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Gottfried Knapp

DAS ALPHABET, DAS DIE WELT BEDEUTET

Die beiden Buchstaben A und U sind wie das A und U im Werk von Pino Poggi. Sie bilden zusammen die Künstlersignatur, die den persönlichen Namenszug ersetzt hat, das Markenzeichen, das jedem Objekt, jeder Aktion, jeder schriftlichen Äußerung des Künstlers aufgeprägt ist. Der Begriff »Arte Utile« (nützliche Kunst), den sie bezeichnen, darf als eine originelle Neudefinition künstlerischer Anspruche gelten. Er formuliert ein klares geistiges Programm, ja ein entschiedenes Bekenntnis zu den gesellschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten der Kunst. Arte Utile – das ist Kunst, die sich nicht in der Feier der individuellen Leistung erschöpft, sondern Wirkung auf die Öffentlichkeit sucht.

In der Praxis stellt das Buchstabengespann AU aber sehr viel mehr dar als nur die Abkürzung der Bezeichnung Arte Utile. Daß »AU« im Deutschen einen Schmerzenslaut bezeichnet, ja als der Überraschungsausruf schlechthin gilt, also wie ein Signal dasteht, mag bei der Erfindung des Begriffs in Italien zwar noch keine Rolle gespielt haben, doch bei der Anwendung der Abkürzung in Deutschland muß Pino Poggi die appellative, herausfordernde Kraft der Aufschrift »AU« bald gespurt haben, denn er setzt sie ganz bewußt als eine Art Aktionsfanal ein.

Die beiden Buchstaben bekommen dabei etwas Beschwörendes, ja einen fast magischen Charakter. Der Appell, den sie verkörpern - der praktische Impuls in Richtung Gesellschaft - laßt sich als Programmpaket leicht überall hintransportieren, mit anderen Wörtern kombinieren, als Erkennungszeichen ausstreuen. Wo immer A und U in einem programmatischen Text auftauchen und sich mit einzelnen Stichwörtern verbinden, färben sie diese um, bringen sie auf spielerisch-assoziative Weise den Anspruch der »Nützlichkeit«, also der Wirksamkeit im Bereich der Öffentlichkeit, herein. Das Zeichen AU, zusätzlich noch bereichert um die (Bedeutung »Avantgarde Utile«, tragt also bei allen künstlerischen Erörterungen eine beträchtliche Bedeutungslast. Der Zusatz U gibt jeder artistischen Tätigkeit ihre besondere Zielrichtung.

Man muß wohl Italiener sein, ein südländisches Bedürfnis nach mündlicher Kommunikation haben und mit einer so vokalreichen, musikalischen Sprache wie dem Italienischen aufgewachsen sein, um dem einzelnen Wort, dem einzelnen Klang, ja dem einzelnen Vokal eine solche sinnstiftende Kraft zuzutrauen. Für Pino Poggi, der bei all seinen Arbeiten gerne mit dem Publikum kommuniziert - sei es, daß er direkt mit den Leuten redet oder sie zu schriftlichen oder mündlichen Äußerungen provoziert und einlädt-, hat das Wort eine solche emotional wie inhaltlich umfassende Bedeutung. Ja, oft ist das Wort das einzige Arbeitsinstrument und darum auch das einzige faßbare Ergebnis einer Aktion. Die Sprache ist das Mittel, das der Kunst (A) zu ihrer Nützlichkeit (U) verhilft.

Kunst - und zumal die angewandte, die nützliche ist also für Poggi etwas, was zwischen den Menschen stattfindet. Das Medium dafür ist die Sprache. Mit Sprache laßt sich die ganze Welt erfassen; durch Wörter macht der Mensch sich die Dinge verfügbar. Die Gegenstande, die uns umgeben, haben also zwei Existenzformen: Sie bestehen physisch aus einer realen Materie, aus einem bestimmten Stoff; sie existieren aber auch aus dem Wort, haben eine spirituelle Präsenz, die sich aus Silben und Buchstaben zusammensetzt. Ja, die ganze Welt ist, genaugenommen, ein Konglomerat aus Buchstaben. Warum soll also ein einzelner Gebrauchsgegenstand, wenn er von Künstlerhand gestaltet wird, wenn er »künstlerischnützlich« sein will, nicht die Form eines Buchstabens bekommen, nicht bewußt zitathaft wie ein Partikel aus dem Kosmos der Kommunikation daherkommen?

