Marko Košan

Der englische Bildhauer Barry Flanagan umschrieb in den 60er Jahren während des Studiums an der berühmten Londoner Martin School of Art in einem seiner Briefe an Professor Anthony Caro den Bildhauer als »dreidimensionalen Denker«, womit er wahrscheinlich sagen wollte, daß dem Bildhauer unter allen anderen Künstlern eigen ist, mit Form, Materie und Raum zu denken. Mit denselben Worten würde man einfach und wirkungsvoll wohl auch den kreativen Impuls von Naca Rojnik umschreiben können. Obwohl sie bei ihrem künstlerischen Schaffen in den ersten Jahren nach dem Studium aus poetisch umgestalteten, aber realistisch soliden figuralen Modellen mit klassischen und zuweilen auch geistreichen, manieristisch übertriebenen Proportionen ausging, war die ganze Zeit hindurch klar, daß sie in erster Linie die erbebte Fläche betont plastischer Körper interessiert, die von tausenderlei Berührungen durchknetet sind, die der Geburt der Form eine ausgesprochen persönliche, nahezu erotisch elementare, noch mit einer sekundär aufgetragenen Schicht Inkarnatrot verstärkte Beziehung verleiht. Rojnik scheint das Modellieren in Ton stets als geheiligten kreativen Prozeß der unaufhörlichen Hinzufügung von Material und zugleich als dauernde Herausforderung aufzufassen, die endgültige Realisation in einer ideal einheitlichen und wirkungsvollen, absolut vollendeten Form zu erhalten. Der vollplastische Illusionismus der Skulpturen war meist nur Mittel und nicht Zweck, was auch die zahlreichen, bloß reliefartig ausgeführten»Skizzen« zeigen, die im Sinn einer Art Erprobung der malerischen Wirkungen der bildhauerischen Oberflächentextur aneinandergereiht sind. Ebenso sprachen die metaphorischen inhaltlichen Akzente der einzelnen Skulpturen den Betrachter niemals direkt an, sondern versteckt und lediglich als nicht erkennbares, zweideutiges Symbol und zu sich und in sich gekehrte Referenz.

Der fragmentarische formale Aufbau der Torsos, die in Rojniks Werken als eigentümlicher, aber logischer Übergang zur Gestaltung geläuterter und befreiter abstrakter Formen eines üblicherweise verkleinerten und als überraschendes Novum auch ausgesprochen monumentalen Formats zum Ausdruck kommen, deutete offensichtlich einen Zustand krampfhafter Erwartung an und machte sich in den neuesten, auf dieser Ausstellung erstmals gezeigten Arbeiten ohne Zitierung konkreter Formen aus der Natur, jedoch mit klarer Anknüpfung an frühere Realisierungen breit und erfüllte sie mit völlig neuer Energie und suggestiver bildnerischer Kraft. Der latente Vitalismus, von dem Rojniks bildhauerische Lösungen jedesmal durchdrungen waren, bekam ungeheuren Auftrieb und fügte sich in das allusive anthropomorphe Zittern der malerischen skulpturalen Organismen ein, die eine hieratische Statik der geometrischen Volumen, aus denen sie sich jeweils winden, durch die vegetabile innere Dynamik vermeiden. Die riesigen Kegel ragen deshalb aufgrund einer Art von innerem natürlichem Wachstum in die Höhe, die an den Wänden aufgehängten, ungewöhnlich verdickten Rechtecke und Quadrate rollen sich, weich gerundet, in sich selbst ein und halten hinter den geschürzten Lippen, die laszive Risse und Spalten verdecken, jedes Wort und jeden geradlinigen Gedanken in den geheimnisvollen Eingeweiden zurück. Das organische Erzittern der großen, aus unbestimmbarem Kunststoff geformten und mit zweideutigen und rätselhaften Titeln bezeichneten Objekte ruft beim Betrachter das Gefühl unmittelbarer Präsenz hervor, die jedoch nicht beruhigt, sondern von Unbehagen und einer stummen Bangigkeit erfüllt ist, wie wir sie immer in der Konfrontierung mit dem Unbekannten spüren. Dieses Erzittern wird mehr als offensichtlich aus dem sehr intimen Empfinden der Bildhauerin gespeist, weshalb es vom Betrachter keine meditative Vertiefung in irgendeine Botschaft fordert, sondern nur ein visuelles sinnliches Umfassen der Plastizität der Skulptur, die das physische und geistige Ambiente des Ausstellungsraums auch aufgrund ihres monumentalen Formats entschieden, aber trotzdem niemals aggressiv ausfüllt.

Die zusammengesetzten, reliefartig an der Wand hängenden Objekte mit graphisch ausgeführtem Spiel der Linien und Zeichen wirken zwar als emblematische Symbole (sicherlich können deshalb Bedeutungen oder sogar explizite Geschichten aufgespürt werden), bleiben jedoch in ihrem Wesen ebenso im Rahmen eines feinfühligen Spiels mit der abstrakten »Grammatik« der Fertigkeiten bildhauerischen Schaffens. Jedenfalls beschäftigt sich Naca Rojnik lieber mit Formen als mit Konzepten: Es geht ihr unendlich mehr darum, Kunst in der unmittelbaren Berührung mit den Händen hervorzubringen, als über sie nur zu reflektieren. Man könnte also ohne Vorbehalt sagen, daß ihre Beziehung zur Gestaltung des skulpturalen Volumens ganz klassisch ist, sie ist nur von einer völlig neuen, nicht traditionalistischen Auffassung vom Status des bildhauerischen Objektes und dessen aktiven Rolle bei der Reaktion auf den Betrachter erfüllt. Rojniks Plastiken sehen wie eine sehr persönliche Neubewertung des klassischen Handwerks aus, das sich in den Früchten der Zufriedenheit bei der Arbeit mit den Händen und in der herausfordernden Erprobung intriganter und nicht einzufangender Wirkungen der beendeten Arbeit realisiert. Dabei ist aber ihr künstlerisches Schaffen raffiniert, was letzten Endes dasselbe wie vertieft und ernst bedeutet, was auch in einem klugen, erlösenden Maß an Relativität bei allen verwendeten Extremen zum Ausdruck kommt.