darko lesjak  Dinamis
 
 

Gerhard Wohlmann

Dynamis
 

Innen und Außen

Am Anfang war das Wasser, so könnte die biologische Ursprungsbeschreibung lauten, würde man sie jener poetischen altestamentarischen Formulierung entleihen, mit der der Schöpfungsmythos seinen Anfang nimmt.
Im Zentrum des Environments Aquarium von Darko Lesjak steht das Wasser und auch seine schöpfungsgeschichtliche Bedeutung.
Bevor aber auf die Bedeutung des Wassers in Lesjaks Werk eingegangen wird, sollte der Begriff des Environments näher beleuchtet werden. Auf dem Felde der Kunst hat sich dieser Begriff für die Bezugnahme eines vornehmlich dreidimensionalen Kunstwerkes auf seine räumliche Umgebung eingebürgert. Denkt man etwa an die Arbeiten der Arte Povera-Künstler wie Giovanni Anselmo, Mario Merz oder Jannis Kounellis, so wird mit deren Wurzeln, die im Futurismus und im Dadaismus liegen, der dahinterliegende rezeptionsästhetische Gedanke erkennbar. Die Einbeziehung des Künstlers ins Kunstwerk, die damit verbundene Verwebung von Betrachter und Bildrealität und die daraus resultierende Verknüpfung von Innen- und Außenraum sind die theoretischen Grundlagen für Marcel Duchamps Fahrrad-Rad (und Folgende), womit nicht nur die Funktion des Künstlers in der Gesellschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts und die Aufgabe des Kunstwerkes hinterfragt werden, sondern bereits eine Antwort zu liefern versucht wird. Die raumübergreifende Inszenierung (Ausstellungshalle und Öffentlichkeit) soll das Bewußtsein für einen veränderten Stellenwert von Kunst schärfen.
Darko Lesjaks Aquarium wirkt zunächst wie ein Ausstellungsraum an dessen Wänden Bilder hängen. Doch der erste Eindruck täuscht. In Wirklichkeit betritt man einen Raum, der sich im Kunstwerk befindet. Das was der Betrachter als einzelne Bilder, die nebeneinander an der Wand hängen, wahrnimmt, sind transparente Fenster, die jene vom Künstler geschaffene Unterwasserwelt in Ausschnitten zeigt. Der Rezipient begeht quasi einen Unterwasserraum. Diese Inszenierung ist jedoch auch wieder nur Illusion, denn nicht die Welt jenseits der Fenster ist vom Künstler geschaffen, vielmehr sind es die Fenster selbst, die bemahlt wurden.
Bereits im 19. Jahrhundert wird das Spiel mit dem Wechsel von Innen und Außen, vom ausgestellten Objekt in der Vitrine und außerhalb der Vitrine zu einem der Höhepunkte der Weltausstellungen. Waren vordem Wasserbehälter als Aquarien auf Tischen in Wintergärten ausgestellt, wird zum ersten Mal 1860 im Bois de Boulogne eine Grotte errichtet, in deren Inneren sich dem Besucher der Anblick einer Unterwasserwelt eröffnet.
Auf der Weltausstellung von 1867 vermitteln jene begehbaren Aquarien dem Publikum den Eindruck als befänden sie sich selbst in einem abgeschlossenen Raum unter Wasser und könnten so das natürliche Leben der Unterwasserwelt verfolgen.
Während im 19. Jahrhundert noch kein rezeptionstheoretischer oder symbolischer Hintergrund zu diesem Ausstellungsmodus führte, sondern der Ausstellungsmodus lediglich Ausdruck einer veränderten Präsentationsästhetik war, ist für Darko Lesjaks Aquarium der rezeptionstheoretische Ansatz und seine Symbolik eine wesentliche Voraussetzung. Allerdings wäre es völlig mißverstanden erwartete man eine klar formulierte Botschaft. Der Sinngehalt der Symbolik bleibt in der Schwebe, weil sie nicht begrifflich fixierbar werden soll. Das Oszillieren des Betrachterstandpunktes und damit auch der Realitätsebenen spiegelt jene komplexe Wechselwirkung zwischen Kunstwerk und Betrachter, deren Wirkung sich in der Form kreativer Spuren niederschlägt und als solche sollen sie auch wahrgenommen werden. Durch die sensitive Wahrnehmung gelangt der Rezipient mit dem Künstler auf die gemeinsame metaphysische Ebene der ursprünglichen Ideen.
 