Vor allem in den späten 60er und frühen 70er Jahren hat Poggi gerne Buchstaben als gestalterisches Spielmaterial verwendet. Er entwarf Architekturen und Möbel in Form von Buchstaben und setzte sich so die Welt nach eigenem Geschmack neu zusammen. Vor allem seine Möbelentwürfe sind funktional vorzüglich durchgearbeitet und bleiben dabei dem Ideal der poetischen Geste treu. Anders ausgedruckt: Poggi untersuchte mit seinen Entwurfszeichnungen die einzelnen Buchstaben, die einzelnen poetischen Kürzel, auf ihre Nützlichkeit, ihren Utile-Wert bin. Dazu setzte er sie als Skulpturen, als monumentale, zu Menschengroße aufgeblasene Initialen auf das Zeichenblatt. Diese Skulpturen haben in der Regel zwei »sprechende« Stirnseiten, die den einzelnen Buchstaben perfekt nachformen.

Zwischen diesen Außenfronten entwickelt sich das Nutzungsprogramm. Da erstreckt sich mal ein Liegebett, mal ein Tisch, mal eine Theke in die Tiefe; da schieben sich Schubladen aus dem Buchstabenkörper hervor, tun sich Fächer in den Winkein auf, lassen sich Kleiderstangen oder Tischplatten herausklappen. In Sekunden schnelle hat das beredte, quasi poetische Möbelstuck vorgeführt, was es praktisch kann, wie sinnreich es gegliedert, mit welchen raffinierten Vorrichtungen es gefüllt ist. Diese Gebrauchsgegenstande fuhren also handgreiflich vor, wie Kunst nützlich, wie arte utile wird. Der Buchstabe – das Zitat aus dem Bereich der Kunst, die Urzelle, mit der die Dichter die Welt zusammensetzen – wird benutzbar, bewohnbar, zum lebensgroßen, handlich-praktischen Partner des Menschen.

Bei dieser Alphabetisierung oder Poetisierung der Umwelt gelingen Poggi einige raffinierte Neu- und Uminterpretationen klassischer Möbelformen, die in ihrer spielerisch konstruktiven Logik manche der Einfalle vorwegnehmen, die von den Möbel-Designern in den letzten beiden Jahrzehnten über das alltägliche Gebrauchsgut gestülpt wurden. Wahrend Poggis Versuche, auch die Architektur zu alphabetisieren - Archiskulpturen nennt er seine zu gigantischen Ausmaßen anwachsenden Buchstaben-Bauten-, heute, wo die Grenzen des Wachstums und die Irrtümer der modernen Architektur offenkundig sind, eher Schrecken einjagen, allenfalls als formale Anregungen, als ferne Utopien gelten können, haben die Buchstaben-Möbel in den 20 Jahren seit ihrer Erfindung nichts von ihrer Originalität verloren. Im Gegenteil: Sie gefallen heute besser denn je, sie heben sich heute geradezu überlebendig vom Zeichenblatt ab, drangen »buchstäblich« in den Raum, warten auf ihre Verwirklichung. lhr lapidar zeichenhafter, die Funktion formal überhöhender Duktus laßt sie wie einprägsame Inkunabeln der neueren anspruchsvollen Möbelkultur erscheinen.

Verschiedene Buchstaben-Möbel in einem Raum zusammen schlagen einen sehr bestimmten, ausgeprägten Tonfall an. Sie erzeugen einen Laut im Raum, formieren ein benutzbares, begehbares Wort. Sie kommunizieren nicht nur über ihre Funktion, sondern auch über ihre bildhafte Gestik mit den Benutzern. Damit haben Pino Poggis Entwürfe im Bereich des Wohnens das erreicht, was die Uridee seiner Arte Utile war: Er hat die Kunst aus dem Museumsghetto befreit und in den Alltag zuruckgebracht; er laßt sie dort unverhüllt direkt mit den Menschen kommunizieren. Das Leben zwischen den sprichwörtlichen vier Wanden ist um eine kleine, aber deutlich spürbare Dimension reicher geworden.



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zadnji popravek: 18-Oct-2002 17:47

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