darko lesjak  Dinamis

Milena Zlatar
FONS ET ORIGO

Das Drautal und München

Darko Lesjak, geboren 1966 in Slovenj Gradec, prägten die Drau und die zufließende Bistrica (Feistritz) mehr, als er sich dessen selbst bewußt wurde. Seine Jugend verlebte er in Muta, einem am linken Drauufer gelegenen Ort. In dem Fluss mit träger Strömung spiegeln sich die Abhänge des Pohorje und des Kozjak und verleihen ihm eine charakteristische Farbigkeit: vom intensiven Grün bis zu Nuancen trockener Gräser und farbenprächtigen Herbstlaubs. Der Fremde, der in diese Gegend kommt, behält deren Erscheinungsbild für immer im Gedächtnis, weshalb dort die Erinnerungen an den Maler Oskar von Pistor (1865–1928) noch lebendig sind, einen Maler, der seine Geburtsstadt Wien gegen ein idyllisches, aber hartes Leben auf dem slowenischen Land eintauschte. Mit dem Maler Pistor verbindet Darko Lesjak auch die Tatsache, dass beide an der Münchener Akademie der Bildenden Künste studierten, wohl im zeitlichen Abstand eines ganzen Jahrhunderts! (Zufälligerweise lernte ich Darko Lesjak eben wegen eines Gemäldes von Pistor kennen, nachdem ich mich gefragt habe, von wem die so gute Restaurierung stammt. Lesjak arbeitete nämlich noch als Student der Pädagogischen Fakultät Maribor im Amt für Denkmalpflege und beschäftigte sich mit Restaurierungen.) So wie die Liebe Pistor aus Wien und dem kosmopolitischen München in eine damals entlegene Gegend führte, verschlug die Liebe Lesjak aus dem Drautal in die Großstadt. Lesjak studierte an der Münchener Akademie von 1992 bis 1997, als er die Meisterklasse bei Prof. Jürgen Reipka abschloss, seit 1999 ist er auch dessen Assistent. Den Maler Pistor präsentierte die Galerie Slovenj Gradec auf einer Ausstellung 1995  und zeigt nun Darko Lesjak im Frühjahr 2000, acht Jahre danach, als er in den Räumen der Pädagogischen Fakultät Maribor als deren Absolvent erstmals ausstellte. Obwohl Lesjak relativ häufig in seine Heimat zurückkehrte und trotz seiner   Verpflichtungen an der Münchener Akademie und einer intensiven Ausstellungstätigkeit in Deutschland den Kontakt mit dem Heimatort und den Landsleuten nicht abbrach, stellte er seit 1992 in Slowenien dennoch nicht aus. Ins »grüne Tal« kehrte er heim, um »geistige Nahrung« zu holen, die Drau und ihr Zufluss Bistrica, an deren Ufer er Kindheit und stürmische Jugendjahre verlebte, bezauberten ihn immer wieder. Dann kam eine erschütternde Erfahrung: der Bau des Staudamms auf der Koralpe, der die Bistrica (welche Ironie – der Name bedeutet klarer Fluss, Fluss mit schneller Strömung!) in ein drohendes Bild des Untergangs verwandelte. Das Flussbett ist häufig trocken, das Wasser bekommt einen üblen Geruch, und über dem Tal droht die Gefahr von 22 Millionen Kubikmeter Wasser. Die Einwohner, hilflos gegenüber der drohenden Umweltkatastrophe, errichteten die Ökologische Kapelle und weihten sie dem hl. Franz von Assisi in Fürbitte und Hoffnung. Die Kapelle wurde zu einem Wallfahrtsort und zu einem Symbol des Bewusstseins, dass die Fehler, die der Mensch macht, den einen zugute kommen, jedoch den anderen Unglück bedeuten. Wasser als fons et origo, als Quelle und Beginn, kann auch als diluvium, als Sintflut, Ende bedeuten. Darko Lesjak fühlt deshalb mit seinen Mitmenschen, obwohl er weit weg von ihnen lebt. Sein Genius loci ist mit dem Ort verbunden, wo er geboren wurde, mit der Landschaft, in der er aufwuchs und feststellte, dass die künstlerische Sensibilität sein Lebenszweck ist. Er vereinigte Genius loci und Genius saeculi; die örtlichen Besonderheiten, die er spürte und in sich trug, sprudelten im Geist der Zeit an der Schwelle des neuen Jahrtausends hervor. Man kann von einem akzentuierten Interesse an der Natur, am Makro- und Mikrokosmos sprechen, umso mehr, als er sein Studium an der Münchener Akademie fortsetzte. Gerade diese Akademie spielte in der europäischen Malerei im ausgehenden 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle und bedeutete frischen Wind auch für die bildende Kunst Sloweniens; sie beweist ihre Offenheit auch an der Schwelle des neuen Jahrtausends, ist sich der Universalität der bildnerischen Sprache bewusst und verschließt sich nicht Einflüssen von außen in einem engen nationalen Rahmen. Ihre Absolventen aus der ganzen Welt bringen ihre eigene Kultur nach München, sie gewinnen in der Stadt eine kosmopolitische Haltung, die sie in eine idiographische übertragen. Die eigene Ausdrucksform eines jeden von ihnen lässt ein breites Spektrum von Inventionen bis hin zu Multimediaveranstaltungen zu.
 

