Crossover

cross-over – Straßenüberführung; verkreuztes vorderes Kleidungsstück; Übergang des Faktors auf ein anderes Chromosom (Großes englisch-slowenisches Wörterbuch DZS, 1988)

 

Die Ausstellung Crossover ist eine verbindende Institution zwischen den Künstlern auf beiden Seiten der Grenze und somit die Präsentation künstlerischer Errungenschaften, die auf unterschiedliche Weise Grenzen überschreiten, sei es geographische, politische oder solche innerhalb der bildenden Kunst, Grenzen zwischen den einzelnen  Ausdrucksarten, zwischen den Medien oder Zeitgrenzen, Grenzen zwischen verschiedenen Zeitabschnitten. Die gegenwärtige Ausstellung mit diesem Titel ist die dritte in der Reihe, ihr Zweck ist die Belebung der Zusammen-arbeit österreichischer und slowenischer Künstler sowie andere grenzüberschrei-tende Verbindungen. Mitgewirkt haben Lojze Logar, Luka Popič, Mirko Rajnar, Štefan Marflak, David Zadravec, Peter Hergold, Stane Jeršič und Barbara Jakše Jeršič, Sašo Vrabič, Naca Rojnik, Mladen Stropnik, Nataša Skušek, Ciril Horjak, Dušan Fišer in Tomo Jeseničnik. Bewußt wurden Künstler ausgewählt, deren Schaffensbereiche von der klassischen Malerei über die Bildhauerei, Installationen bis zum Video und Strip reichen, um mittels ihrer Werke die Vielfältigkeit der zeitgenössischen Kunstlandschaft begreifen zu können.

Sašo Vrabič benutzt das Bild zur Erforschung verschiedener gesellschaftlicher Ereignisse, Familienverhältnisse, Beziehungen in der postsozialistischen Gesellschaft, das Verhältnis des zeitgenössischen Menschen zum aktuellen Geschehen, auch Randgeschehen wie z. B. die populäre Musik. Seine Werke sprechen über die Grenze zwischen der Fiktion und der geltenden Geschichte, über die Grenze zwischen verschiedenen Kunstgattungen. Mladen Stropnik begibt sich mit dem Video und der Zeichnung in Grenzbereiche menschlichen Seins. Während er die einzelnen Alltagsaktionen ästhetisiert und sie in einen unendlichen Loop verwandelt, kartographiert er Raum und Zeit: er »spaceilisiert« die Zeit und »temporalisiert« den Raum. Nataša Skušek beschäftigt sich mit ähnlichen Problemen wie auch Stropnik und Vrabič, nur mit umgekehrtem Blickpunkt. Sie betrachtet die gesellschaftlichen Prozesse, Praxen und eingefahrenen Bräuche aus der Frauenperspektive. Ihre Videos rücken Alltagsbeschäftigungen in den Vordergrund, die man als selbstverständlich erachtet, was sie jedoch keineswegs sind.  Ciril Horjak, im Grenzbereich zwischen hoher Kunst und der Populärkultur unterwegs, hält in seinen Strips mit meisterhafter Zeichnung und aktueller Geschichte das Geschehen jener Orte fest, an denen er sich gerade befindet. In seinen Strips thematisiert er Geschehnisse der slowenischen Gesellschaft und beschreibt sie, solche, die in Vergessenheit zu geraten drohen; es ist auch sein Verdienst, dass sie weiterhin an der Oberfläche bleiben. Tomo Jeseničnik beschäftigt sich mit der Portrait- und Landschaftsfotografie und beschreibt damit die Kärntner Landschaft und die hier lebenden Menschen. Stane Jeršič und Barbara Jakše Jeršič verbinden die barockartig inszenierte Fotografie mit breiten Großstadtveduten.