Archaische Formen

Das Symbol des Ursprünglichen findet sich in Lesjaks Werk in zweifacher Hinsicht wieder. Zunächst ist es die soeben angesprochene Symbolik der ursprünglichen Ideen. Zum anderen wird der Begriff des Archaischen bildimmanent. Die Objekte die sich vom blaugrünen Hintergrund des Wassers abheben, scheinen wie übergroße Flagellaten das Wasser zu durchschweben. Das Wasser als Keimzelle des irdischen organischen Lebens wird dem Betrachter in seiner Monumentalität vor Augen geführt. Betritt man den Raum des Aquariums, ist es wie eine Zeitreise zurück zu den Anfängen des Lebens. Hierin verbirgt sich ein für Darko Lesjak gewichtiges Thema seiner Kunst, nämlich die Gestaltwerdung biomorpher Körper. Schon während seiner ersten künstlerischen Ausbildungszeit in Ljubljana wird er in klassischer Weise an den Körper herangeführt. In den Sälen der Anatomie interessiert ihn unter anderem das Studium der Evolution des menschlichen Körpers, von der einfachen Struktur des Embryos bis hin zum Neugeborenen. Aber auch sezierte Details des erwachsenen menschlichen Körpers, vor allem des Bewegungsapparates werden zeichnerisch studiert. Gerade der Bewegungsapparat stellt für das spätere Werk eine wichtige Grundlage dar, denn hier wird das Thema der Bewegung zum zentralen Punkt. Es darf auch nicht als Sensationslust oder gar als makabere künstlerische Provokation gewertet werden, wenn Lesjak sich zeichnerisch und auch photographisch in sezierte Körperteile vertieft. Erst durch die geradezu wissenschaftliche Distanz zur Grausamkeit und Gegenwart der Vergänglichkeit des Körpers kann die körperliche Form erfaßt und durchdrungen werden. Dabei werden die Photographien und auch die Zeichnungen jener Zeit zu Dokumentationen der Erforschung des Körpers. Sind diese frühen, klassischen Zeichnungen noch keine autonomen Kunstwerke, sondern als Nebenprodukte jenes sensitiven Forschens zu werten, so verbirgt sich in den Photographien bereits eine künstlerische Bedeutung. Nicht einzelne körperliche Strukturen stehen hier im Mittelpunkt. Vielmehr ist es die museale Situation der ausgestellten anatomischen Objekte und die damit verbundene gleichsam paradoxale Situation, die sich im Spannungsfeld zwischen dynamischem Prozeß der Entstehung menschlichen Lebens und der Konservierung toter Materie entfaltet. Genau diese Situation spiegelt sich dann im Aquarium wider. Die im Aquarium dargestellten Körper suggerieren zwar Bewegung, in Wirklichkeit jedoch sind sie statisch, da sie ja auf die Fenster aufgemalt sind. Der dahinter stehende kunsttheoretische Ansatz stellt die Bedeutung des Kunstwerkes als dynamisches Kommunikationssystem zur Diskussion.
Ist der Ausdruck und die Bedeutung eines Kunstwerkes zeitinhärent oder überzeitlich? Anders gefragt: Erstarrt ein Kunstwerk nach seiner Enststehung zum konservatorischen Objekt oder ist es imstande sich der Evolution verändernder Wahrnehmungsaspekte zu stellen?
Bei genauerer Betrachtung einer Photographie des Anatomiesaales fällt eine über der Eingangstüre hängende Uhr ins Auge. Es ist kein Zufall, daß Darko Lesjak die Uhr mit ins Spiel bringt, ist sie doch unverwechselbares Zeichen der Veränderung, der Bewegung und des Fortschreitens. Doch die im Photo fixierte Uhr zeigt für immer die selbe Zeit an. Dahingegen läuft die im Fenster des Aquariums sich spiegelnde Uhr stets mit. Damit macht Lesjak seinen künstlerischen Anspruch unmißverständlich.
 

