Wissenschaft und Kunst
Man gibt einen Eiswürfel in einen fest schließenden
Behälter und erwärmt diesen. Eis wird zu Wasser und Wasser zu Dampf. Wird es
weiter erhitzt, zerfällt das Wassermolekül in ein Sauerstoff- und ein Wasserstoffatom.
Bei 3000 Grad Kelvin bricht das Elektron aus dem Atomkern heraus und das
ionisierte Gas - das Plasma - entsteht. Das Plasma, auch als vierter
Aggregatzustand bezeichnet, ist die häufigste Existenzform der Materie im
Kosmos. Die Sonne besteht aus Plasma. Bei 109 Grad Kelvin zerfällt
der Atomkern in Neutronen und Protonen - der Neutronenstern. Bei einer
Temperatur von Trillion Grad Kelvin zerfallen die Neutronen und Protonen in
Quarks und Lepta (Elektronen und Neutrinos). Bei Quadrillion Grad Kelvin
fusionieren die schwache Atom- und die elektromagnetische Kraft. Bei 1028
Grad Kelvin werden die elektromagnetische, die schwache und die starke
Atomkraft vereint. Bei 1032 Grad Kelvin gesellt sich zu diesen drei
Kräften noch die Gravitation; so bekommt man die zehndimensionale Symmetrie von
superstrings - das Gas von superstrings. Die Geometrie von Raum und Zeit
verändert sich. Es entsteht eine Spalte im Raum, ein Wurmloch.
Diese Beschreibung von Phasenübergängen habe ich als eine
Einleitung in die Betrachtungen von Julian Taupes Bilder verwendet, um den
Leser auf die Dimensionen in der Natur aufmerksam zu machen. Ich will damit
nicht sagen, dass sich Taupe absichtlich bemüht, seine Umgebung über diese
Fakten zu informieren, ich möchte nur sagen, dass seine Bilder bei einem Mangel
von eindeutigen Mitteilungen sehr unklare Umrisse kommunizieren, welche den
einen Menschen an Kosmos erinnern können, den zweiten an die Architektur der
Landschaft und den dritten an den strukturierten Bewusstseinsstrom. Die Warnung
vor Dimensionen soll auch als Ermahnung dienen, dass jene Dimensionen, an
welche wir in der Natur gewöhnt sind, weder die häufigsten, noch die
interessantesten sind. Die meisten Ereignisse kommen in viel kleineren oder
viel größeren Ausmaßen vor. Daher vielleicht die ziemlich unübersichtliche und
zugleich ausgeleerte Welt von Taupes Bildern.
Julian Taupes Bilder teilen eine optimistische
Weltansicht und Lebensfreude mit. Hedonismus ist heutzutage in der Welt ein
seltenes Phänomen. Mit globalem Kapitalismus konfrontiert, der den
Nichtausgewählten keine Chancen für ein besseres Leben gibt, tief in die
verdorbene und überfüllte Natur gedrängt, produziert man meistens Kunstwerke
mit einer kritischen Mitteilung. Taupe geht ruhig daran vorbei - seine Bilder
enthalten keine einzige Spur von Zweifel an der richtigen Welteinrichtung.
Seine Bilder sind flach und farbenreich wie eine einsame pannonische
Landschaft, gesenkt in die Sommerpotenz eines entfernten Gewitters. Berge,
Felder, in der Ferne blüht es, der Wind flicht neue Muster dort am Horizont.
