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Laszlo Glozer
DER BEWEGER - EIN AUSSENSEITER

Da steht einer nur leicht gebückt mit seitlich ausgestreckten, eine riesige Kugel über den Kopf stemmenden Armen. Das blaugefaßte Gebilde lastet scheinbar auf ihm, seine Haltung wird zu einer uns zugewandten heroischen Gebärde. Atlas mit dem Erdball? Mitnichten. In spielerisch-ernster Pose vereinigen sich Künstler und Werk: eine moderne Skulptur mit ihrem nun die Welt auf sich nehmenden Autor.

Das Photo habe ich oft gesehen, oft vergessen. Es hing jahrelang in der Regensburger Wohnung, aus deren Fenstern man auf das romanische Skulpturenportal der Schottenkirche blickte. Seit langem schon, wohl seit dem Umzug in das alte Schulgebäude in Mitterfecking, ziert das Photo zusammen mit vielen anderen Werkstucken das Treppenhaus. Eine Accrochage von den frühen Plexiglaskonstruktionen über die mehrfach bearbeiteten Arte-Utile-TafeIn bis zu den jüngsten plastischen Figurenfragmenten ist dort beiläufig untergebracht. Im Winter kommen die zwei monumentalen Rosmarintopfe aus dem Hof hinzu. Alles das eine Handschrift. Und eine Lebensspur.

Das aufgezogene Farbphoto ist im Begriff zu verblassen. Trotzdem sticht es jedesmal ins Auge. Mit dem wachsenden zeitlichen Abstand zu der Zeit der Aufnahme gewinnt die Attitüde an symbolischem Wert: Da steht der Künstler als junger Mann, einer, der auszog, die Welt nun zu packen und zu verändern.

Seit ich an eine Würdigung von Pino Poggi denke, tauchen nicht nur Erinnerungsbilder an unsere vielen, vielen Begegnungen auf, sondern immer wieder eben dieses Photo. Was für eine verwegene Geste: Der Bildhauer stellt sich dem Photographen, interpretiert und verandert sein eigenes Werk. Er gibt sich, wie vor einer mit Selbstauslöser betätigten Kamera, dem Anblick preis. Er stellt das Werk vor. Er stellt sich dazu, vor das Werk. Er steht zwischen Werk und Publikum. Worauf kommt es nun an?

Sicher war es so, daß mir das Photo erst dann richtig auffiel, als ich Poggis Engagement für eine »nützliche Kunst« näher kennenlernte. Daß in der heutigen Welt die gestörte, ja weitgehend zerstörte Kommunikation vorrangig zu reparieren sei, das war ein wichtiger Impuls für den Künstler, aus der herkömmlichen Form der künstlerischen Arbeit etwas anderes, Erweitertes, vom Werk zum Publikum direkt Hingedehntes zu machen. Nicht mehr nur Plastiken zu formen, sondern, aus dem Atelier heraustretend, unter freiem Himmel Kreativität zu stiften: das war die neue Aufgabe. Auch auf der Straße arbeitend das Publikum einzubeziehen, zum Mittäter zu machen. Einzuwirken auf die Menschen, sie in Prozesse zu verwickeln, zu aktivieren - dies war die praktische Utopie des vom konventionellen Bildhauer zum Emanzipationshelfer gewandelten Künstlers in den ersten Jahren unserer Bekanntschaft; eine Position, die zu lebhaften Diskussionen AnIaß gab.

Im Rückblick auf die siebziger Jahre erweist sich Pino Poggis Arte Utile als souveräner Teil einer auf den Spuren von 1968 euphorisch begonnenen und expandierenden Bewegung, die sich allerdings sehr abrupt verengte. Die Wende weg von der sozial engagierten Kunst hat Poggi nicht mitvollzogen. Erst in der Krise der großen Öffnung konnte es jedem klar werden, wie umfassend und konstant Poggis Arbeit als künstlerischer Lebens plan angelegt ist. Er brauchte die Flucht zurück ins Atelier nicht anzutreten, da er ja der formenden, handanlegenden Künstlerarbeit nie abgeschworen hatte. Und umgekehrt: In den neuen Modellen setzt sich die Strategie der im Grunde konzeptuellen Arte Utile fort. Die Aktionen und Animationen bekommen jetzt einen festen architektonischen Rahmen. Statt mit der Mobilität des emanzipatorischen Straßenhändlers wirbt Pino Poggi nun mit statischen Bildern und einsehbaren Raumvorstellungen. Nach wie vor tritt der Künstler an sein Publikum heran, fuhrt es an der Hand, konfrontiert es mit seinen eigenen, allerdings vorinszenierten Erfahrungen. Das ist, versteht sich, bildlich gesprochen. Leiblich befindet sich der Künstler außerhalb der Operationsraume.