Dynamische Zeichen und gesprengte Rahmen

Der dynamische Prozeß, der sich in der rezeptionsästhetischen Entwicklung des Kunstwerkes zeigt, wird durch den Gestus im Pinselstrich Darko Lesjaks zum Ausdruck gebracht.
Während ihn noch als Student der Münchner Kunstakademie der strenge, geometrische Bildaufbau reizt, setzt sich bald eine expressive, gestische Darstellungsweise der menschlichen Figur durch. In seinen Zeichnungen durchpflügen an- und abschwellende Linien rund und kantig das weiße Papier bis sich Gestalten aus den Verknotungen und Kreuzungen des Liniengeflechtes herauszulösen beginnen. Die Energie der zeichnenden Hand wird sicht- und spürbar. Sie wird nicht einer Idee von zeichnerischer Bestimmtheit unterworfen, vielmehr wird ihr freies Spiel gelassen um der Spontanität der künstlerischen Arbeit eine autonome Entfaltung zu gewähren. Deshalb sind Darko Lesjaks Arbeiten Beschreibungen von Bewegungsmomenten. Selbst scheinbar in Ruhe verharrende Körper werden durch die Dynamik des Striches ihrer Bewegungslosigkeit entrissen. Nicht das Wesen einer dargestellten Person, nicht seine Psyche, wie dies bei den expressionistischen Künstlern im Vordergrund stand, sondern die Essenz körperlicher Dynamik fasziniert Lesjak.
Damit hat sich der Künstler aus einer wichtigen forschenden Phase, nämlich der Auseinandersetzung mit der expressionistischen Tradition, zu einer eigenständigen künstlerischen Charaktere entwickelt. Der menschliche Körper spielt in seinen Bildern weiterhin eine zentrale Rolle. Allerdings wird der eingangs beschriebene Prozeß der Entindividualisierung darüberhinaus fortgesetzt, hin zu einer Entgegenständlichung, die den Gestus des dynamischen Körpers zu einer eigenwertigen Struktur werden läßt. Lange Zeit hat Lesjak den Sprung zur entgültigen Entgegenständlichung gescheut. Seine neuesten Arbeiten führen jedoch die Realisierung dieses Überganges deutlich vor Augen. Momente der körperlichen Energie scheinen sich aufzulösen in einer piktographischen Sprache. Doch ist es weniger eine Auflösung, die sich hier vollzieht , als vielmehr eine Transformierung in geistige und mentale Energie. In einer geradezu kalligraphischen Ausdrucksweise überträgt sich die Spannung der mentalen Konstitution des Künstlers auf den Betrachter.
Während die Arbeiten von 1994, wie etwa Das Spiegelbild, Frau in Türkis oder Die Turnerin bis hin zu den bereits deutlich abstrakt gewordenen Bildern von 1998 Die Schnecke oder Grün trotz des dynamischen Pinselstriches noch eine deutliche Bodenhaftung der Figuren aufweisen, hält in den neueren Arbeiten wie etwa in der vierteiligen Langen Nacht die Schwerelosigkeit Einzug. Die im Pinselstrich aufgelösten Körper werden durch eine gleichsam explodierende Gestik zu auffahrenden, stürzenden, rasenden Objekten, die den Rahmen des jeweiligen Bildformates zu sprengen drohen. Der dynamische Prozeß des Malaktes geht hier über die vorgegeben Grenze des Bildformates und dies ist nur möglich wenn man sich von dieser Grenze nicht einschüchtern läßt. Auf die mentale Verbindung zum Energiekonzept asiatischer Kampfkünste macht Darko Lesjak aufmerksam. Lesjak, der in seiner Jugend selbst mit der Philosophie asiatischer Kampfkünste in Berührung kam, erfuhr dort wie mit mentaler Energie Grenzen zu überwinden sind. Um ein Brett mit der bloßen Faust spalten zu können, riet ihm sein Lehrer nicht das Brett als eigentliche Fläche des Auftreffens zu sehen, sondern sich diese Fläche etwa fünfzehn Zentimeter dahinter vorzustellen. Nur dann könne man mit der uneingeschränkten Energie auf das Brett auftreffen.
Ähnlich verhält es sich beim Malakt. Die Energie des Pinselstriches muß über den vorgegebenen Rahmen des Formates hinausgedacht werden, nur so ist die Sprengung des Rahmens überzeugend.
 