Bildfläche, Farbe und Stofflichkeit

Der Maler überträgt (projiziert) eine Kette von Gedanken und Emotionen auf der bewussten und unbewussten Ebene auf einen materiellen Träger, im gegebenen Fall auf eine glatte Bildfläche: »Das Bild ist aufgrund dieser Begrenzung ein abgeschlossener Gedanke in einem abgeschlossenen malerischen Raum, eine Bleibe des Geistes im begrenzten materiellen Raum der gegebenen Malfläche. Und deshalb eine ewige Herausforderung der Kreativität der Maler« (M. Butina).  Der Bildkörper ist in Lesjaks Beispiel auf den ersten Blick glatt, in gewisser Weise »geschliffen«, damit sich beim Auftrag der Pigmente die Wirkung von Glätte, Glanz und Transparenz nicht verliert. Die Fläche des Malgrunds saugt nur so viel Bindemittel auf, als sich die Farben binden. »Für den Maler ist die Materie nicht nur ein Vermittler zwischen der Inspiration und deren Ausdruck; die Materie selbst besitzt ihre eigene Schönheit« (Raol Dufy). Die chromatische Dimension der Arbeiten von Lesjak ist besonders wichtig: Es handelt sich nicht nur um ein Register von Farben und Tönen, die Farbwerte sind von sekundärer Bedeutung. Es geht um eine bewusste Auswahl der Farben, um ein Leuchten, für das nicht die Überfülle visueller Kommunikationen im großstädtischen Alltag der Grund ist. Lesjaks Farben ähneln nicht dem nervösen Pulsieren der Reklameschilder, das »Farbklima« (nach A. Trstenjak)  holte er sich aus dem Drautal. Mit Grün und Rot suchte er eine Komplementierung, damit deren Verschmelzung in weiße Transparenz übergeht. Wenn man in seine Farben »eintaucht«, wird man sich bewusst, was der große Dichter mit dem Satz sagen wollte: »Wäre das Auge nicht sonnenhell, würde es die Sonne nicht wahrnehmen« (Goethe). Unsere Sinnesorgane und Empfindungen sind nämlich für die Farbensprache des Malers empfänglich, sie führt uns in eine bekannte Welt, ob in die Tiefe eines Flusses oder zum Grund eines Kolkes, unsere Imagination ist umso größer, je mehr sie uns vom Künstler in echter Form angeboten wird. Alle unsere Sinne werden mobilisiert, um wahrnehmen zu können, was wir seit jeher kannten. Die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kultur und einer gemeinsamen historischen Erinnerung kommt stärker zum Ausdruck, als im Hinblick auf die geschaffenen Muster der einzelnen Gesellschaften, denen wir angehören, zu erwarten wäre.
 