Das Licht verändert sich. Taupe ist vor allem an bildenden Problemen
interessiert. Reine Bildsprache, reine Geometrie, oder wenn sie wollen
Mathematik. Nirgends bedeutendere Aussagen. Bei diesen Bildern handelt es sich
um reine Grammatik, um die Sprachlehre der Malersprache. Da es keine klar
lesbare Geschichte gibt, existiert auch keine eindeutige Mitteilung, doch kann
der Betrachter von fern aus der Fülle der bildenden Zeichen die Bedeutung
dieser Bilder erkennen. Sie erzählen uns von der Einteilung der sichtbaren
Welt, von ihren Eigenschaften, vom Bildenden in der Natur. Dabei fehlt es an
Platz für umfangreichere Erzählungen - da ist kein Trauerspiel möglich. Keine
Geschichte, vor uns liegt eine Fläche ohne Vertiefung und Auswuchs, die reine
nackte Haut. An der Wand hängt eine Landkarte, deren einzelne Gebiete
schematisch dargestellt sind - nur einige farbige Flächen. Es ist wahr, dass es
am Rand keine Legende gibt, aber die verwendeten Zeichen sind einfach und klar,
ihre Zahl ist begrenzt, so dass die Aufgabe des Betrachters nicht zu schwer
sein dürfte. Die Betrachtung dieser Bilder soll das Herausfinden der
Symbolbedeutung sein, denn gerade darin liegt ihr Zauber.
Schauen wir an dieser Stelle ein wenig auf die Geschichte
der alten Griechen zurück. Es ist allgemein bekannt, dass die Griechen beim
Malen die Perspektive verwendeten. Bei ihnen galt das Kriterium der Ähnlichkeit
mit dem Motiv, und das erreichten sie in den späten Entwicklungsjahren gerade
mit der Perspektive. Die christliche Kultur, welche nach Jahrhunderten der
griechisch-römischen folgte, vergaß völlig diese Leistungen. Die christliche
Kultur lehnte sich an das geschriebene Wort, welches eine bedeutende Rolle bei
ihrer schnellen und wirkungsvollen Ausbreitung spielte. Dem Bildnis widmete das
Christentum nicht so viel Aufmerksamkeit; es entdeckte erst nach tausend Jahren
erneut die Perspektive und ermöglichte auf diese Weise den bildenden Künstlern
eine glaubwürdigere Darstellung der Wirklichkeit. Jahrhundertelang dauernde
Perspektivdarstellung führte zur Fotografie, zum Film und Fernsehen auf der
einen Seite und auf der anderen Seite zur abstrakten Malerei, zum Verzicht auf
eine Darstellung der Welt, wie wir sie wahrnehmen. Die abstrakte Kunst kann man
grob einteilen in deskriptive - sie beschreibt Ereignisse - und formelle - sie
setzt Farben und Formen in bestimmte Muster zusammen und nähert sich auf diese
Weise der islamischen Kunst oder den Orientteppichen. Der Gebrauch von
abstrakten Darstellungsarten ermöglicht den Künstlern ein weites Geflecht der
Beschreibungsmöglichkeiten. Der Künstler ist nicht gebunden an eine eindeutige
Wiedergabe von Fakten in einer allen bekannten Sprache. Der Künstler ist ganz
frei im Gebrauch der (ihm eigenen) Sprache, die er für die Beschreibung eines
Motivs verwendet. Und diese Sprache hat eine bestimmte Zahl von Symbolsätzen,
welche der Betrachter entziffern soll. Die abstrakte Kunst stellt in der
westlichen christlichen Kultur eine Zwischenphase dar, und zwar in Form von der
erreichten gänzlichen Ähnlichkeit mit dem Motiv (Fotografie, Film, Fernsehen)
und der völligen Reproduktion des Motivs, und läuft so einerseits in die
virtuelle Wirklichkeit hinein oder andererseits in einen genetisch
manipulierten Organismus, in eine neue Realität. So wie die abstrakte Kunst
eine Zwischenphase sein kann, ist sie auch eine Periode der menschlichen Angst
vor Potentialen der eigenen Vernunft; der Angst, die man überwinden mußte, um
wieder auf den Weg der Entwicklung treten zu können.
