dr. Oskar Moser, Graz A (1995)
RDAS MISSVERSTAENDNIS DES FORMALISMUS IN DERVERNAKULAEREN ARCHITEKTUR
Bauen schafft Formen. jeder Architekt weiss und ringt um diese so oder so. Sein entscheidendes Problem ist jenseits des technisch Moglichen stets das der Gestaltung, d.h. eine an aussere Moglichkeiten und an die wesensgemasse Erfullung und Losung seiner Aufgabe bzw. an die Funktion des zu schaffenden Bauwerks gebundene und in der Regel immer auch von Zeit und Stilempfinden bestimmte Formgebung. "Form" wird damit ein sehr komplexer und schillernder Begriff, der gerade im Bauwesen und in der Architektur, vor allem im Hochbau, weiteste Ausdehnung und letztlich kaum Grenzen findet: Das reicht vom einfachsten quasi naturlichen Gefuge weniger konstruktiver Grundelemente bis hin zur extravagantesten Willkurlicchkeit im Dreidimensio-nalen.
Auch das vernakuklare Bauen unterliegt seit jeher diesem Gesetzs. An ihm aussert sich nicht bloss reiner Konstruktivismus, sondern man empfand seit jeher gerade an ihm ein gewisses, "sicheres" Formgefuhl und masshaltige Ausgewogenheit, die beide geradezu zu dessen bestimmendem Merkmal deklariert worden sind. Welche und wie vielerlei Wurzeln dahinter stecken, das ist eine andere Frage. Die sogenannten landschaftstypischen und zweifellos auch sehr kompexen Bauformen sind dafur jedenfalls der sprec-hendste Beweis.
Nun erscheint auch in der vernakularen Arc-hitektur seit einer spurbaren Freisetzung derartiger, meist als autochthon betrachterer Zwange, d.h. vor allem seit der Aufklarung und zunehmenden Verschulung-nicht zuletzt auch im Bauhandwerk-eine Art Konflikt zwischen dem gangig Traditionalen der Gestaltung und dem von aussen An - oder Zugelernten. Dieser innere Gegensatz offnet siche gerade im Formwollen wie eine Schere, er wird je spater zu unserer Gegenwart herauf, desto krasser und deutlicher. Das fuhrt auch in der vernakularen Architektur zu einem besonderen Ekklektismus. Dieser stort uns nicht, solange er naiv und mit sicherem Formgefuhl und mit Ausgewogenheit bewaltigt wird; ja er wirkt sogar originell und kunstlerisch gekonnt. So haben formale Details von deer Gotik uber die Renaissance bis zum Klassizismus in landlichen Bauschaffen reichlich Aufnahme gefunden, ohne unser Auge zu storen oder es gar zu beleidigen.
Eigenartigerweise gilt dies umgekehrt nicht, wo namlich vernakulare Bauformen in modernes Bauschaffen ubernommen werden. Vielmehr treten formale Storungen, ja peinl-ich-eklatante Mangel fast immer dort auf, wo modernes Bauschaffen herkommlich Uberliefertes rein formal in Ganzen wie im Detail ubernimmt, d.h.es von der Baukorperform als solcher bis zum Dachwerk und dessen Details und zu den dekorativen Elementen der Wande (Turen, Fenster, Galerien, Verzierungen u.dgl.) auberlich nachahmt und anwender will.
Folkrosismus im Hausbau scheitert uberall dort, wo er blosser oder leerer Formalismus bleibt und wo er oft missverstanden, d.h. abge-zogen vom "wirklichen Bauen", nur ausserlich aufgepfropft wuchert. Es gibt viele Beispiele von den Details der Dachformen angefangen bis zu Balkon und Galerie, nach denen in der modernen Architektur (besonders der mittleren Ebene) ein sol-cher falscher Folklorismus in betrachtlichem Umfange grassiert.