Lichtbecken

Für Darko Lesjak ist somit das Wasser eine Quelle der Inspiration; in seiner Jugend saugte er dessen Gewoge und Wellenbewegung auf, dessen unaufhörliche Veränderung, die Farbspiegelungen in dessen Transparenz, und später wurde die Erfahrung entscheidend für seine Ausdrucksform. Transparenz, Lasur und Bewegung wurden zu seinem Gebot, zur ästhetischen Norm, aufgrund derer auch die Lichtbecken entstanden. Es handelt sich um Transpositionen oder sogar Verwandlungen der Substanz, wo das Bild nicht mehr materiell ist, sondern sich im spezifischen Raum in das Erlebnis des Lichts verwandelt. Die Transparenz, die schon beim charakteristischen Farbauftrag auftritt, steigert sich, je mehr der Malgrund das Eindringen des Lichts ermöglicht und dieses als Linse reflektiert. Die assoziative Vorstellung davon, wie das Licht den Malgrund durchdringt, wurde so stark, dass sie Lesjak auf spontane Art und Weise spürte und zu einem tatsächlich transparenten Material griff – zu Folie und Glas. Diese verwendete er zunächst als Malgrund und nutzte später letzteres zur Steigerung der Wirkung des Lichtbeckens.
 

Rhythmus und Bewegung

Das Denken in materiellen Symbolen zu fixieren bedeutet, eine Linie zu ziehen, ein Zeichen zu machen; bildende Kunst und Schrift müssen daher in Verbindung gebracht werden, gemeinsam sind ihre psychischen Impulse. Die ersten Graphismen drückten höchstwahrscheinlich eher Rhythmen als Formen aus, da die »bildende Kunst in ihren Anfängen unmittelbar mit der Sprache verbunden war und im weitesten Sinn viel näher der Schrift als dem Kunstwerk stand: Sie ist eine symbolische Übertragung und nicht eine Kopie der Wirklichkeit« (A. Leroi-Gourhan).  Bewegung und Rhythmus sind die Maxime für das bildnerische Schaffen, ihre Bedeutung wurde in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren entdeckt (das sogenannte Actionpainting betont die Spontaneität der Geste), und später verband sich die gestische Akzentuierung mit charakteristischen individuellen Ausdrucksformen, was auch beim Schaffen von Darko Lesjak besonders hervortritt. In der Zeichnung bewahrte er zwar die expressive Substanz mit erkennbarer Figur, aber auf die Leinwand und den anderen glatten Malgrund (Glas oder spezielle Folie) übertrug er die Bewegung des »nervösen« Pinsels, der »unruhige Räume« schuf, wie sie bereits Emilio Vedova in den Fünfzigerjahren kannte. Er führt wieder das Dripping ein, das typische Herabtröpfeln, wobei sein Körper über dem etwa 30 Zentimeter über dem Boden liegenden Malgrund die »Pose der Aktion« (Actionpainting) einnimmt und sich die Energie über den ganzen Körper auf die Malfläche überträgt. Lesjak gibt die Strömung des Flusses wieder, man versinkt in die Tiefe des Flussbettes und überlässt sich der Turbulenz der zwar ruhigen Strömung, die zugleich ein Wirbeln seiner Energien ist. Die Spuren des Pinsels oder Lappens sind Aufzeichnung, Knotenpunkte organischer, auf Embryos anspielender Formen: Wasser und Fetus als werdendes Leben.

Die Gestaltung der Ausstellung in der Galerie Slovenj Gradec ist eine Inszenierung der Ausdrucksform des Künstlers im Sinn einer ganzheitlichen Belebung des Ausstellungsraums. »Aquarium II« (die »Uraufführung« fand in München in den Räumen der Akademie-Galerie statt) war zunächst zusammen mit dem Künstler als eine Art Pendant zur Münchener Ausstellung im Sinn einer Durchleuchtung (Aquarium im dunklen und Aquarium im weißen Raum) geplant, dann wurde der Entschluss gefasst, sich der ursprünglichen Ausstellung möglichst anzunähern, so dass die Wirkung des Aquariums Licht und Dunkel ausnutzt (bühnenmäßige Aufstellung). Hingegen wird durch die Aufstellung der Bilder auf Glas das Licht und dessen spezifische Wirkungskraft genutzt, die die Auswahl des Materials selbst verleiht (Lesjak spezialisierte sich in der Verwendung von Glas in den Werkstätten von Frauenau in »Floatglasmalerei«). Die Zeichnungen und Fotografien nehmen bei der Aufstellung, wo die Problematik des Lichts in der Grammatik der bildnerischen Sprache besonders exponiert ist, einen besonderen, korrespondierenden Platz ein.