Kunstgeschichte
Oft nähert sich Taupe der geometrischen Abstraktion, doch
die Farbenskala wird nie in dem Maße vereinheitlicht, dass man über
minimalistische Reminiszenzen sprechen könnte. Mehr oder weniger bleibt er an
die surrealistische Tradition der modernen Malerei gebunden, die von Joan Miro
ausgeht, und auf deren Gebiet man bei ihm mehrere Pendants finden kann. Zu
spielerischen Symbolen auf freundlichen, farbigen Grundlagen gesellen sich
breite Farbflächen. Ein auf diese Weise entstandener Kontrast trägt viel zur
Dynamik des Bildes bei, zu Farben auf der Oberfläche und der Komposition, die
oftmals auch außerhalb des Bildes in Verbindung mit anderen Bildern weiterlebt.
Der Künstler setzt sie nämlich oft in größere Kompositionen zusammen und so
bekommt die bemalte farbige Oberfläche andere Bedeutungen. Trotz der strengen
theoretischen Orientierung dieser Kunst, kann man im Hintergrund immerhin noch
die Umgebung fühlen, die der Maler atmet und in der er selbst lebt und malt.
Obgleich er sich nicht immer daran erinnert, wenn er mit einem Bild beginnt,
spüren wir im Hintergrund alle seine Anregungen, die uns immer ganz zuverlässig
zu den selben Farben führen, zu jenem Wald und zu jener Landschaft, die den
Künstler umgeben, wenn immer er aus seinem Atelier ins Freie kommt.
Die ausgewählte Erzählungsweise macht Taupe jeden
unmittelbaren Schwung unmöglich - so bleiben viele Worte ungesagt oder sogar
überhört. Die bemalten Flächen erfüllen den Betrachter mit Zufriedenheit und
Glücksrausch und erinnern ihn an die religiösen Erlebnisse seiner Kindheit. Die
Bilder, wie die Wandmalereien in der Kirche, erzählen immer dieselbe
verwässerte Geschichte, und so verbleibt nur eine meisterhafte Gestaltung der
gegebenen Elemente in ein Ganzes, oft durch ein verändertes Bildformat
bestimmt. Das Bild wird zum Gebet, in dem auch jeder Inhalt verschwindet, denn
er wird einer Wiederholung untergeordnet. Und so geht das endlos weiter. Taupes
Bilder geben dem Betrachter ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, ähnlich
wie die religiösen Malereien: sie vermitteln das Gefühl der kosmischen Ruhe,
der Prädestination und damit derselben Geborgenheit, wie einem Gläubigen seine
Religion und sein Gott. Diese Welt ist geordnet und ruhig, immer erklärbar, hat
ihren Beginn, und ihr Ende ist auch bestimmt. Man kann von einem
surrealistischen Repertoire sprechen, von einer kleinen intimen Welt der
Symbole, vom Geflecht der Bewußtseinsniveaus. Ein Bild gleicht dem anderen
nicht, obwohl sich das Arbeitsprinzip nicht oft verändert.
Die klare Architektur von Taupes Bildern und das
keramische Aussehen seiner Sternkompositionen ist mit dem Anwachsen und
Vermindern von Dimensionen des dargestellten Kosmos verflochten. Nie und an
keiner Stelle will uns Taupe die Zeugungsgeschichte oder vom Ende einer Ideologie,
von Änderung und Wechsel der Jahreszeiten erzählen. Nie tritt er in andere
Gewässer ein als in seine eigenen, nie verläßt er seine kreative, im
endgültigen Geflecht von Symbolen und Farben verankerte Poetik. Taupe malt
Fragmente seines Bewußtseins, setzt sie oft vor unseren Augen zusammen und
unterbricht so den schnellen Fluß des Begreifens. Vor den Augen haben wir ein
anderes Bewußtseinsmuster als das ursprüngliche, irgendwie verdreht und blau.
Wesentlich interessanter als Taupes Wetterbild ist vielleicht
sein Eintritt in die Kunstgeschichte. Noch immer bemalt er Gemälde, malt
Bilder, er verharrt in dem aussterbenden Beruf eines Malers. Seine Werke werden
gerade wegen dieser Tatsache hochgeschätzt, dass sie handgefertigt sind,
Unikate sind, was die Leute besonders zu schätzen wissen, denn gerade das
verleiht ihnen ein trügerisches Gefühl, dass sie einen Teil vom Lebenserlebnis
des Künstlers, ein Stück der materialisierten Metaphysik besitzen. Taupes
Bilder sind vor allem vom Aspekt der Materialisation, welche sie weiter
erhalten, interessant sowie auch von ihrem Marktwert.
