BOGDAN BORÈIÆ - GRAFIKE/ PRINTS
retrospektivna razstava/ retrospective
katalog/ catalogue
 
 

jernej kožar
BOGDAN BORÈIÆ : GRAPHIKEN
(ÜBER REALISMUS, ABSTRAKTION UND DAS LESEN VOM BILDNIS)

 

Von den ersten Nachkriegsjahren an bis heute kann man in Borèiæs Graphik-Opus eine Reduktion des Motivs verfolgen bis zur monochromatischen Fläche um die Mitte der 80er Jahre, dann zurück zu den Farbflächen, die sich wieder mit den traditionellen Bedeutungsweisen Gültigkeit verschaffen wollen. Die  Richtung seines Schaffens kehrt sich also um, sowohl inhaltlich als auch formal, von der schwarzen Fläche  weg, wo das Bildnis von allen zusätzlichen Bedeutungen befreit ist (beziehungsweise am meisten von ihnen enthält). Eine neue Symbolik tritt in sein Schaffen ein: die Symbolik des Ateliers, der Arbeitsplatz des Künstlers. Die Ikonographie des Ateliers ist reich: man kann sie als Selbstbildnis des Künstlers deuten, als Mikrokosmus der subtil von der Außenwelt erzählt, obwohl er davon, wenigstens scheint es so, völlig isoliert ist. Im formalen Sinne, wenn wir vom Minimalismus als dem Limitpunkt des künstlerischen Schaffens ausgehen, stellt das Atelierbild die Entspannung dar, denn es treten formale Elemente ins Bildnis ein, die einzelne Gegenstände denotieren können - zum Beispiel den Grundriß des Ateliers.

Bei der Betrachtung der Entwicklung von Borèiæs Bildnis kann man sich mit der Technik der Landkarte helfen : das Bildnis verändert sich ebenso wie die Landschaft selbst je nach den verschiedenen Projektionen und Maßstäben. Seine ersten Landkarten stellen den Künstler selbst dar, Boote, Türen, erkennbare Elemente der Alltagswelt. Der Maßstab dieser Landkarten ist 1:10, 1:100, was eine verhältnismäßig einfache Motiverkennung ermöglicht. Bis zum Anfang der  90er Jahre nähern sich Borèiæs Graphiken dem räumlichen und zeitlichen Nullpunkt und gerade, wenn sie die Singularität erreichen könnten, kehrt sich
die Richtung um - der Maßstab wechselt.

In den 50er Jahren richtet sich Borèiæs Aufmerksamkeit aufs Meer: das Boot, die Muschel. Beide Motive - Boot und Muschel - enthalten eine starke symbolische Bedeutung, eine reiche ikonographische Tradition. Das Boot als Erscheinungsform des Wasserfahrzeugs (Floß, Schiff) symbolisiert den Übergang aus dieser Welt in eine andere: es ist Charon, der mit dem Boot die Schatten der Toten über den Fluß der Unterwelt fährt - Übergang aus der Welt der Lebenden in die Welt der Toten. Das Boot ist stark mit symbolischen Deutungen belastet und verschwindet später gänzlich aus dem Motivrepertoire. Weniger gilt das für die Muschel, dabei trägt die Muschel in sich möglicherweise noch einen tieferen und bedeutungsvolleren Sinn für die bildende Kunst: Botticellis Geburt der Venus - Geburt  und Liebesgöttin - Geburt der Liebesgöttin.

In den 60er Jahren konzentriert sich Borèiæ auf Meeresmotive: Boot, Fischer, Netze. Gegen Ende dieses Jahrzehnts erscheinen allmählich Zeichen, von denen er später (Ende der 70er Jahre) einen ganzen Zyklus ausarbeiten wird, und Motive, bei welchen schon ein Einfluß der Popart zu spüren ist: Das Paar, Maler mit Modell, Experiment, Dunkle Graphik, Fischkonserve, etc.
Die Muschel wurde in den 70er Jahren größtenteils zum zentralen Motiv von Borèiæs Schaffen. Die Darstellung der Muschel ist völlig rational, irgendwie im Renaissancegeist des Künstlers als Wissenschaftler. Jedoch ist dieser Eindruck nur eine oberflächliche Widerspiegelung seines Hauptinteresses - das  ist der Entstehungsprozeß einer Graphik : Radierung, Aquatinta, Kaltnadeltechnik. Die perfekte Beherrschung der erwähnten graphischen Techniken zeigt sich an der Oberfläche, im Bildnis selbst. Das Bild ist mit Elementen der Geometriesprache angefüllt: mit Graphen, Geraden, Figuren ...  Es ist kein Zufall, daß sich Borèiæ an die geometrisch-wissenschaftliche Sprache anlehnt, da diese ja viel exakter als die malerisch-graphische ist: die Zahl der Zeichen ist begrenzt und alle sind genau definiert. Die Muschel ist von allen möglichen Seiten dargestellt, dabei fehlt kein noch so kleines Detail ihrer Schale, dieser ungewöhnlich gewundenen Form. Wie gesagt, hat die Muschel einen außergewöhnlich symbolischen Impact - in diesem Falle handelt es sich um ihre Schale, die spiralartig gewunden ist, und gerade die Spirale stellt sicherlich eins der menschlichen Grundsymbole dar.