Diaphane Strukturen

Darko Lesjak genügt jedoch die Überwindung der zweidimensionalen Abgrenzung nicht. Er geht noch weiter und arbeitet an der Durchbrechung der dreidimensionalen Grenze. Bei seinem künstlerischen Lehrer Jürgen Reipka ist er mit dem von jenem entwickelten Monotypieverfahren in Berührung gekommen. Hierbei entdeckte Lesjak die Möglichkeit der Auflösung eines festen Malgrundes. Mit diesem Verfahren gelingt es ihm Transparenz zu suggerieren. Aber die Ergebnisse genügen Lesjak noch längst nicht. Er beginnt auf Glas zu malen und nun öffnet sich ihm die dritte Dimension.
Die Farbe wird an manchen Stellen schließlich so hauchdünn aufgetragen, daß nur feine Farblinien sichtbar werden, während dazwischen die darunterliegende Farbe hindurchleuchtet. Bei den Monotypien wird die Farbwirkung durch das Auflicht erzielt; bei der Glasmalerei hingegen wird die Leuchtkraft der Farbe durch die Transparenz des Malgrundes erzeugt. Jene intensive Leuchtkraft der Farben ist es, die nun im Wechselspiel mit der dynamischen Gestik seines Pinselduktus das explosive Element seiner Bilder noch einmal deutlich steigert. Seine Gemälde erhalten dadurch eine ungeheure Tiefe, jedoch keine raumillusionistische, sondern eine in der Fläche verbleibende. Die Tiefe der Bilder wird nicht durch geometrische Perspektivmethoden, oder etwa durch eine raffinierte Licht-Schattenschilderung, wie sie in der traditionellen Malerei üblich ist, erreicht, sondern durch die Transparenz und die Vielschichtigkeit der geschickt übereinandergelegten Farben. Somit entsteht diese ungeheure Tiefenwirkung nicht auf der Malfläche, sondern durch sie hindurch. Der in dieser Weise modellierte Lichtraum ist grenzenlos in seiner Tiefe.
Angeregt durch die Arbeiten mit Glas, unternimmt Darko Lesjak jetzt den Versuch überdies auf der Leinwand eine derartige Transparenz zu suggerieren. Dabei wird die Leinwand mit speziellen vom Künstler selbst zusammengestellten Malgründen vorbereitet, es werden außergewöhnlich reine Farbpigmente mit besonderen Bindemitteln angerührt, so daß schließlich die Leuchtkraft jener auf Glas aufgetragenen Farben erreicht wird, mehr noch, von den Bildern selbst scheint sogar ein Leuchten auszugehen. Die Intensität der Farbe potenziert die Intensität des Malgestus, womit jene Dynamik erreicht wird, die der Vorstellung von der Schöpfung des Universums Ausdruck zu verleihen imstande ist.