Das Bild
Die materielle Substanz eines Bildes ist das Kriterium,
welches das Aussehen eines Bildes wie auch seinen Wert bestimmt. Nur das
Material kann einen Besitzer haben oder umgekehrt, es ist viel leichter einer
konkreten Sache einen Besitzer zu finden als derjenigen, die man nur anschauen,
nicht aber anfassen und riechen kann. Eine Sache, die in unserer Welt nicht
viel Platz einnimmt, und durch ein anderes Medium vermittelt wird, ist viel
schlüpfriger in der menschlichen Wahrnehmung sowie auch in den Marktgesetzen.
Taupes Bilder tragen in sich eine noch größere Bedeutung nicht nur wegen der
Architektur der Landschaft, der Farben und ultrakosmischer Symbole, sondern
auch wegen ihrer Materialisation und bewegungslosen Altertümlichkeit. Weil die
materielle Kultur ein Rest der Vergangenheit ist und die Zukunft jene uns
bekannten Stoffe, die fassbaren, Erdöl und fossile Treibstoffe, nicht braucht.
Bilder im jpg oder bmp Format, am Bildschirm gezeigt, sind heutzutage einem
Menschen leichter verständlich als Ölgemälde. Die Veränderung aus dem tastbaren
ins digitale Format bringt auch viele Kulturdifferenzen mit sich. Die
Abschaffung von auf Material basierenden Marktverhältnissen ist nur eine, aber
vielleicht die verhängnisvollste Folge, welche sicherlich enorme Bewegungen in
der vorherrschenden Kultur verursachen wird.
Der große Vorteil eines Ölgemäldes vor dem elektronischen
Bild liegt darin, dass es allein den Raum seines Mediums einnimmt. Der Träger
des Ölgemäldes, Unterrahmen, Leinwand, Farbpigment, Öl sind nur einem Bild
gewidmet, während das elektronische Bild seinen Bildschirm auch mit anderen
Bildern teilt, denselben »Träger« wie eine Menge anderer Bilder gebraucht. Die
heutige routinemäßige Wohnkultur braucht noch immer Ölgemälde und andere Bilder
auf eigenem materiellem Träger, um die grauen Wände menschlicher Wohnräume
anzufüllen. Die Bilder hängen dort mehrere Jahre lang, der Mensch gewöhnt sich
an sie, denn gerade die Tatsache, dass man sich in einer bekannten Umgebung
befindet, verleiht dem Menschen ein trügerisches Gefühl der Geborgenheit.
Bilder als Sachen erfüllen vielmals eine magische Rolle, sind oft Fetische.
Völlig anders wirken in diesen Verhältnissen elektronische Bilder. Auch diese
sind nicht ganz umsonst und sind alle aufbewahrt im oder vermittelt durch einen
Kasten - den Fernseher oder besser den Bildschirm. Doch ihre Zahl ist
umfangreich und in der Regel sind sie beweglich - Filme -, denn wir könnten uns
irgendwie nicht daran gewöhnen, dass auf dem Bildschirm nur ein Bild leuchtet.
Im Fernsehen setzt sich eine andere Weise von Bildbesitz durch - eine Art von
Leasing und Leute besitzen nicht mehr nur ein Bild, sondern gleich einige
Millionen - Kaufrecht auf bezahlbares Fernsehen. Der Mensch gewöhnt sich
schwerer an diese Menge von Bildern, mit ihnen kann man keinen persönlichen
Kontakt schließen; es gibt einfach zu viele davon und das Material, aus dem sie
bestehen, ist nicht tastbar und geruchlos. Das materielle Bild, das Ölgemälde,
hat gerade deswegen noch eine lange Geschichte vor sich.