In der folgenden Phase ist aber die Muschel nicht mehr das zentrale Forschungsmotiv, sie wandelt sich zu einem dekorativen Element, rückt in den Hintergrund. An dieser Stelle werden Muscheln durch Punkte ersetzt oder, geographisch ausgedrückt, der Maßstab ändert sich. Der Blick des Künstlers dringt immer tiefer ein, das Motiv wird größer und gr3ßer und die Muschel scheint nur noch als ein Punkt auf dem weißen oder schwarzen Hintergrund. Als wäre sein Blick in das wahre Wesen der Muschel eingedrungen, ins Innere, in die Seele, und von der Muschel blieb nichts anderes übrig, als auch von einem anderen Lebewesen zurückgeblieben wäre. Geblieben sind nur die Gesetze, welche die Form im Raum bestimmen, und die gerade in der bildenden Kunst am leichtesten darstellbar sind.

Die nächste Phase, in der sich der Maßstab noch weiter verkleinert, geht zur Subatomstufe über, zur Stufe der Elementarteilchen der Natur; was übrig bleibt ist nur eine Leere, die große Leere zwischen den verschiedenen Teilchen (Punkten), die mit Lichtgeschwindigkeit dahinreisen. Auf dieser Stufe unterscheidet das menschliche Auge nicht mehr zwischen unendlich klein und unendlich groß - diesen Zustand nennt man Singularität. Da herrschen unüberprüfbare physikalische Gesetze, Quantenkräfte und Dimensionen, dem Menschen unfaßbar, weil sie nicht Teil unserer Welt sind. Die Singularität ist auf schwarzen Bildern dargestellt, die zwar nur selten ganz schwarz sind, gewöhnlich steht Schwarz in einem aktiven Verhältnis zu Weiß oder helleren Farben. Diese Werke nennen sich: Schwarzes Quadrat, Schwarze Felder mit schwarzem Rand, Thema: Quadrant, Schwarzes Quadrat auf schwarzem Feld, .... die Titel beschreiben nur eine Bildphase. Doch das Bild ist nie  ganz schwarz, völlig ohne Licht, es ist immer wenigstens ein dünner Lichtstreifen da – der Horizont des Geschehens. Es besteht die andere Seite, ein weißes Feld und diese andere Seite ist in einem nie ganz schwarzen Bild sichtbar. Die Zukunft ist da, nur auf der anderen Seite.
Die Forschungsphase des schwarzen Feldes, der Singularität (nur als schwarzes Feld vorstellbar) währt duch die ganzen 80er Jahre und greift in die 90er  ein. Ihr Ende können wir auf den Bildern der Mäander-Serie (Acryl auf Leinwand) nachempfinden, was eine Konstante im Opus Borèiæs darstellt. Die Entwicklung der nachfolgenden Phase seines graphischen Schaffens zeigt sich fast immer konsequent in seiner Malerei; es sind die Bilder, welche die kommende Phase ankündigen. Diese Änderung vollzieht sich endgültig mit der Atelier - Serie. Wo das schwarze Feld zerschlagen ist, durchbricht man den Punkt der Singularität und tritt aus einer Welt ohne Zukunft in eine Welt ohne Vergangenheit. Die Singularität verschwindet, das schwarze Feld gewinnt Inhalt.
Borèiæs Graphiken bieten uns einen vorzüglichen Einblick in den Entstehungsprozeß eines abstrakten Bildes. Die Muschel auf dem Bild durchläuft Zwischenphasen und wird zum Punkt. Die Muschel multipliziert sich, kleine Muscheln bedecken die ganze Oberfläche des Bildes, die Muschel versteckt sich hinter anderen Elementen ..... Allen Stufen des Zersetzungsprozesses der Muschel ist ein Rhythmus der Beziehungen der künstlerischen Elemente im Bild gemeinsam. Die Transformation des Punktes wird so lange fortgesetzt, bis auf dem Bild nur noch eine Linie, ein schwarzes und ein weißes Feld zurückbleiben - so entsteht ein abstraktes Bild.  Die genau bestimmte Muschel wandelt sich zu einer Muschel, zu mehreren  Muscheln und auf diese Weise kann eine Muschel (können mehrere Muscheln) zum Punkt (zu Punkten) werden. Aus Punkten entsteht eine Fläche und diese lebt an der Oberfläche des Bildes immer im Dialog mit der weißen, helleren Fläche weiter.


Den beschriebenen Prozeß der Reduktion des Motivs auf die Grundzeichen der
graphischen Sprache lassen sich durch das Prisma von Borèiæs Interesse für graphische Techniken verstehen. Es scheint so, als wäre er irgenwann in den 70er Jahren von ihnen völlig besessen gewesen, als hätte er sich schon damals ganz auf das Verfahren der Motivausarbeitung konzentriert. In diesem Licht läßt sich eine ziemlich schnelle Reduktion des Motivs, zum Beispiel die einer Muschel bis hin zur monochromatischen Fläche, verstehen - das alles ereignet sich in einem knappen Jahrzehnt. Wir sehen also, daß die Bedingung für das Entstehen einer monochromatischen Graphik allein das betonte Interesse des Künstlers an der technischen Ausführung der Graphik ist, weswegen die Reduktion des Motivs auf seine Grundkomponenten erfolgt, was schnellere Arbeit und präziser heraugestellte Effekte ermöglicht. Gleichzeitig mit dem erhöhten Interesse für die Technik vollzieht sich bei Borèiæ in den 70er Jahren auch die künstlerische Erforschung des Motivs: wodurch es bestimmt wird, die Orientierung, die Lage im Raum, das Verhältnis zu den anderen Gegenständen, zu den Komponenten der Oberfläche, oder auch der Raum, die Farbe ....

übersetzt von E. K.