Dušan Fišer stellt sich als Bildhauer vor. Seine amorphen Formen in leuchtenden kompositen Materialien weichen stark von seiner Malerei, wie wir sie bisher gekannt haben, ab, bzw. von den Werken der anderen Bildhauerin dieser Ausstellung, Naca Rojnik. Rojnik lebt in abgelegenen Gebieten Kärntens* auf Graška gora,  wahrscheinlich finden ihre Erfahrungen Ausdruck in ihren Werken (sind ihre Werke Ausdruck dieser Erfahrungen). Die organischen Formen ihrer Skulpturen entspringen unmittelbar dem Modernismus und rufen im Betrachter verschiedene Assoziationen hervor.

Lojze Logar, Mirko Rajnar, Luka Popič, Peter Hergold und David Zadravec sind Maler, die sich an die strengen modernistischen Traditionen halten und sie auch mit ihren einzigartigen, immer interessanten Farbmanifestationen auf der Maloberfläche überschreiten. Popič verwendet in seinen kleinen, zusammengesetzten Formaten eine eigenwillige Kalligrafie- und Collagetechnik, Logar hält sich an die modernisti-sche Tradition, er führt sie vor allem mit der Wahl türkisgrüner und violetter Nuancen weiter. Rajnar und Zadravec bleiben mit Öl auf Leinen der traditionellen Malerei treu. Hergold verbindet in völlig eigenem Stil die Prozessualität der Musiktheorie mit jener der bildenden Kunst mit dem Resultat harmonischer Tonstudien.

 

 

Die Grenze

 

In der Zeit des Kalten Krieges bildete die Staatsgrenze zwischen Österreich und Jugoslawien eine breite Zone, in welcher Bewegungen nur beschränkt erlaubt waren. Die Grenze von heute ist auf eine schmale, virtuelle Linie reduziert. Wo ist also die Grenze? Sie befindet sich in den Köpfen der Menschen und wird vor allem durch die Sprache bestimmt.  Oder mit Ludwig Wittgensteins Worten: »Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt

Kärnten / Koroška, welches heute beiderseits der österreichisch-slowenischen Staatsgrenze liegt (das sich heute größtenteils in Österreich befindet), umfasste das Territoruim des ersten slowenischen und slawischen (?) Staates – Karantaniens. Dieses Gebiet ist für die Slowenen von großer nationaler Bedeutung, die es heute noch kennzeichnet. Karantanien ist für die Slowenen auf eine bestimmte Weise der mythologische Ursprung und ein historisches Faktum, auf welches die Slowenen immer wieder zurück kommen und auf welches verschiedene Historiker zurück greifen, mit dem Wunsch, der slowenischen nationalen Eigenständigkeit die Sinnhaftigkeit zu verleihen. In diesem Gebiet fand 1920 die Volksabstimmung statt, als sich die Bevölkerung für das Leben in Österreich entschieden hat und den Kontakt zum aus Schutt und Asche des österreichisch-ungarischen Imperiums entstandenen nationalen Mutterland verloren hat.

Bezüglich der Minderheit gibt es zwischen Österreich und Slowenien offene Fragen. Die Kärntner Slowenen sind eigentlich vorbildliche Staatsbürger und treue Österreicher, was sie nicht zuletzt mit ihrer Entscheidung bei der Volksabstimmung bestätigt haben. Österreich behandelt sie jedoch unfair, anstatt sie für ihre staatsbildende Entscheidung zu belohnen, billigt man ihnen nicht einmal bürgerliche Grundrechte (popravi kot si predlagal!) zu – wie z.B. die Aufstellung der Ortstafeln in ihrer Muttersprache.