Die Existenz eines materiellen Bildes ist in der Zukunft
nur noch in seinem historischen Rahmen möglich, als Vorgänger des digitalen
Bildes, als Grundlage und Ursprung unserer Kultur. Ein mit Farbe und Pinseln
gemaltes Bild kann dem digitalen Bild nur noch als Fundament dienen, als
materielle Basis, aus welcher das letztere abgeleitet ist und als
philosophische Grundlage, aus der es sich entwickelt hat. Es wird durch
digitale Bilder ersetzt werden, die im Unterschied zu den ersten weniger Platz
einnehmen, aufbewahrungsfreundlicher sind, deren Verbreitung erleichtert ist
und was am wichtigsten ist, deren Besitz keine Umschichtung auf der sozialen
Leiter ermöglicht. Das bedeutet natürlich nicht, dass die digitalen Bilder mit
ihrem Wert keinen Einfluss auf die Gesellschaftsstruktur werden haben können,
aber die Hoffnung besteht, dass die Verhältnisse sich ändern werden. Auch in
der Cyberwelt werden Sachen jeden Tag stärker mit entsprechenden Gesetzen
geregelt, die in großem Maße nur abgeschriebene Varianten der in unserer
materiellen Welt bereits bestehenden Gesetze sind. Ein wenig Durchzug, den die
Entwicklung der »nicht materiellen« Kultur verursachen wird, bedeutet nicht
unbedingt eine Veränderung zum Besseren, es bedeutet nur einen Wandel, und
gerade das sind die notwendigsten Voraussetzungen der menschlichen Entwicklung;
letztendlich wird an ihnen ja die Zeit gemessen.
Kommunikation
Perzeption braucht Zeit, weil sie immer schon im
Bewußtsein vermittelt ist, welches aber umgekehrt immer sozial und auf diese
Weise der Definition nach kein Produkt der Perzeption ist, sondern der
Kommunikation. Wenn es so ist, dass Bewußtsein von der Kommunikation abhängt,
dann steht die rohe, primäre Perzeption dem Bewußtsein nicht zur Verfügung. Die
nicht übermittelte Perzeption ist so die unbewußte Perzeption, in beiden
Sinnen, in Lacans, dass sie nicht symbolisch ist und im pathologischen Sinn.[1]
Die von Taupe gemalten Bildnisse sind mentale Bilder,
Anblicke eines Künstlers auf die Natur. Die Landschaft ist systematisch in
kleinere, schön zusammensetzbare Teile getrennt. Die neu entstandenen Formate
der zersetzten Anblicke ermöglichen auf der einen Seite, wie schon gesagt, ein
neues Bewußtseinsmuster und auf der anderen ein anderes ästhetisches Kriterium,
das in die Komposition eine neue Frische bringt. Kleine Unregelmäßigkeiten wie
Falten, Gesten oder Viren sind ausgelassen. Diese Inkonsequenz zeigt sich im
Laufe des Schaffens als gute Wahl, da uns die geschaffenen Bildnisse eine
idealisierte Welt von kosmischen Dimensionen darbieten, worin die einfache
Physik einer einheitlichen Theorie herrscht, wo eine einzige Kraft tätig ist.
Die Landschaft hat ihren Anschein, den Taupe verzeichnet, und dieser Anschein
ist elegant still, angenehm fürs Ohr, nicht aufregend und ruhig. Dieser
Anschein ist ein wahrer Gegensatz zum Rauschen und Röcheln in den großen
menschlichen Konglomeraten, zugebauten Kommunikationen und gevierteilten
Denkprozessen, eingedrungen in die Träume von Großstadtbewohnern, jeder auf
seinem Quadratmeter Fläche. Nein, Taupes Bilder sind geräumig, dort herrscht
keine Angst vor Überladung, vor ungesundem Zusammenpressen von Körpern und
Schweißgeruch. Taupes Welt ist aller Unregelmäßigkeiten, jeden Geruchs und
Klangs bereinigt. Seine Bilder melden sich mit einem breiten, leeren Echo eines
entfernten Knalls.
