Page 149 - [Peter_Menzel,_Faith_D’Aluisio]_Mahlzeit_Auf_80(BookFi.org)

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Abgesehen von den elektrischen Leitungen mit baumelnden nackten Glühbirnen und ein paar
Waren aus China geht es im Basar der Altstadt von Saana (links) noch weitgehend so zu wie einst
zu Zeiten des Propheten. Reich verzierte Bauten aus Stein und Ziegeln umringen das Gewirr der
Läden und Stände, wo Schuhe und Kleidung, aufwendig geschmückte Dolche, Gold und Katblätter,
Lebensmittel und Gewürze verkauft werden. Vorbei an Bergen von Bohnen und Erbsen, Mehl
und Erdnüssen, bunten Linsen und Reis, Mais und Hirse kehrt ein Händler mit einem Tablett mit
einem dampfenden Glas süßem Tee zu seinem Laden zurück (unten rechts). Jemenitische Frauen
stecken frittierte Süßigkeiten in ihre Taschen, ein kleiner Junge kauft süße Kaktusfeigen (oben).
Früher konnte sich der Jemen weitgehend selbst versorgen, doch in den vergangenen 50 Jahren
wuchs die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten, die heute 85 Prozent des Bedarfs decken
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erst vor Kurzem dort eingezogen. Wie im Je-
men üblich, gibt die Familie 75 bis 80 Pro-
zent ihres Einkommens für Lebensmittel
aus, und so veranlasste sie schon eine
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früheren Wohnung. Trotz des knappen Haus-
haltsgeldes kauft Fadhil jede Woche eine
große Tüte Katblätter, die er am Wochenende
zusammen mit seinen Freunden kaut; Saada
kaut kein Kat. Die frischen Blätter enthalten
einen stimulierenden, amphetaminähnlichen
Wirkstoff, der beim Kauen freigesetzt wird.
Wenn der Ruf des Muezzins von den Mina-
retten erschallt, beginnen Saada und Fadhil
den Tag mit einer Tasse Kishir, einer Art Tee, für
den die Spelzen von Kaffeebohnen aufgebrüht
werden. Man trinkt ihn mit Zucker und Karda-
mom, Zimt oder Ingwer. Zum Frühstück und an-
deren Mahlzeiten gibt es Schwarztee, der eben-
falls mit viel Zucker getrunken wird, und dicke
Bohnen, die nach dem Einweichen mit Zwie-
beln, Tomaten und Chilis gekocht werden. Dazu
backt Saada Fladenbrot. Im Jemen gibt es
überall eine große Auswahl an ungesäuertem
Brot, dünn oder aufgebläht, mit oder ohne Gewürz
und +šRNER ä3AADAäBACKTäMEHREREä3ORTEN
Zwischendurch wird frisches Obst geges-
sen, als Imbiss gibt es Fetakäse mit Sesam-
paste und Brot. Abends kommt leichte Kost
auf den Tisch, etwa Rührei und Brot. Saada
setzt früh den Teig für Lahuuh an, ein locke-
res, pfannkuchenähnliches Hefebrot. Es wird
solo gegessen oder mit cremigem Joghurt
bestrichen und mit frischem, intensiv duften-
dem Korianderkraut bestreut.
Und sie bereitet Saltah vor, den feurigen
Eintopf aus viel frischem Gemüse, Fleisch
und Chilischoten. Er muss lange sanft
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verbinden, bis Fadhil zum Mittagessen nach
Hause kommt, wie jeden Tag. Zum Eintopf
gibt es Reis, mit Kreuzkümmel und Karda-
mom gewürzt, selbst gemachtes Tomaten-
relish und Salat, der mit Limettensaft an-
gemacht wird. Worin unterscheidet sich ihre
Ernährung hier in der Hauptstadt von der da-
heim auf dem Dorf? Dort gab es vor allem
Getreidebrei als Grundnahrungsmittel und
frisches Gemüse nur in seiner Saison.
Saada, die seit zehn Jahren in Saana lebt,
zog gern in die Stadt, wo das Leben leichter
ist. Auch ihre Schwester lebt hier, ebenfalls
mit einem Cousin verheiratet. Abgesehen von
gegenseitigen Besuchen gibt es wenig gesell-
schaftlichen Umgang. Im konservativen Jemen
ergehen Einladungen hauptsächlich an Ver-
WANDTE äUNDäDENäGRš”TENä4EILä IHRERä&AMILIEäHA-
ben die Haidars auf dem Dorf zurückgelassen.
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