Paul Werner, Muenchen D
ZUM MOTIV DER ARMA-KREUZE UND ZUM WESENDER FLURDENKMALE
In ihrer oft verwirrenden Vielfalt und Vieldeutigkeit sind Flurdenkmale echte Zeugnisse des menschlichen lebens. Unter den Gemeinsamkeiten tritt das Religiose und Schicksafte in den Vordergrund, ferner die Bindung an eine bestimmte Stelle in der feien Natur. Flurdenkmale gelten vor allem als Signatur alter bauerlicher Kulturlandschaften und als Zeichen ihrer religiosen Traditionen. Jedenfalls bewahren Flurdenkmale die vergeheden Spren anonymer menschlicher Schicksale. Sie sind bleibende Erinnerung an vergangene und vergehende Generationen, sie sind die "Botsxhaft von den kleinen Dingen", von den Hohepunkten, Tiefpunkten und Endpunkten alltaglicher Lebenslaufe. Viele Flurdenkmale sind schlicht und anspruchslos gestaltet; sie erheben keinen Anspruch auf hohere Bedeutsmkeit. Dafur sind sie oft Zeichen von tiefer Frommigkeit und ruhrendem Gottvertrauen. Manches gestammelte Wort frommen Dankes, manche innige religiose Empfindung hat sich in einfachen Malen am Wegesraned erhalten. Flurdenkmale sind mitunter Merk-Male erlittener Angst und Not, aber auch glucklicher Erlosung aus hoffnungsloser Lage. In vielen Flurdenkmalen haben bitten, Furbitten und Gebete, Gelubde und fromme Versprechen Gestalt angenommen; sie sind steingewordene Seufzer und Tranen. Bauerliche Flurdenkmale erzahlen neimals das Marchen einer heilen Welt oder guten alten Zeit, sie sind der Spiegel harter Alltagsrealitat und somit ein echtes volkskundliches Zeugnis. Sie geben Aufshluzuber die alltagliche Lebensweise und die guten, zumeist jedoch uber die bosen und uber die Notsituationen im Leben des einzelnen oder auch der Gemeinshaft. Sie belegen vielfach aber auch Brauche und Sitten und bringen vor allem das Glaubensleben, die Einstellung des einfachen Menschen zu "seimem" Got und zu "seinen" Heiligen zum Ausdruck. Zum Gestambild der abendlandischen Kulturlandshaft gehorten nicht nur die Kirchenbauten mit dem Reichtum ihrer Stilformen, sondern auch die ungezahlten schlichten Kappelen, die einfachen Feldkreuze, Bildstocke, Suhnekreuze und Totenbretter, die einst in viel groserer Zahl die Wege saumten.
Von allen diesen Bildern wirkte das Motiv der Arma Christi wohl am gewaltigsten - gerade weil es keine kunstlerisch gestaltete Einzelszene war, sondern eine Komposition von Marterwerkzeugen und Leidenssymbolen, welche das ganze martyrium Christi mehr symbol als bildhaft in einer einzigen, wahrlich "unbeschreiblich" drastischen Darstellung zusammenfaste. Es ist bezeichend, das dieses Motiv in der Volkskunst wesentlich beliebter war als in der bildenden Kunst der Hochkultur und manche Bauernstube aber auch manche Stelle in der freien Flur zum Andachtsraum machte. Der bauerlichen Spiritualitat kam diese abstrakte, oft derbe Form des Andachtsbildes wohl noch mehr entgegen als dem an den Werken der Hochkunst, geschulten Auge - denn die Motive waren nicht nach einem asthetischen Kanon, sondern nach einem religiosen Bedurfnis ausgewahlt und angeordnet. Da die breite Masse unseres Volkes erst mit der Einfuhrung der allgemeinen Schulplicht nach 1800 lesen lernen konnte, bewegten bildhafte Darstellungen von besonderere Eindringlichkeit fast zwangslaufig die Gemuter unserer Vorfahren. Dennoch ist es erstaunlich: Vom 14. bis zum 19. Jahrhundert gehoren die Arma zum festen Bestandteil der volkstumlichen Zeichen und Bilderwelt.
Jesus hat in allen diesen Arma-Kompositionen subjektiv alle Leiden gelitten: Er habe gelitten druch Heiden und Juden, durch Manner und Frauen, durch die fuhrende, durch die gehorchende, durch die freie Schicht des Volkes, durch Vertraute und Bekannte. Er habe die shlimmsten Erfahrungen erleben mussen, Flucht der Freunde, Verleumdungen und ubelste Beschimpfungen, tiefste Verletzung des Schamgefuhls durch vollige Entblosung, seelisch tiefste Trauer, hochsten Ekel, groste Furcht, korperlich die Geiselung und die Kreuzigung. Er habe an allen Gliedern gelitten, am Kopf durch die Dornen, im Gesicht durch Schlage und Speichel, an Handen und Fussen durch die Nagel, am ganzen Korper durch die Geiselung; er habe durch alle Sinne gelitten, er habe Geiselung und Kreuzigung gefuhlt, Essig und Galle geshmeckt der Verwesungsgeruch der Schadelstatte gerochen, Mutter und Lieblingsjunger weinend unter dem Kreuz stehend gesehen. Die Meditation arbeitete an einer steten Erweiterung der Visionen der Qual: Armakreuze standen in den Herrgottswinkeln der Stuben, sie hingen an den Hauswanden, an Stall oder Scheune, sie ragten als Feld und Wegkreuze, gelegentlich aber auch al Grabkreuze mahnend in den Himmel. Das Arma Mootiv fand sich auf Hinterglasbildern und Wachsstocken, in Betrachtungs und Andachtsbildern, auf Medaillen und in Flaschen als Eingericht. Auch Scherenschnitte und Kupferstiche sind in groser Zahl erhalten. Rosenkranze schmuckte man durch die aus Knochen oder Silber hergestellten Symbole der 5 Wunden. Arma finden sich aber auch auf Bauernschranken, auf Truhen und Bettgestellen. Zur Verzierung der geweihten Osterbutter dienten eigene Rollenmodel mit der Arma. Sogar auf Glasgefassen, auf Porzellan und auf Rinten tauchen die Marterwerkzeuge auf. Am sorgfaltigsten gearbeitet sind die Versehkreuze, die man dem Sterbende in die Hand druckte, vielerorts aber auch taglich auf das aufgebettete Kopfissen legte. Am auffalligsten sind heute noch die Weg und Feldkreuze. Sie wurden stets an besonderen Stellen errichtet, an Weggabelungen, Brucken, an hochgelegenen Aussichtspunkten und an Besitzgrenzen; und es herrschte ganz allgemein der Brauch, gerade vor diesen Kreuzen innezuhalten, den Hut zu ziehen und zu beten.
Arma-Kreuze sind das "katolischste" aller Flurdenkmale und ein unverwechselbares identitats merkmal vershiedener kulturlandschaften.