In der realen Politik sind territoriale Anliegen Tendenzen, Bestrebungen (?) immer vorhanden. Besonders in national gemischten Gebieten kommt es immer wieder zu Konflikten, da beide Seiten die Lage zu ihrem Vorteil nutzen. Unter diesem Aspekt ist der Assimilierungsdruck der Österreicher gegenüber den Slowenen zu verstehen, aber auch das Bestreben der Slowenen, ihre Sprache und Kultur zu erhalten. In Europa gibt es zahlreiche Gebiete mit Minderheiten. In Slowenien leben Italiener und Ungarn, in Italien Österreicher in Südtirol, wo man sich in den 70-er Jahren des 20. Jh. u.a. mit radikalen terroristischen Aktionen eine fast vollständige Autonomie erkämpft hat. An der deutsch-französischen Grenze leben sowohl die einen als auch die anderen, in Rumänien leben auch Ungarn. Grenzgebiete gibt es auf der ganzen Welt. Im Lauf der Geschichte wurden Grenzen hin und her verschoben, Teile der Völker blieben in der Folge oft jenseits der Grenze. Das Beispiel der Kärntner Slowenen ist spezifisch, da sie über den Verbleib in den anderen Staat, auf der anderen Seite der Grenze selber entschieden haben. Eine Volksabstimmung nach dem Ersten Weltkrieg gab es auch (auf dem) im Grenzgebiet (Gebiet) zwischen Frankreich und Deutschland. S plebiscitom so po prvi svetovni vojni reševali vprašanja meje tudi med Francijo in Nemčijo. – Mit der Volksabstimmung sind nach dem ersten Welt Krieg Grenzfragen auch zwischen Frankreich und Deutschland erledigen, gelost, etc worden.

Menschen, die auf der anderen Seite der Grenze leben, haben die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Staates, doch sie sprechen noch immer die Sprache und leben die Kultur (der ursprünglichen Staaten) ihrer Herkunft.

Die Kärntner Slowenen sprechen Slowenisch mit einem starken lokalen Akzent, Worte und die Syntax sind archaisch, was davon zeugt, dass der Kontakt zum Mutterland, in welchem sich die Sprache aufgrund der größeren Anzahl (von Sprechern) der Bevölkerung schneller entwickelt, eher gering war.

 

(Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat unlängst über die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in Südkärnten entschieden: die Ortsnamen sind zwar slowenisch, jedoch nicht in der Schriftsprache, sondern im Dialekt, wie er von den Kärntner Slowenen verwendet wird (?). ) AUS

 

 

Mit der Präsentation verschiedener bildnerischer Sprachen, Techniken und Aussagen, deren Verbindungsglied nicht nur die Zeit und der Entstehungsort sind, sondern auch die Einheitlichkeit im Stil, welche in den notwendigen Unterschieden zu finden ist, wollten wir das Problem der Grenze sichtbar machen.

Die Künstler erforschen die Mittler zwischen der Eleganz und den Abfällen der zeitgenössischen Gesellschaft, als Ideenquelle dienen ihnen Bilder der Konsumgesellschaft aus der Yellow-Press, sie bewegen sich zwischen den verführerischen Codes der zeitgenössischen Mode, der Werbung und der strengen visuellen Sprache der modernistischen Abstraktion. Der Ausstellungsraum ist gefüllt mit Tönen, einige sind klar lesbar, andere fast unhörbar, die sich mit neuen, gefundenen Stimmen der Besucher zusammen fügen. Die Ausstellung Crossover ist eine Metapher für die Welt, in welcher die Stimmen der Scherze, Lieder, Bitten, Grüße, Aussagen und Vorschläge widerhallen. Die ausgestellten Werke billigen den vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ereignissen das Simultane zu und setzen sich für ein komplexeres Begreifen der Standpunkte ein, mit welchen wir die Gegenwart betrachten.

Vielleicht sind es gerade Künstler, die mit ihrem nicht explizit belasteten Wirken den Einfluss auf Annäherung und Verbindung der Grenzgebiete haben können. Nur das ständige Überschreiten der Grenzen ermöglicht gute Kenntnisse über die Anderen dort drüben, um Konflikte zu verhindern. Die Ausstellung Crossover wird über das aktuelle bildnerische Geschehen auf beiden Seiten der Grenze erzählen und versuchen, die Besucher auf der anderen Seite mit den Problemen und Gedanken der jeweils anderen bekannt zu machen. Ich bin überzeugt, dass die Künstler und ihre Werke eine ähnliche bildnerische, obwohl lokal gefärbte Sprache sprechen. Diese Künstler gehören jedoch der gleichen Kultur, d. h., der postmodernen Kultur an, und diese bewegt sich mit unverminderter Geschwindigkeit in Richtung des Posthumanismus.

 

Jernej Kožar