| Pino Poggi |

| izhod |


| Pino Poggi |

 

 

 


Rolf Dietmar
LIBRI / BÜCHER

Bücher nehmen in Leben und Werk Pino Poggis eine zentrale Stelle ein. Sein Verhältnis zum Buch ist besonderer Art. Viele Künstler fuhren Tage- und/oder Skizzenbucher: Tagebücher, in denen sie für sie wichtige Ereignisse oder Ideen

chronologisch notieren - Skizzenbücher, in denen sie Vorarbeiten für ihre Werke oder Aktionen leisten und aus denen sie ihre Arbeiten entwickeln. Manche Künstler fuhren Tage- und Skizzenbucher nebeneinander, andere eine Mischform aus Tage- und Skizzenbuch. Auch Poggi hat von 1964 bis 1979 ein Tagebuch geführt: das “Diario” - einen dreiteiligen Paravant aus 180 X 59 cm großen “Blattern”, die er zunehmend mit Bildern, Texten und Notizen collagierte. Was dieses “Diario” von anderen Tagebuchern unterscheidet, ist weniger das Fehlen einer exakten Datierung der Ereignisse, als vielmehr die Unmöglichkeit, deren Abfolge auch nur annähernd zu rekonstruieren. An die Stelle eines Nacheinanders vieler Seiten, die im Tagebuch die zeitliche Aufeinanderfolge der Ereignisse bestimmen, ist das Nebeneinander von Ereignissen auf großen Flachen getreten. Nur das Ereignis selbst ist wichtig. Unerheblich ist für Poggi, wann es geschah. Auch das Nacheinander der Ereignisse spielt für ihn keine Rolle. Was ihn am herkömmlichen Tagebuch stört, ist die durch die Abfolge der Seiten vorgegebene Isolierung der Ereignisse. Das Aufschlagen des Buches beschrankt den Blick auf das einzelne Ereignis unter Ausschluss der auf den früheren Seiten verzeichneten Vergangenheit ebenso wie der auf den folgenden s Seiten verzeichneten Zukunft. Für Pino Poggi ist wichtig, das, was er heute erlebt, mit der Gesamtheit dessen zu konfrontieren, was ihn gestern, vorgestern oder vor Jahren bewegt hat. Das “Diario” ist nicht nur ein “offenes” Tagebuch, das die Gesamtschau auf die Erlebniswelt des Künstlers freigibt; es gestattet Poggi auch, den Stellenwert von Erlebnissen durch räumliche Zuordnung zu anderen Erlebnissen auszudrucken.

Eine ähnliche Idee hat Poggi 1971 in “C'era una: volta” (Es war einmal) realisiert: Ein Blick aufs die Vergangenheit aus der Gegenwart anhand von Zeitschriftenausschnitten mit Hilfe eines Leporellos, das sich zu einem Band von 26 Metern Lange auseinanderziehen laßt. Das Nacheinander der Vergangenheit wird zum Nebeneinander der Gegenwart.

In den Jahren 1965 bis 1973 hat Poggi eine Reihe von Künstlerbuchern geschaffen, deren jedes sich mit einem bestimmten, ihn bewegenden, Thema befaßt. Poggi nennt sie Konzeptbucher (Libri concettuali), weil sich für ihn bereits mit der Realisierung im Buch das jeweilige Projekt erledigt hat. Korrekter wäre die Bezeichnung “Projektbucher”: lhr Gegenstand ist ein Projekt, zu dessen konkreter Realisierung das Buch Begründung und Losungsvorschlage liefert. ”Cultur'ruralita” befasst sich mit der Anpassung der Architektur an die Landschaft; “Lettura abitabile” (Bewohnbare Lektüre) entwickelt Möbel in der Form von Buchstaben; “Pedagogia” beschäftigt sich mit neuen Spielen für Kinder, “Cultur'ruralita ll” mit dem Verschwinden des Baums aus der Umwelt des Menschen.

Echte Konzeptbucher hingegen sind “Mi consumo” und “lo mi consumo” (beide 1974). In “Mi consumo” (Ich verbrauche mich) verbraucht sich ein Bleistift durch die Niederschrift der Worte mi consurno auf den Seiten des Buches bis auf einen nicht mehr verwendbaren (am Ende des letzten Kapitels eingeklebten) Stumpf. In “lo mi consumo” (Ich verbrauche mich) findet der gleiche Vorgang statt, nur wird hier als Spur auch der beim Anspitzen des Bleistifts anfallende Abfall des Holzkörpers im Buchrucken aufbewahrt.

Seit 1968 entstehen neben den Projektbuchern auch Buchobjekte. Das Buch wird dem Leser als Buch entzogen und zum Instrument der Realisierung einer bestimmten Idee. So werden in “Un archivio per libro come si deve” (Ein Bucharchiv, wie es sich gehört) alte Bucher verschiedener Formate in einen Käfig aus Flacheisenbändern eingeschlossen, aus dem sie sich nicht mehr befreien lassen, da das Schloß zwar vorhanden, jedoch verrostet, zerstört und mit dem Käfig verschweißt ist.

Wichtiger noch sind die etwa zur gleichen Zeit (ab 1967) entstandenen Buchskulpturen (Libri sculture). Es sind dies lesbare (!) Bücher in Form von Skulpturen, deren Seiten aus Holztafeln und deren Bindung aus einer gitterartigen Eisenplastik besteht, die gleichzeitig die Funktion eines Lesepultes erfüllt. Mit seinem “Libri sculture” will Poggi die übliche Konsumentenhaltung des Lesers überwinden, der gewohnt ist, ein Maximum an Lesestoff mit einem Minimum an Aufwand zu verschlingen. Das Umblättern der einzelnen Holztafeln ist langwierig und erfordert Mühe und Geschicklichkeit; Text und Abbildungen sind auf ein Mindestmaß reduziert. Die »Libri sculture« sind ein für Poggi spezifischer Ausdruck seines persönlichen Kunstverständnisses. Kunst ist für ihn ein nicht notwendig auf den Künstler selbst beschrankter schöpferischer Vorgang, sondern ein von ihm ausgeloster Prozess, der sich auf den Betrachter erstreckt und diesen in eine produktive Mitwirkung einbezieht.

Das für Poggi charakteristischste und wichtigste Buchobjekt ist sein riesiges “Pentale”. In fünfmonatiger Arbeit entstanden, verarbeitet es die Tagesnachrichten aller ihn beschäftigenden sozialen Themen für diesen Zeitraum. Ein hoher Stander mit großen Holztafeln, die sich auf dem Boden in einem farbigen Streifen fortsetzen, der in einem Kreuz endet - einerseits gestaltetes Kunstwerk, andererseits Arbeitsinstrument seiner Arte Utile. Aus dem “Pentale” und den Reaktionen des Publikums entstehen neue Environments (so 1982 in München ein Zeit), in dem sich der Leser dann sozusagen zwischen den Seiten eines Buches bewegt.

 

gor


> Arhiv Pina Poggija
>
Biografija

< Nazaj

 

 

zadnji popravek: 18-Oct-2002 18:02

ovežuje sas:: 2001