Page 65 - [Peter_Menzel,_Faith_D’Aluisio]_Mahlzeit_Auf_80(BookFi.org)

Basic HTML Version

65
8 0 0 – 1 9 0 0
Bei unserer Ankunft ziehen wir an der Tür
die Schuhe aus, wie es in ganz Asien üblich ist.
Wir setzen uns auf den Boden des Wohnraums,
der zugleich Schlaf- und Esszimmer ist. In einer
Ecke sind die Schlafmatten gestapelt. Auf
einem Metallregal an einer Seite lagert die Klei-
dung der Familie, an der anderen Wand stehen
Wassereimer und Kochtöpfe. Es gibt Strom,
aber keinen Kühlschrank, und so muss täglich
eingekauft werden.
Rumas fadenscheiniger hellblauer Sari und
ein halbblinder Spiegel mit orangefarbenem
Rahmen sind die einzigen Farbtupfer im Raum.
Wie ist das Haus im Vergleich zu dem auf
dem Dorf? »Etwa gleich groß«, sagt Ruma und
fügt dann hinzu: »Hier ist es besser, weil es
hier Arbeit gibt.«
Ruma führt uns auf einen Rundgang, vorbei
an den Toiletten und an der Wasserpumpe zur
'EMEINSCHAFTSKÓCHEänäEINEMäLEERENä2AUMäMITä
DREIä IMä "ODENä EINGELASSENENä 'ASBRENNERNä
und einem vergitterten Fenster. Die Frauen brin-
gen Töpfe, Küchengerät und Zutaten, um hier
ihre Curries, Linsengerichte und den Reis
zuzubereiten, und tragen anschließend alles
wieder nach Hause.
Rumas Mutter kocht normalerweise ein-
mal am Tag und stellt die geschlossenen
4šPFEäMITäDENä'ERICHTENäDAHEIMäFÓRäDIEä-AHL-
zeiten bereit. Der Speiseplan bietet kaum
Abwechslung: Kartoffeln, gekocht und zer-
stampft, mal mit, mal ohne Chilischoten, in
DERä2EGELäMITä'ELBWURZ ä,INSENäMITä:WIEBELN ä
Knoblauch und Ingwer. Und Reis zu jeder
Mahlzeit, aus dem großen Topf. Alle mögen
Fleisch, sagt Ruma, doch sie können es sich
nur selten leisten.
Rumas Vater Jalil fährt sieben Tage die
Woche Fahrrad-Rikscha, befördert Menschen
und Lasten quer durch die Stadt. Das Fahrzeug
gehört ihm nicht, fast die Hälfte seiner Ein-
nahmen muss er an den Besitzer abgeben,
sodass ihm im Monat etwa 3500 Taka (um-
gerechnet etwa 38 Euro) bleiben.
2UMAäVERDIENTäBEIä!NANTAäZWISCHENä
ä
UNDä
ä4AKAä ETWAä äBISä ä%URO ä )HREä
einzigen Kosten sind die Rikscha-Fahrten, 20
Taka (etwa 22 Cent) pro Strecke zur Arbeit
und zurück. Ruma fähr t immer mit einer
Freundin zusammen, und sie teilen sich den
Fahrpreis. Zu den Hauptverkehrszeiten drän-
gen sich in den Straßen Rikschas, Taxis,
Kleinbusse, Motorroller und Fußgänger, so-
dass die Rikscha-Fahrt für die gut drei Kilome-
ter zur Fabrik manchmal eine volle Stunde
dauert. Da Ruma sonst kaum Freizeit hat, die
sie mit der Freundin verbringen könnte, leis-
ten die beiden sich den kleinen täglichen
Luxus. Fragt sie je den Vater, ob er sie in sei-
ner Rikscha mitnimmt? Sie lacht und schüt-
telt den Kopf: Nein, seine Dienstzeiten und
Strecken passen nicht. Neben der Miete gibt
SIEäDASäMEISTEä'ELDäFÓRSä%SSENäAUS ä
Wie sieht Ruma ihre Zukunft? Ehe sie ant-
worten kann, sagt ihr Vater, die Zukunft seiner
Tochter liege in einer Heirat. Sie tätschelt ihn
UNDäENTGEGNET äw&RAUEN äDIEäIHRäEIGENESä'ELDä
verdienen, werden respektiert. Das ist für
mich wichtig. Ich habe einen guten Job und
möchte in der Firma aufsteigen. Ich bin eine
selbstbewusste Frau, die für sich selbst sor-
gen will und kann.«