelle punktueller farblicher Akzentuierung oder traditioneller Ornamentik an einigen bestimmten Teilen der Bauglieder wird nun vielfach eine ganzflachige Bemalung aller Holzteile vorgenommen . die Chemie liefert nun billige Farbe in grossen Mengen.
- die alten Dachneigungen - flaches Legschindeldach, steiles Strohdach - werden ersetzt durch ein mittelsteiles Dach fur Falzziegeldeckung; zahlreiche Dachstuhlumbauten verunklaren und verwischen die einst klaren Grenzen der Dachlandschaften.
Fazit: Die grosse Masse der phantasielosen und kummerlichen Massivbauten mit sparlichem Einsatzd von Rustizierung oder Bandergliederung und Fensterumrahmung wird uberragt von einer Reihe aussergewohnlich reich gestalteter Bauten mit ausgewogener farbiger Stuckierung. Einige Hofe aber sind so phantastisch und formenreich gestaltet worden, dass sie wohl weltweit zu den schonsten Bauernhofen des 19. Jh. zahlen.