Das macht das alte Photo so aktuell: Als der junge Künstler, der nach traditioneller Schulung in Genua auf die Wanderschaft ging und moderner Bildhauer wurde, vor sein monumentales Werk tritt, in diesem Schaumoment ist Pino Poggi plötzlich kein konventioneller Bildhauer mehr: Er selbst agiert hier, das Werk wird Zutat. Oder vielmehr, das Werk vergrößert sich zu einem einzigen Argumentieren, es ist restlose Selbstverwirklichung, als Mission, Aufnehmen und Herantragen, Verbindungschaffen. In diesen Prozeß zwischenmenschlicher Beziehungsversuche wird mit vollem Gewicht die gelernte Profession, das Ergebnis dieser Profession, die Skulptur eingebracht.

Das alte Photo, ich lasse mich nicht davon abbringen, ist für mich ein Schlüsselbild: Da ist doch die Sendungsbereitschaft, das Sendungsbewußtsein, untermischt mit Theaterdonner, da ist die sich im gleichen Zug fragwiirdig machende egozentrische Welt des AuBenseiters in reinstem Abbild. »Noi altri« (1982), hieß die trotzige Oberschrift für eine Ausstellung, die vor vier Jahren die damals aus der Kunstszene beinahe verschwundene »künstlerische Aktivität und Selbsterfahrung im sozialen Raum« noch einmal zusammenfaßte. Statt im Titel nach einer neuen Thematisierung des Künstlerberufes als »Sozialarbeiter, Forscher, Eremit« zu fragen (wie 1979 in Hamburg), schien es angebracht, sich als Beharrende zu manifestieren: noi altri - wir anderen.

Wie in diesen beiden überregionalen Veranstaltungen, so wirkte Poggi als Inspirator, Kontaktagent und produktiver Unruhestifter auch schon früher mitten im Geschehen: Er ruttelte nicht die schlechtesten seiner Kollegen wach, als es in München um Prasenz, Pflege und Forderung der zeitgenossischen Kunst noch auffallend schlecht bestellt war (1979: »Von der Freiheit des abhängigen Künstlers oder von der Abhängigkeit des freien Künstlers«). Aber der Beweger bleibt immer Außenseiter. Ob abgedrängt oder aus Stolz am Rand verharrend, sei dahingestellt.

Der Andeutung des Farbphotos aus der Sturm-und-Drang-Zeit widerspricht Poggis heutiges Wirken nicht. Er ist ein Gesamtkunstwerker, ein Ein-Mann-Totaltheater, ein unverbesserlicher Manipulator, der sich die Lebensfragen, die großen und endgültigen, angesichts der zunehmenden Gefährdungen des Lebens zu Einbahnstraßen der Schreckerfahrung inszeniert. Nein, der Modellbauer Poggi verfällt nicht in pessimistische Selbstspiegelung. Er präpariert Buhnen und Kulissen, versucht das nötige Klima zu treffen und für ein emanzipationsbedürftiges Publikum mental wirksame Zonen zu schaffen. Er ist ein Regisseur, der sich nicht zu schade ist, mit Großbuchstaben Menetekel zu hämmern. In seinen begehbaren Lehrstucken besteht er auf dem Unüberhörbaren, dem Unübersehbaren. Oder entstehen da vielleicht doch entscheidende Zwischentone und unvorhersehbare Erfahrungen, wenn man die vorerst nur in Gedanken durchwanderbaren Raummodelle eines Tages ausfuhren sollte?

Wenn es soweit sein wird, werden wir Pino, der es für sein Leben verstanden hat, Tradition und Progression zu vermengen, bereits an einem anderen neuen Projekt finden. Der Missionar ist eben ein altmodischer Avantgardist, dem sich, wenn es eine gibt, die Zukunft öffnet.



gor


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zadnji popravek: 18-Oct-2002 17:37

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