Taupes Bilder terrorisieren die Natur nicht in dem Sinne,
dass sie aus ihr Bildnisse ausreißen und diese später als eigene Entdeckungen
propagieren und verkaufen. Bilder sind Denkmuster, die mit ihrer weiten
Geräumigkeit ein Gefühl der kosmischen Endlosigkeit verbreiten, dem Menschen
aber ein Gefühl einer vehementen Kleinheit und zugleich einer Begeisterung für
die Vollkommenheit der Schöpfung verleihen. Doch Taupes Bilder sind auch
Artefakte, so wie Material, Stoff Platz einnehmen, variieren ihre
Gesetzlichkeiten und beeinflussen den menschlichen Wohnraum. Oder mit einem
Wort, sie lassen sich nicht ausschalten. Von diesem Standpunkt aus sind diese
Bilder laute Fehler, Falten oder Viren im räumlichen und klaren Taupe Kosmos.
Das ist nur eines der Paradoxen der Malerei Taupes, auf welche der Besucher
erst nach einem wirklich langen Spaziergang durch seine Landschaft, von einem
Ende des Bildes zum anderen hin, stößt. Und dieser Spaziergang ist ein
elegantes Erlebnis, beruhigend und erregend zugleich, doch der Gang durch
niedriges Gras endet gern vor einer klüftigen Felswand, am Fuße derer das rauhe
Meer rauscht.
Doch geht es hier nicht bloß darum Landschaft zu hören,
um das Darstellen der ausgedachten Welten, das Kommunizieren von Gedanken an
andere Leute, an uns - die Betrachter, es geht um Übermittlung des Eindrucks
von einer Zeit an gewisse andere Generationen. Aber da bleibt es wieder
stecken, denn neue Meldungen verlangen neue Formen. Alte Formen tragen in sich
reaktionäre Ideologien, obgleich ihr Inhalt progressiv sein kann. Die
Erscheinung eines Ölgemäldes ist anachronistisch in Hinsicht auf das
gleichzeitige Geschehen in der Kultur, deren Teil dieses Bild ist. Das Bild als
ein Teil einer anderen entfernteren Kultur lebt sein ruhiges Leben weiter,
während das materielle poetisch verträumte Bild ohne eine entsprechend klar
lesbare, kritische Botschaft in unserer immer mehr digitalisierten Kultur nicht
durchhalten kann und mehr und mehr versinkt.
Wir können nicht mehr Virilio zustimmen, dass die
Geschichte eine Landschaft voll von Ereignissen sei. Wir wissen nämlich, die
Landschaft ist ein Ereignis in der Geschichte. Landschaft als Geschichte, als Finalprodukt
und Schlachtfeld, denn sie kann nicht als ausschließlich dem Menschen gehörend,
als völlig organisch definiert werden. In den mindestens letzten siebentausend
Jahren, seit wir Handel entlang der Flüsse und quer über die Weltmeere treiben,
haben wir eine Symbiose mit unserer Technologie und vor allem mit den
Kommunikationstechnologien erlebt. Unter den Bedingungen des globalen
Kapitalismus muß jede Information bezahlt werden, während die Kommunikation
befreit sein will. Mit aller Vorsicht und Sorgfalt müssen wir Technologien zu
jenem Zweck gebrauchen, der ihren Einsatz verlangt, denn nur auf diese Weise
können wir zu ihrer Evolution beitragen, vorausgesetzt natürlich, dass wir die
Unsrige sichern. Um die Gegenwart als Prozeß beizubehalten und sich noch weiter
entwickeln zu können, werden wir alle Verbündeten brauchen, die wir nur
bekommen können, die organischen sowohl als auch die mechanischen.[2]
Übersetzt von E.K.
[1] Sean Cubitt: Transport,
Transmit, Translate Virilio, Ecology and the Media. Paper Given at the
Crossroads in Cultural Studies Conference, University of Birmingham, 23 June
2000. Nettime arhiv.
[2] Ibid.