Kracina hat in seiner Videoinstallation
den ausgestorbenen tasmanischen Wolf THYLACINUS CYNOCEPHALUS „wiederbelebt"
(mit einer 16 Sekunden langen Fernsehaufnahme hat er dessen Leben im Monitor
virtuell durch Montage auf einige Minuten verlängert) und ihn somit für
die kommenden Generationen der Menschheit archiviert. Von seinen Arbeiten,
die sich fast ausschließlich mit der Tierproblematik (Aussterben, Ausrottung,
Ausbeutung, Fetischisierung, Manipulierbarkeit der Tiere) beschäftigen,
ist das diejenige, die mich am meisten zu konkreten ökophilosophischen
Fragen anregt: Im Allgemeinen halten wir das Aussterben einer biologischen
Species für etwas Bedauernswertes, doch dieses Gefühl beantwortet noch
nicht die Frage, warum dies so sein sollte.
Es ist verlockend und auch plausibel,
von einem anthropozentrisch, nur am menschlichen Eigeninteresse orientierten
Ansatz auszugehen, wonach andere Arten als instrumentelle Güter angesehen
werden, die den Interessen der Menschen zu dienen haben. Unter diesem Gesichtspunkt
erscheint es jedoch nicht so tragisch, wenn eine Spezies ausstirbt, während
verschiedene andere in deren „biologischen Nähe" weiterbestehen. Mit dem
heutigen Stand der biomolekularen Entwicklung ist der Mensch überdies potentiell
schon im Stande, eine Species „von den Toten zurückzuholen" - ob vollkommen
synthetisch, mit den Mitteln der Gentechnik, oder durch das Aufbewahren
tiefgefrorenen genetischen Materials. Das Aussterben einer Art wäre somit
kein endgültiger Tatbestand.
Doch wir können und sollten weiter gehen.
Mit der Idee des Wertes. Denn Arten haben nicht nur einen rein instrumentellen
Wert - für den Menschen -, sie haben auch einen Wert für sich selbst. Es
wäre zu einfach, der Natur jeden eigenen Wert überhaupt abzusprechen und
ihr nur einen Wert aus der Perspektive menschlicher Wünsche zuzuschreiben
und damit zu leugnen, dass andere Species einen Wert in sich selbst haben
können, wie wir das von unserer, menschlichen Species behaupten. Wir könnten
diese Werte insofern metaphysisch nennen, als sie sich auf das innerste
Wesen existierender Dinge beziehen, auf ihren „Existenzgrund".
Der Mensch neigt in seiner Betrachtung des Seienden, dieses zu klassifizieren, nicht nur in Bezug auf sich selbst (anthropozentrisch), sondern auch in Bezug auf das Seiende an sich. Notwendigerweise beeinflußt das auch sein Handeln und Umgehen mit dem Seienden - das Seiende (und somit auch die Species) wird normativ in Prioritätsstufen gegliedert. Das erinnert mich an Aristoteles: In der Physik ordnet er die Arten der Dinge, die es im Seienden gibt, zwar in einer graduell abgestuften Reihenfolge, wobei er aber jeder Art der Dinge eine eigene Zweckmäßigkeit verleiht: vom Größten bis zum Kleinsten, vom „Höchsten" bis zum „Niedrigsten". Dieser Aristotelischer Ansatz findet sich bei Thomas von Aquin wieder: „Obwohl absolut gesehen ein Engel besser ist als ein Stein, sind nichtsdestoweniger zwei Naturen besser als eine einzige, und deshalb ist ein Universum, das Engel und andere Dinge enthält, besser als ein Universum, das bloß Engel enthält." In diesem Sinne ist das Verschwinden einer bestimmten Tierart ein Verlust im „Aquinischen Universum", eine Verringerung in der Vielfalt der Welt - und in der Vielfalt der Werte im Seienden.
Man muß sich nicht gerade mit der Metaphysik
beschäftigen, um zu begreifen, was uns Kracina durch seine langjährige
Beschäftigung mit den verschiedenen (ausgestorbenen, gefährdeten, fetischisierten,
gequälten oder „bloß" exsistierenden) Tierarten unter anderem mitteilt:
Die Existenzwerte der verschiedenen Tierarten sind weder ästhetisch festzusetzen
(indem sie etwa mit „Genuss" bei ihrer kontemplativen Betrachtung zu tun
hätten, was in Bezug auf manche Kunstprodukte galt und gilt), noch moralisch
(indem sie direkt mit der Bewertung menschlicher Handlungen zusammenhängen),
noch sind sie rein pragmatisch zu sehen (indem sie sich auf Gebrauch, Verbrauch
oder „Vergnügen" beziehen). Sie betreffen das pure Sein der Tierarten selbst,
nicht notwendigerweise nur den Bereich menschlicher Zwecke oder Interessen.